Politik

Melitopol als "Hauptstadt" London: Russland gesteht sich Versagen ein

Russisches Kriegsgerät rollt vor einem Propaganda-Plakat durch das besetzte Melitopol.

Russisches Kriegsgerät rollt vor einem Propaganda-Plakat durch das besetzte Melitopol.

(Foto: picture alliance/dpa/TASS)

Die Region Saporischschja hat Russland nur teilweise unter Kontrolle. Dass es dort bald größere Erfolge gibt, scheint die russische Führung laut britischem Geheimdienst wohl nicht mal mehr selbst zu glauben - und sieht als Indiz die Ernennung von Melitopol zur "Hauptstadt".

Bereits Anfang März hat Russland per Dekret die von seinen Truppen besetzte ukrainische Stadt Melitopol zur "Hauptstadt der Region Saporischschja" ernannt. Wie immer sind Präsident Wladimir Putin und seine Verbündeten die Einzigen, die solche Verfügungen anerkennen. International finden sie größtenteils keine Beachtung, da es sich nach wie vor um ukrainisches Staatsgebiet handelt, das illegal in einem Angriffskrieg besetzt und von Russland "annektiert" wurde. Der britische Geheimdienst sieht hinter der Ernennung von Melitopol aber eine wichtige Erkenntnis: ein Eingeständnis der russischen Seite.

Denn für die russischen Invasoren ist eigentlich eine weitaus größere Stadt von höherer Bedeutung und damit auserkoren, die "Hauptstadt" der Region zu werden: das bedeutende Industriezentrum Saporischschja mit seinen rund 700.000 Einwohnern. Der von Russland eingesetzte"Verwaltungschef" Jewgeni Balizki erklärte, das Dekret zu Melitopol sei eine vorübergehende Maßnahme, bis die Stadt Saporischschja von Russland kontrolliert werde. Diese liegt rund 35 Kilometer von der derzeitigen Frontlinie entfernt und wurde bislang nicht besetzt.

London: Putin weiß, dass er seine großen Ziele nicht bald erreichen wird

Dass stattdessen vor wenigen Wochen Melitopol zur "Hauptstadt" ernannt wurde, ist laut des britischen Geheimdienstes "wahrscheinlich ein stillschweigendes Eingeständnis innerhalb des russischen Systems, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass seine Streitkräfte in naher Zukunft die zuvor geplanten großen Ziele einnehmen werden". Saporischschja ist neben Luhansk, Donezk und Cherson eine der Regionen, die Putin am 30. September 2022 als Teil der Russischen Föderation annektiert haben will. Die Bevölkerung habe sich dafür in Referenden ausgesprochen. Diese werden jedoch weltweit nicht anerkannt und als Scheinreferenden angesehen. Seit Putins Verkündung konnten die ukrainischen Truppen einige Gebiete und Städte befreien, darunter Cherson.

Die Kreml-Truppen und die Söldnergruppe Wagner haben zudem während ihrer Offensive in den vergangenen Wochen nur minimale Erfolge verzeichnen können und erlitten große Verluste, Hunderte ihrer Angriffe wurden abgewehrt, nicht nur in Saporischschja. Besonders die Stadt Bachmut in der Region Donezk haben die Invasoren in den Blick genommen und konnten den Ostteil der Stadt einnehmen. Auch Wuhledar ist hart umkämpft. Wegen der vielen Verluste sowie mangelndem Nachschub an Munition und Personal wird nicht erwartet, dass die russische Seite in den nächsten Wochen größere Erfolge erzielen wird.

Ukrainische Gegenoffensive könnte in Saporischschja starten

Die geschwächte Söldnertruppe Wagner hatte jedoch angekündigt, bis Mitte Mai rund 30.000 neue Kämpfer unter Vertrag zu nehmen. Auch die ukrainische Seite kämpft zudem mit Verlusten und Munitionsmangel, bekommt aber bald weitere Panzer und Kampfjets aus dem Westen geliefert. Ebenso gibt es Debatten über größere Munitionslieferungen. Ein NATO-Mitarbeiter bezifferte kürzlich im "Guardian" das Verhältnis von Toten und Verwundeten auf russischer Seite auf 1:3. Damit würden täglich zwischen 300 und 400 russische Kämpfer ihr Leben verlieren. Hinzu kämen 900 bis etwa 1200 Verletzte.

Unklar sei derweil weiter der genaue Zeitpunkt der Gegenoffensive der Ukraine. Diese könne durchaus zeitnah erfolgen. Dem "Guardian"-Bericht zufolge befürchte die russische Seite nach NATO-Auffassung am ehesten eine Offensive im Norden von Luhansk oder südlich der Stadt Saporischschja, wo die Russen das gleichnamige Atomkraftwerk besetzt haben. Zuletzt war dort wegen Kämpfen in der Nähe mehrfach die Notstromversorgung unterbrochen worden.

Quelle: ntv.de, rog

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