Stress am rechten Rand Meloni, Le Pen und gefährliche Familienbande
17.02.2024, 13:15 Uhr Artikel anhören
Giorgia Meloni erhofft sich nach der Europawahl ein größeres Gewicht Italiens in der EU-Kommission.
(Foto: REUTERS)
Auch Familienfehden werden im nächsten EU-Parlament und in der EU-Kommission eine Rolle spielen. Giorgia Meloni hätte gerne Marine Le Pen als Verbündete, doch deren Nichte grätscht dazwischen und stößt die Tante in die Schmuddelecke.
Für die einen ist die Familie eine Last, für die anderen ein Segen. Und das nicht nur im familiären Bereich, wie man am Beispiel der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni und der Gründerin des französischen Rassemblement National (früher bekannt als Front National), Marine Le Pen, sehen kann.

Lange her: Meloni und Le Pen in einer Fernsehsendung im Jahr 2015.
(Foto: picture alliance / Photoshot)
Die Melonis halten privat wie im politischen Alltag wie Pech und Schwefel zusammen, ob sie nun blutsverwandt oder eingeheiratet sind. So ist Francesco Lollobrigida nicht nur Landwirtschaftsminister, sondern auch der Schwager von Giorgia Meloni. Seine Frau Arianna ist die zwei Jahre ältere Schwester der Regierungschefin. Nach den Sommerferien, die die ganze Familie zusammen in Apulien verbracht hatte, verkündete Giorgia Meloni, dass Arianna die Führung des Parteisekretariats übernehmen wird.
Arianna hatte auch schon zuvor für Melonis Partei gearbeitet, aber eher im Hintergrund. Linksliberale Medien sahen daher in der Beförderung einen Grund mehr, den Parteinamen Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) in Sorelle d’Italia (Schwestern Italiens) zu ändern.
Zerstrittene Le Pens
Ganz anders sieht es bei den Le Pens aus, die sind seit Jahren zerstritten. Begonnen hat der Streit mit Marine Le Pen, die 2015 ihren Vater Jean-Marie - damals Ehrenvorsitzender des von ihm gegründeten rechtsextremen Front National - vor die Tür setzte. Grund dafür war, dass der alte Le Pen nicht damit aufhören konnte, die Gaskammern der deutschen Konzentrationslager als "Detail der Weltgeschichte" zu bezeichnen. Marine wollte bürgerlich wirken, deshalb benannte sie die Partei auch 2018 in Rassemblement National (Nationale Versammlung) um.

Inzwischen politisch völlig zerstritten: Marine Le Pen (l.) und ihre Nichte Marion Maréchal im Jahr 2017.
(Foto: picture alliance / abaca)
Zudem gingen Nichte Marion Maréchal und Tante Marine Le Pen getrennte Wege. Es hieß, die Tante sei Marion nicht radikal genug gewesen. Außerdem wollte Marion wohl nicht mehr in deren Schatten stehen.
Familienbande und Familienstreitigkeiten sind in der Politik nichts Neues. In diesem Fall dürften sie jedoch noch interessant werden, was mit den EU-Parlamentswahlen Anfang Juni zu tun hat. Diese könnten nämlich Meloni einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen.
EKR und ID
Melonis Fratelli gehören im Europaparlament der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) an, während Le Pens Rassemblement National der Fraktion Identität und Demokratie (ID) angehört. ID-Fraktionschef ist der italienische EU-Abgeordnete Marco Zanni von der Lega - deren Vorsitzender ist Matteo Salvini, Italiens stellvertretender Regierungschef, Melonis Koalitionspartner. Beide Gruppierungen gehören zum rechten Spektrum im EU-Parlament, wobei die ID-Fraktion, zu der auch AfD und FPÖ gehören, noch weiter rechts steht als die EKR-Fraktion.
Zuletzt berichteten italienische und französische Zeitungen immer wieder von einer wachsenden Sympathie und möglichen Annäherung zwischen Meloni und Le Pen. In der französischen Zeitung "Le Monde" hieß es sogar, Le Pen würde sich nicht nur der italienischen Premierministerin annähern, sondern gleichzeitig von der AfD distanzieren. So fand sie nach Bekanntwerden des Potsdamer Treffens, auf dem über "Remigration" gesprochen wurde, deutliche Worte Richtung AfD.
Allerdings grätschte Marion Maréchal, die bis 2018 unter dem Nachnamen Maréchal-Le Pen auftrat, dazwischen. Statt des Rassemblement National klopft nämlich die französische Partei "Reconquête" (Rückeroberung) an die Tür der EKR-Fraktion. Sie wolle sich nach den EU-Wahlen der Fraktion anschließen, berichtete das Portal "Euroactiv" Ende vergangener Woche.
Reconquête wurde 2022 vom migranten- und islamfeindlichen Journalisten Éric Zemmour gegründet und gehört bisher im EU-Parlament noch keiner Fraktion an. Spitzenkandidatin bei den anstehenden EU-Wahlen soll die stellvertretende Parteivorsitzende werden: Marion Maréchal, die bereits bei der französischen Präsidentschaftswahl 2022 nicht die eigene Tante unterstützte, sondern Zemmour. Pikantes Detail: Maréchals italienischer Mann Vincenzo Sofo sitzt bereits seit 2020 im EU-Parlament. Erst gehörte er als Lega-Mitglied der ID-Fraktion an, wechselte aber ein Jahr später zu Fratelli d’Italia und damit zur EKR-Fraktion.
Ein besonders fieser Zug
Zwar ist ein Wechsel des Rassemblement National von der ID- zur EKR-Fraktion unwahrscheinlich, denn Le Pen und Lega-Chef Salvini sind eng befreundet. Aber wenn nicht mal die Blutsbande Le Pens halten - warum sollte das dann für eine politische Freundschaft gelten?
Der französische Politologe und EU-Abgeordnete Bernard Guetta, der der liberalen EU-Fraktion Renew Europe angehört, hält das Vorgehen von Zemmour und Maréchal für einen gewieften Zug. Der italienischen Tageszeitung "La Stampa" sagte er: "So drängen sie Le Pen hin zu den deutschen Neonazis, während Reconquête sich in einer repräsentableren Fraktion wird einrichten können."
Für Le Pen muss sich dieser Zug besonders fies angefühlt haben. Seit Längerem widmet sie sich - auch mit Blick auf die französischen Präsidentschaftswahlen 2027 - der "Dédiabolisation" der Partei, also der Entteufelung. Will heißen: Sie möchte sich und ihre Partei von dem Ruf befreien, antisemitisch und rechtsradikal zu sein. Die Ablegung des Namens Front National scheint dabei nicht wirklich geholfen zu haben.

Marion Maréchal tritt für die Partei von Éric Zemmour bei der EU-Wahl an.
(Foto: picture alliance / abaca)
Streitpunkt von der Leyen
Das Portal "Euroactiv" schreibt zu dem ganzen Vorgang, die Erweiterung der EKR werde wahrscheinlich die Fratelli d’Italia noch mehr stärken. Denn die größte Partei innerhalb einer Fraktion hat in der Regel Führungspositionen inne, etwa den Fraktionsvorsitz oder eine Vizepräsidentschaft des EU-Parlaments. Vorausgesetzt natürlich, Reconquête tritt letztlich wirklich der EKR-Fraktion bei und Meloni verweigert dies nicht.
Scheitern könnte der Beitritt auch ausgerechnet an einer Deutschen: Maréchal will auf jeden Fall eine zweite Amtszeit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verhindern. Meloni hat sich dazu bisher zwar nicht geäußert, aber seit ihrem Amtsantritt alles getan, um einen guten Draht, wenn nicht sogar eine gute Beziehung zu von der Leyen aufzubauen. Das liegt sicher nicht an purer Sympathie. Vielmehr will Meloni Italien mehr Gewicht in der kommenden EU-Kommission sichern. Gegenwehr von Reconquête kann sie da in ihrer Fraktion nicht gebrauchen.
Quelle: ntv.de