Politik

Havanna bittet UN um Hilfe Kollaps des Sozialismus? Kuba gehen Milch und Weizen aus

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Die wirtschaftliche Not Kubas wird immer dramatischer.

Die wirtschaftliche Not Kubas wird immer dramatischer.

(Foto: IMAGO/Zoonar)

Kuba kämpft um sein Überleben. Menschen hungern, teilweise fällt der Strom aus, die Regierung bittet sogar die Vereinten Nationen um Hilfe. Der sozialistische Karibikstaat droht zu kollabieren.

Es ist ein Novum in der Geschichte Kubas: Der sozialistische Ein-Parteien-Staat braucht Hilfe, um seine eigene Bevölkerung zu ernähren. Anfang März hat die sozialistische Führung zum ersten Mal in ihrer Geschichte das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen um Hilfe gebeten. Sie will über diesen Weg die Versorgung mit subventioniertem Milchpulver für kubanische Kinder gewährleisten. Denn zuletzt haben nur noch 3 der 15 kubanischen Provinzen die Standardquoten für die Milchversorgung der Kinder erreicht. Der Rest musste importiert werden, doch das kann Kuba nicht mehr finanzieren.

Milch ist jedoch nicht das einzige Problem. Im Februar gaben Regierungsvertreter außerdem zu, dass Kuba Weizen ausgegangen ist. Deshalb wurde die Versorgung der Bevölkerung mit subventioniertem Brot reduziert. Ein weiterer radikaler Kurswechsel, denn Brot, Milch und andere Grundnahrungsmittel werden seit der kubanischen Revolution 1959 staatlich subventioniert für alle bereitgestellt.

Die Führung in Havanna ist offensichtlich verzweifelt. Deshalb geht Kuba einen für seine Verhältnisse ungewöhnlichen Weg, sagt Kuba-Experte Bert Hoffmann, Co-Direktor des Giga-Instituts für Lateinamerika-Studien. "Dieses Gesuch ist etwas, das die kubanische Regierung nicht gerne macht. Das ist natürlich nicht imagefördernd und zeigt deutlich, wie die Regierung die Situation mittlerweile einschätzt. Darüber hinaus haben wir auch in der Energieversorgung einen ähnlich alltäglich erfahrbaren Mangel. Es gibt unglaublich lange Stromabschaltungen. Energieintensive Betriebe werden zeitweise stillgelegt."

Dauerhafte Wirtschaftskrise

Kuba steckt seit einigen Jahren in einer schweren Wirtschaftskrise. Das Bündnis von Präsident Miguel Díaz-Canel wollte sie bis vor Kurzem mit radikalen Sparmaßnahmen und großen Preiserhöhungen bekämpfen - beispielsweise sollten die Spritpreise ab Februar um 500 Prozent steigen, Bus- und Bahntickets um mindestens 400 Prozent teurer werden.

Wenig überraschend kamen die Pläne bei der kubanischen Bevölkerung nicht gut an. Die geplanten Preiserhöhungen wurden daraufhin kurzfristig verschoben - offiziell wegen eines "Cybersicherheitsvorfalls durch einen ausländischen Virus in den Systemen für den Treibstoffverkauf", teilte die Regierung mit - bis heute sind die Sparpläne nur teilweise in Kraft gesetzt worden. "Für bestimmte Abnehmergruppen wurden die Preise hochgesetzt, für andere nicht. Sie haben natürlich das Dilemma, dass die Benzinpreise stark subventioniert sind. Dafür ist aber eigentlich kaum Geld da. Gleichzeitig verschärft es die Lage der Bevölkerung, wenn die Preise hochgesetzt werden", sagt Hoffmann im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".

Gleichzeitig müsse man feststellen, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Kuba weit auseinandergehe. "Es gibt einen Teil der Gesellschaft, dem geht es prima. Das ist der Teil, der Dollar-Zugang hat. Dann kann man auch in Kuba gut leben. Wer von Dollarströmen abgekoppelt ist, für den ist die Lage sehr prekär geworden", analysiert Hoffmann.

Wer trägt die Schuld an Kubas Lage?

In Kuba macht Präsident Díaz-Canel offenbar seinen Wirtschaftsminister für die schwere Krise verantwortlich. Er warf Alejandro Gil im Februar aus dem Amt. Im März folgte eine Anklage gegen den Vizepremier wegen nicht näher genannter "schwerer Fehler". Offenbar werden Gil Korruptionsvorwürfe gemacht. "Die Führung unserer Partei und Regierung hat niemals die Ausübung von Korruption, Täuschung und Gefühllosigkeit zugelassen und wird dies auch niemals tun", hieß es in einer von Díaz-Canel unterschriebenen Erklärung.

Wo finde ich "Wieder was gelernt"?

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Alle Folgen von "Wieder was gelernt" finden Sie in der ntv-App, bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts und Spotify. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.

Auch den USA gibt der sozialistische Führer eine Mitschuld: Das amerikanische Handelsembargo und Sanktionen seien für die Misere verantwortlich, heißt es in Havanna. Außerdem verstärken fehlende Einnahmen aus dem Tourismus die katastrophale wirtschaftliche Lage. 2023 kamen nur zwei Millionen Besucher nach Kuba. Die Führung hatte nach dem Ende der Corona-Krise auf fast die doppelte Zahl an Touristen gehofft.

Die offiziell verbotene Opposition im Land macht dagegen hauptsächlich die Planwirtschaft, Korruption und fehlende Reformen für die Wirtschaftskrise verantwortlich. Für die hatte ausgerechnet der langjährige Staatspräsident Raúl Castro - der jüngere Bruder von Revolutionsanführer Fidel Castro - geworben. Und für einen Neuanfang mit den USA. "Die Prinzipien der Revolution und des Sozialismus" müssten weiter verfolgt werden, forderte Raúl Castro vor drei Jahren in seiner letzten Rede. Gleichzeitig sei aber ein "respektvoller Dialog" mit den Vereinigten Staaten nötig. "Raúl Castro hatte eine Art Reformagenda auf die Tagesordnung gesetzt, die aber nicht umgesetzt worden ist", ordnet Experte Hoffmann ein.

Korruption sei dagegen nicht das zentrale Problem in Kuba. "Nicht, dass es keine gibt, aber es ist im internationalen Vergleich nicht dramatisch. Stattdessen sind interne und externe Gründe verantwortlich. Die Sanktionen der USA machen alles schwieriger. Aber natürlich ist eine Regierung verantwortlich für das, was sie macht", bilanziert Hoffmann im Podcast.

Abwanderung in die USA

Verstärkt wird die dramatische Situation durch eine Massenabwanderung der Bevölkerung. Allein in den vergangenen beiden Jahren verließen fast 500.000 Kubaner das Land, die Einwohnerzahl ist auf elf Millionen Menschen gesunken. "Viele Kubaner stimmen mit den Füßen ab", beschrieb der britische "Economist" die Fluchtbewegung. Die meisten von ihnen zieht es ausgerechnet zum Intimfeind: 425.000 Kubanerinnen und Kubaner migrierten in den Jahren 2022 und 2023 nach Amerika, 36.000 stellten Asylanträge in Mexiko, hat die Denkfabrik Washington Office On Latin America zusammengerechnet. "Wenn Sie an einer kubanischen Universität mit Studis sprechen, haben fast alle im Hinterkopf, wie sie nach oder sogar noch vor dem Abschluss des Studiums außer Landes kommen", berichtet Hoffmann.

"Wir erleben den Zusammenbruch des sozialistischen Regimes in Kuba", urteilt das Wirtschaftsmagazin Bloomberg. Die Krise könne nicht behoben werden, "ohne das zentralisierte, staatlich kontrollierte Modell des Landes grundlegend zu ändern."

Bert Hoffmann ist weniger forsch. Er sieht keinen nahenden Machtverlust der Regierung. Gleichzeitig fehle es an echter Reformbereitschaft. Und darüber hinaus gebe es keinerlei Unterstützung aus den USA, bemängelt der Politikwissenschaftler im Podcast. "Wenn es keinen Reformweg gibt, bleibt im Prinzip nur ein gewaltsamer Weg. Davor schrecken ganz viele Kubaner zurück. Deswegen sehen wir diese Flucht ins Private und ins Ausland. Immigration ist ein großes Ventil für die Unzufriedenheit."

Kuba wird im November die US-Präsidentschaftswahlen intensiv verfolgen. Zwar lässt sich die Politik von Joe Biden nicht als Kuba-freundlich bezeichnen, doch mit Donald Trump würde sich die Situation des Karibikstaates wahrscheinlich weiter verschlechtern, ist Hoffmann überzeugt. Der ehemalige US-Präsident hatte die Entspannungspolitik von Barack Obama 2017 nach seinem Einzug ins Weiße Haus beendet und anschließend die US-Sanktionen wieder massiv verschärft. Vorrangig, um 2020 die Wahlen in Florida zu gewinnen, wo Auslandskubaner eine große Wählergruppe sind, analysiert Hoffmann. Die Auslandskubaner hoffen auf den Zusammenbruch des Regimes, das die eigene Bevölkerung nicht mehr ernähren kann.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

Alle Folgen finden Sie in der ntv-App, bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts und Spotify. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.

Sie haben eine Frage? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an podcasts@ntv.de

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen