Atomkraft-Talk bei Anne Will "Man steigt erst aus, wenn man woanders eingestiegen ist"
17.04.2023, 02:49 Uhr Artikel anhören
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff (Mitte) will das Atom-Thema weniger überhitzt besprechen.
(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)
Es stecken zu viele Emotionen in der Atomkraft-Diskussion. Darüber war man sich am Tag nach dem endgültigen Ausstieg in der ARD-Talkshow "Anne Will" einig. Und ganz nebenbei ging es auch noch um Angela Merkels Befähigung als Physikerin.
Wenn zwei Auslaufmodelle aufeinandertreffen, dann geht es gemächlich zu, so könnte man zumindest meinen. Am Sonntagabend in der ARD war davon wenig zu spüren. Zum einen Anne Will, zum anderen die Atomkraft - während die eine noch ein paar Monate Zeit hat, bis der Aus-Schalter betätigt wird, hatte es die andere just erlebt. Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2, die letzten drei noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke in Deutschland, hätten eigentlich bereits am 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden sollen. Aufgrund der Energiekrise liefen die AKWs in einem sogenannten 'befristeten Streckbetrieb' weiter, bis zum 15. April 2023. Dann war es das.
Eine Ära ging damit zu Ende, über 60 Jahre lang währte die Geschichte dieser Form der Energiegewinnung in Deutschland. Und was die Atomkraft während ihrer (radio)aktiven Laufbahn hierzulande begleitete, das war auch am Tag danach noch der Betriebston: Es wird diskutiert, zum Teil ziemlich lebhaft, dabei ist die Entscheidung, die Markus Söder angesichts der europäischen Gesamtlage als "energiepolitische Geisterfahrt" bezeichnete, ja nicht erst an diesem Wochenende gefallen. "Der Atomausstieg war schon lange beschlossen", so Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen).
Überhaupt müsste man die Dinge weniger zugespitzt angehen, bemerkte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff. "Wir sind gut beraten, wenn wir die Diskussion entemotionalisieren", so Haseloff, der den Atomkraft-Stopp in dieser Form nicht verantwortet hätte. Es ginge überhaupt darum, eigene Expertise in der Forschung aufzubauen, den Rückbau sorgsam zu behandeln und einen zeitlichen Puffer einzuräumen, denn: "Man steigt erst aus, wenn man woanders eingestiegen ist."
Polemik gegen Merkel
Die "Welt"-Chefökonomin Dorothea Siems hob auf die emotionale Sichtweise in Deutschland ab, was Atomkraft angeht, und erinnerte mit einem ironischen Seitenhieb an Angela Merkel zu Zeiten des Reaktorunglücks im japanischen Fukushima, das bei der Kanzlerin, so ihre Aussage damals, zum Umdenken geführt habe. Dass der älteste Reaktor einer Tsunami-Welle am Ende nicht standhielt - "was lernt man da als Physikerin Neues dazu?". Japan sei ohnehin kein Beispiel für Deutschland, da man sich im Nachgang der Ölkrise 1973, als dort "wirklich das Licht ausging", vollends auf Atomkraft als Alternative konzentrierte.
Während Siems den Ausstieg als Fehler bezeichnete und auf die Situation bei den Kohlekraftwerken verwies - "wir sind so dreckig wie sonst nur Polen oder Tschechien, die auch sehr kohlelastig sind" - holte der Astrophysiker und Wissenschaftsjournalist Harald Lesch die Runde mit Verve auf den Boden der Tatsachen zurück. Jenes Fundament also, auf dem ein Grüner wie Robert Habeck heute sagt, dass Atomkraft in der Ukraine etwa völlig okay sei, "solange die Dinger sicher laufen, sie sind ja gebaut".
"Es sollte uns zu denken geben, dass es kein Unternehmen auf der Welt gibt, das Atomkraft versichert", konstatierte Lesch. "Finger weg! Never again! Wer bringt am Ende den Müll aus der Küche? Diese Technologie ist eine Sackgassen-Technologie." Und was war das für eine Aussage von CDU-Politiker Carsten Linnemann, dass die Atomkraftwerke mittelfristig ihren eigenen Müll weiterverarbeiten würden? Lesch noch einmal: "Da hat er Unsinn geredet, es gibt noch nicht einmal ein Forschungsprogramm dazu. Da muss man vorsichtig sein. Kernenergie ist die größte Kraft im Universum, das geht nicht Zack, an, Zack, aus"!
"Söder wechselt Positionen wie seine Unterhosen"
Als Johannes Vogel von der FDP noch einmal auf Söder und dessen sprunghafte Haltung zur Atomkraft angesprochen wird, hat der eine klare Meinung: "Söder wechselt seine Positionen wie Unterhosen. Einem wie ihm würde ich ungern die Verantwortung geben." Per Einspieler wurde Kanzler Scholz zitiert, der in einer Rede davon sprach, dass bis 2030 vier bis fünf Windräder aufgestellt werden müssten, dass Solar- und Elektromobilität weiter vorangetrieben sollen. Lesch zitierte flugs einen kleinen Gallier: "Das alles geht nicht wie bei Asterix und der Trabantenstadt: Ein Fingerschnipsen und die Bauten stehen. Man kann viel beschließen, aber am Ende sind es Menschen, die die Räder bauen, und da fehlen die Unternehmen, das Personal. Wo sind die Fachkräfte?" Das alles seien doch eigentlich große Chancen und tolle Möglichkeiten, aber eben schlecht kommuniziert.
Als wollten die beiden ein Beispiel dafür geben, wie es ist, wenn man suboptimal kommuniziert, verstiegen sich Göring-Eckardt und Siems immer wieder mal in Rededuellen, als ginge es darum, den andern stillzulegen. Als Siems schließlich noch die Wärmepumpen ins Spiel brachte, zog Anne Will die Reißleine: "Die nehmen wir jetzt nicht auch noch rein".
Quelle: ntv.de