Politik

Blaues Auge für die Grünen Kontakt mit Merz? "Nee, warum denn?"

Annalena Baerbock, Robert Habeck und Felix Banaszak auf der Wahlparty der Grünen.

Annalena Baerbock, Robert Habeck und Felix Banaszak auf der Wahlparty der Grünen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Grünen haben deutlich verloren, Weiterregieren ist unwahrscheinlich. Der Wahlkampf ist ein "Traum" für Kanzlerkandidat Habeck, doch vor lauter Wohlfühlen verliert er aus dem Blick, wo das Vertrauen in seine Kompetenzen fehlt.

Um die 12 Prozent - das ist weit unter dem Ziel, das Kanzlerkandidat Robert Habeck für die Grünen ausgerufen hatte. Für eine Koalition mit der Union reicht das eindeutig nicht. Die Grünen hätten wohl nur dann eine Regierungsoption, wenn es auch für Schwarz-Rot nicht reichen würde, weil etwa die FDP, das BSW oder beide den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Für die Liberalen wird das im Verlauf des Abends immer unwahrscheinlicher.

Dabei peilte Robert Habeck kühn und gegen alle Vorzeichen das Kanzleramt an. "Den Bach rauf" heißt das Buch, das der Wirtschaftsminister noch Mitte Januar veröffentlichte. Eine "Kursbestimmung" mit dem Ziel, Hoffnung, Zuversicht, Vertrauen in die Politik zu stärken. "Den Bach rauf" hätte das Wasser aber auch fließen müssen, um die Grünen aus dem Umfragetief nach Ende der Ampelkoalition in die Nähe der Bündnisfähigkeit mit der Union zu bringen.

Mitregieren geht nur zu dritt

"Nee, warum denn?", antwortet Robert Habeck am Sonntagabend im ARD-Fernsehen auf die Frage, ob er in den kommenden Tagen mit Friedrich Merz Kontakt aufnehmen werde. Mitregieren wäre nach dem heutigen Abend nur in einer erneuten Dreierkonstellation möglich. Das kann die Union vermeiden, wenn auch das BSW den Einzug in den Bundestag verpasst. Für die Grünen wird es dann mit hoher Wahrscheinlichkeit Opposition.

Über dieses Ergebnis können sie nicht froh sein, aber sich zumindest den Schweiß von der Stirn wischen. Zum Ende der ungeliebten Ampelkoalition sackte die Partei teilweise unter zehn Prozent ab, was Habecks Kanzler-Kampagne umso realitätsferner erscheinen ließ. Nur langsam ging es dann wieder aufwärts, zeitweilig auf 15 Prozent im RTL/ntv-Trendbarometer, nun liegt das Ergebnis doch deutlich darunter.

Der steile Aufstieg der Linken hat die Grünen dabei Stimmen gekostet. 600.000 waren es laut Infratest Dimap. Zwar erzürnten die Grünen sich wortreich, als Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz die Brandmauer zur AfD einriss und mit ihren Stimmen zwei Entschließungsanträge zur Migrationspolitik im Bundestag durchbrachte. SPD und Grüne witterten die Chance, sich am Wortbruch des CDU-Chefs gesundzustoßen. Parteichef Felix Banaszak vertraute der Öffentlichkeit gar an, er habe danach geweint - über mehrere Tage.

Damit moralisierten die Grünen Merz' AfD-Annäherung maximal, konnten jedoch anschließend gar nicht liefern. In den Augen vieler, die im CDU-Chef den Umkipper nach rechts sahen, standen nicht die Grünen auf der Brandmauer, um von dort aus die Demokratie zu verteidigen, sondern die Linke. Habeck machte dagegen weiter deutlich, mit der Union regieren zu wollen.

Die Grünen können zur Union nicht Nein sagen

Linken-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek forderte im Bundestag Grüne und SPD dazu auf, eine Koalition mit der Union auszuschließen, "es kann euch nur schaden". Zumindest mit Blick auf das Ergebnis der Wahl hat sie damit offenbar recht behalten.

Robert Habeck analysiert ganz ähnlich, viele Sympathisanten hätten vermutlich nach der Merz-AfD-Abstimmung gesagt: "So, jetzt aber Schluss, nicht mit der Union". Doch Habeck bleibt auch rückblickend dabei: Die Grünen konnten zur Union nicht grundsätzlich Nein sagen. "Ich konnte das nicht, dafür bin ich nicht gebaut", sagt er. "Ich habe immer gesagt, wir müssen Verantwortung tragen wollen."

Wenn aber bei den Konsequenzen von Anfang an gar kein Spielraum vorhanden war, dann lagen der Fehler und das falsche Kalkül womöglich in den lauten, gefühlsschwangeren Abgrenzungen der Parteispitzen wie Banaszak direkt nach Merz' Pakt mit den Rechten. Die Linke lieferte dazu die von vielen gewünschte Konsequenz. Reichinnek jazzte die Partei binnen weniger Wochen aus der Bedeutungslosigkeit raus auf acht Prozent.

Ein entscheidendes Moment dabei: Social Media. Der Faktor, den Habeck bewusst zu nutzen versucht hatte, um sich in Videos am Küchentisch als nahbarer, unkonventioneller Typ zu zeigen, schlug letztlich für die Linken zu Buche.

Der Fokus auf den nahbaren Typen Habeck wirkte zuweilen überinszeniert, beantwortete aber vor allem keine offenen Fragen der Unentschlossenen. Denn sein Gespür für Präsenz und den richtigen Ton auch bei schwierigen Themen war nach drei Ampeljahren unbestritten. Wurden bei den Deutschen Sympathiewerte für Politiker abgefragt - der Balken des Norddeutschen maß die zwei- bis dreifache Länge der anderen. Ganz anders aber, wenn es um Wirtschaftskompetenz ging. Dann schnellten die Werte von Friedrich Merz und Olaf Scholz an Habecks vorbei nach oben.

Doch dieses Thema, bei dem erkennbar Zweifel an der Kompetenz des Grünen bestanden, adressierte der Wahlkampf nicht. Das halbfertig durchgestochene Gebäudeenergie-Gesetz hatte viel Vertrauen zerstört, ebenso die schlechte wirtschaftliche Lage. Die Punkte wurden nicht abgeräumt. Ebenso wenig pochte Habeck in den Wahlkampfrunden auf seine Erfolge als Minister. Immerhin steuerte er Deutschland durch eine schwere Energiekrise und orchestrierte den Abschied vom russischen Gas.

Die anderen beiden fielen noch tiefer

"Das war exakt der Wahlkampf, von dem ich geträumt habe", bilanziert Habeck am Sonntag auf der Wahlparty der Partei. Alles andere wäre auch eigenwillig, denn die Kampagne war zu 100 Prozent auf ihn zugeschnitten. "Ein Mensch. Ein Wort" oder "Bündniskanzler" hieß es auf den Plakaten. Sehr vielsagend war das nicht. Urgrüne Themen wie Klimaschutz wurden kaum adressiert.

Es stimmt, die beiden Parteien, die mit den Grünen zusammen in der Ampel scheiterten, haben mit minus 9 Prozentpunkten bei der SPD und minus 6 Punkten für die Liberalen deutlich mehr Federn gelassen. Doch das Ziel von Robert Habecks Kampagne war Mitregieren. Das sprach ihm am Wahlabend aus jeder Pore.

Egal, ob er in der Elefantenrunde mit Nachdruck auf die geopolitische Lage verweist und Tempo für Verhandlungen zwischen wem auch immer fordert oder ob er darauf pocht, Deutschland und Europa müssten auch Cyberspace und Weltraum in den Blick nehmen angesichts der gefährlichen Abhängigkeit von den USA. Da spricht jemand von Themen, mit denen man bei der grünen Wählerschaft nicht die Spur eines Blumentopfes gewinnen kann.

Er spricht nicht mit Kalkül und Blick auf das Wohlergehen seiner Partei, sondern mit pragmatischem und sorgenvollem Blick auf die Lage. Diesen Gestaltungsanspruch wird Habeck mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht umsetzen können. Die Grünen blicken mit einem blauen Auge auf einen letztlich bitteren Wahlabend.

Quelle: ntv.de

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