
Sebastian Kurz' Einladung folgten eine Reihe afrikanischer Vertreter und Jean-Claude Juncker. Die ganz großen Namen schickten die europäischen Partner allerdings nicht nach Wien.
(Foto: imago/Eibner Europa)
Appelle, Absichtserklärungen und ein paar Verträge: Sebastian Kurz veranstaltet einen Afrika-Gipfel, bei dem nicht viel herumkommt, der aber auch nicht schadet. Symptomatisch für Österreichs EU-Ratspräsidentschaft.
Ein "Paradigmenwechsel", darunter macht es der Bundeskanzler nicht. Es ist der letzte wichtige Auftritt von Sebastian Kurz in Österreichs EU-Ratspräsidentschaft, und wieder mal beschwört er einen großen Wurf: Eine neue Ära in den Beziehungen zwischen Europa und Afrika soll hier und heute in Wien ihren Anfang nehmen. Weg vom Fokus auf Entwicklungshilfe, hin zu mehr Investitionen: "Wir dürfen Afrika nicht den Chinesen überlassen."
Sebastian Kurz als Mahner, als Richtungsweiser, als Pionier in Europa – dieses Bild vermittelt er seit seiner Zeit als Außenminister. In der Flüchtlingskrise inszenierte er sich als Gegenspieler von Angela Merkel, gewann international an Profil und zuhause vor etwas mehr als einem Jahr die Wahlen. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen, als Österreich vor einem halben Jahr den Vorsitz im EU-Rat übernahm. Doch nicht nur beim "Hochrangigen Forum Afrika – Europa" in Wien am Dienstag zeigt sich: Der von seinen Fans als "Wunderwuzzi" gefeierte Kurz übt sich auf großer Bühne auch als Illusionskünstler.
"Die sind es leid, ständig über Migration zu reden"
Im Sommer noch hatte Kurz einen EU-Afrika-Gipfel angekündigt, auf dem es natürlich um die Migration gehen sollte, das politische Lebenselexier des Bundeskanzlers, das er auch ins Motto der Ratspräsidentschaft goss: "Ein Europa, das schützt." Nur: Solche Gipfel gibt es schon, regelmäßig alle drei Jahre, zuletzt 2017 in Abidjan. Und über Migration wollten die Afrikaner nicht reden. Nicht schon wieder. Kurz will das selber gemerkt haben: "Immer wenn ich als Außenminister oder Bundeskanzler mit afrikanischen Spitzenpolitikern gesprochen habe, habe ich realisiert: Die sind es leid, ständig nur über Migration zu sprechen." Was ihn nicht davon abgehalten hat, seine Anliegen noch bis vor Kurzem in Afrika vorzutragen: Seine Idee der Anlandeplattformen etwa, Lager für aufgegriffene Bootsflüchtlinge - auf afrikanischem Boden. Kein Staat zeigte auf, das monatelang diskutierte Projekt verschwand stillschweigend von der Agenda.
Statt eines Gipfels organisierte Kurz also ein "hochrangiges Forum", zu dem sich unter anderen auch Jean-Claude Juncker und sein Kollege Paul Kagame einfanden, Chef der Afrikanischen Union. Und statt über Migration redeten die Teilnehmer über Digitalisierung und Investitionen in Afrika. Er sei "überglücklich, wie viele Wirtschaftsvertreter und wie viele Spitzenpolitiker aus Afrika und der EU heute hier" seien, sagte Hausherr Kurz. Deutschland schickt keinen Spitzenpolitiker, sondern einen Fachmann: Angela Merkels Afrika-Beauftragen Günter Nooke. Im Gespräch mit n-tv.de zeigte sich der CDU-Mann zufrieden: "Für die kurze Vorlaufzeit waren viele wichtige Politiker da, auf europäischer wie auf afrikanischer Seite."
Privat statt Staat
So ganz neu sei der Ansatz von Sebastian Kurz aber nicht, der beschworene "Paradmigmenwechsel" schon längst in Arbeit. Die Bundesregierung sieht in ihrem "Marshallplan für Afrika" die Förderung von privaten Investitionen vor, so sollen vor allem Jobs entstehen. Auf dem Forum warben auch Wirtschaftsbosse wie Joe Kaeser von Siemens um Geschäftspartner und gut ausgebildete Arbeitskräfte. "Es geht darum, gute Lebensperspektiven in Afrika zu schaffen", sagt Nooke. "Das Narrativ muss geändert werden, weg von der Entwicklungshilfe zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit." Das sei auf lange Sicht wichtiger als Rückführungsabkommen und Abmachungen zu legaler Migration. "Damit können wir Kontingente von vielleicht 100.000 legalen Migranten aus Afrika vereinbaren. Aber wenn der Migrationsdruck nicht abnimmt, ist das viel zu wenig, dann reden wir über zehn Millionen Menschen, die nach Europa wollen, oder sogar hundert Millionen." Wirtschaftliche Entwicklung als Strategie gegen Massenmigration: Auf diesem Umweg geht es an diesem Tag in Wien also doch wieder um das alles erdrückende Thema der letzten Jahre.
"Die Hauptursache für Migration ist Armut", sagte auch Sebastian Kurz auf der Abschluss-Pressekonferenz, eine Aussage, die viele Migrationsforscher bezweifeln - sie gehen eher davon aus, dass nur Menschen oberhalb der Armutsgrenze überhaupt ihre Heimat verlassen können. Wie auch immer der Ansatz der EU genau aussieht, er wird hinausgehen müssen über die Verträge, die im Anschluss an die Pressestatements unterschrieben wurden: 75 Millionen Euro als Kredithilfen für Klein- und Mittelbetriebe, 45 Millionen Euro für landwirtschaftliche Projekte und drei Millionen Euro für den Aufbau der afrikanischen Freihandelszone.
"Die Migrationsfrage wurde zu hoch gespielt"
Große Worte, kleine Schritte: Damit war das Forum symptomatisch für die EU-Ratspräsidentschaft Österreichs, die in den letzten Tagen ein eher gemischtes Zeugnis erhalten hat. Selbst ein Parteifreund von Kurz, Ex-Agrarkommissar Franz Fischler von der ÖVP, zeigte sich im Nachrichtenmagazin "Profil" reserviert: "Es ist bei Ansagen geblieben." Das gelte für einige Bereiche, die Österreich zu Prioritäten erhoben hat: Den Integrationsprozess für die Westbalkanstaaten etwa. Wobei sich dort mehr Fortschritt hätte erzielen lassen, meint Fischler: "Die Migrationsfrage wurde viel zu hoch gespielt. Hätte man dieselbe Energie auf den Klimaschutz, auf die Wiederbelebung der EU-Erweiterung am Balkan verwendet, wären wir weiter." Lob erhielt Österreich allerdings von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker - in Bereichen abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit: Für die Vorbereitung des EU-Budgets und die Organisation der Gipfel.
In der Migrationsfrage machte Kurz gleich eine "Trendwende" aus, die er vor allem am Bekenntnis zum verstärkten Grenzschutz festmachte. Tatsächlich wird Frontex mit einem erweiterten Mandat ausgestattet und aufgestockt, aber nicht so schnell, wie sich Kurz das wünschte und lange versprach - wider besseren Wissens, wie Insider bestätigen, rückte er lange Zeit nicht öffentlich von der Frontex-Aufstockung bis 2020 ab - anders als beim Totalausfall mit den Anlandeplattformen. Einen merkwürdigen Querschläger leistete sich Kurz' Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ auf der Innenminister-Konferenz im September mit seinem ganz eigenen Vorstoß: Flüchtlinge, die im Mittelmeer aufgegriffen werden, sollten noch auf dem Boot der ersten Asylüberprüfung unterzogen werden. "Da ist man schon gut untergebracht, und die Boote stehen gleichzeitig nicht mehr den Schleppern zur Verfügung", sagte er und verblüffte damit selbst seinen Podiumsnachbarn und Bruder im Geiste Matteo Salvini, der irritiert abwiegelte.
Auf breites Unverständnis stieß vor allem der Alleingang beim UN-Migrationspakt. Das Magazin "Politico" zitierte zuletzt EU-Diplomaten, die Österreich rügten, "nicht gerade der ehrlichste Makler" in Sachen Migration gewesen zu sein. Selbst wenn man beiseite lässt, wie die Regierung sich offensichtlich von rechtsradikalen Kleinstgruppen und vom Boulevard in die Entscheidung treiben ließ, passte sie so gar nicht zur selbst auferlegten Rolle: Ein "Brückenbauer" wolle er sein, versprach Kurz im Sommer. Was gerade die großen Staaten wie Deutschland und Frankreich von der Entscheidung halten, zeigten sie Kurz am Dienstag noch einmal bei seinem Heimspiel: Die meisten europäischen Staats- und Regierungschefs schwänzten die Veranstaltung - eine klassische Retourkutsche. Die ganz große Bühne wollten sie Kurz zum Abschluss nicht mehr gönnen.
Quelle: ntv.de