Politik

Kanzlerin außer Dienst Merkel: "Jetzt bin ich frei"

Viel nachzuholen: "Ich bin nie einfach so auf der Loreley gewesen oder an der Moselschleife oder alleine im Trierer Dom oder Speyerer Dom", sagt Altkanzlerin Merkel.

Viel nachzuholen: "Ich bin nie einfach so auf der Loreley gewesen oder an der Moselschleife oder alleine im Trierer Dom oder Speyerer Dom", sagt Altkanzlerin Merkel.

(Foto: AP)

Seit einem halben Jahr ist Angela Merkel nicht mehr Bundeskanzlerin. Nun gibt sie Einblicke in ihr neues Leben ohne Termindruck. Im Ruhestand will sie das Land neu für sich entdecken, sagt sie. Ihren Einsatz für die Gas-Pipeline Nord Stream 2 verteidigt Merkel erneut.

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich in einem Interview ausführlich zu ihren letzten Monaten im Amt und den aktuellen Konflikten mit Russland geäußert und gleichzeitig Freude über ihre neue Rolle als Privatmensch gezeigt. "Ich war schon ganz schön geschafft", sagte Merkel dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Aber sie sei kein "halbtotes Wrack" geworden. "Manchmal ist es noch ungewohnt, dass ich keinen Termindruck mehr habe." Doch die Vorteile würden überwiegen, "jetzt bin ich frei", sagte die Altkanzlerin.

Die "emotionalste Phase" im Amt sei für sie rückblickend die Flüchtlingskrise gewesen, betonte Merkel. "2015/2016 war es eine extrem anstrengende Zeit, in der ich aber innerlich sehr gefestigt war." Ihr Handeln habe dem C im Namen ihrer Partei entsprochen sowie dem Artikel eins des Grundgesetzes. Das C in der CDU steht für christlich. Der Grundgesetz-Artikel eins verpflichtet zum Schutz der Würde des Menschen und enthält ein Bekenntnis zu den Menschenrechten.

Als im Spätsommer 2015 viele vor allem syrische Flüchtlinge über Ungarn und Österreich nach Deutschland kamen, entschied Merkel, die deutschen Grenzen nicht zu schließen. Einer ihrer bekanntesten Sätze fiel damals: "Wir schaffen das." Merkels Entscheidung war innerhalb der Union, aber auch in der Gesellschaft umstritten.

Merkel will den Westen neu entdecken

Merkel hat einen ostdeutschen Hintergrund und wuchs in der DDR auf. Allerdings vermied sie es während ihrer Kanzlerschaft weitgehend, zu stark darauf Bezug zu nehmen. Nun will sie in ihrem neuen Lebensabschnitt auch den Westen Deutschlands näher kennenlernen. "Ich bin selten zweckfrei in den alten Bundesländern gewesen", sagte die frühere Kanzlerin. "Ich bin nie einfach so auf der Loreley gewesen oder an der Moselschleife oder alleine im Trierer Dom oder Speyerer Dom."

Für viele Anliegen sei während ihrer Kanzlerschaft einfach zu wenig Zeit geblieben - auch für die Trauer um ihre Mutter, die im April 2019 wenige Tage vor einem EU-Gipfel starb, räumte Merkel ein. "Das gehört zur Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit. Wenn EU-Rat ist, ist EU-Rat. Wenn Nachtsitzung ist, ist Nachtsitzung. Wenn ich nicht mit 40 Fieber im Bett liege, fahre ich eben zum EU-Rat." Das sei ihr Amtsverständnis gewesen. Ihre politische Zeit über gut 30 Jahre habe sie aber auch als eine große Ehre empfunden. Darüber sowie über ihre Kindheit und Jugend in der DDR werde sie mit ihrer langjährigen Büroleiterin Beate Baumann nun ein Buch schreiben.

Am Ende kein Einfluss mehr auf Putin

Merkel verteidigte im RND-Interview auch ihre Entscheidungen zum Bau der Ostsee-Gasleitung Nord Stream 2 nach Russland. "Ich habe nicht an Wandel durch Handel geglaubt, aber an Verbindung durch Handel, und zwar mit der zweitgrößten Atommacht der Welt", sagte die CDU-Politikerin, die von 2005 bis 2021 Bundeskanzlerin war. Es sei aber keine einfache Entscheidung gewesen.

"Die damalige These lautete: Wenn Nord Stream 2 in Betrieb ist, wird Putin durch die Ukraine kein Gas mehr liefern oder sie sogar angreifen." Der Westen habe aber dafür gesorgt, dass Gas trotzdem durch die Ukraine geleitet worden sei. Die deutsche Wirtschaft hatte sich jedoch damals für den Gastransport aus Russland entschieden, weil dies ökonomisch billiger war als Flüssiggas aus arabischen Staaten oder später auch aus den USA zu beziehen.

Merkel räumte ein, dass ihr Einfluss auf Kreml-Chef Wladimir Putin kurz vor ihrem Amtsende schwand. "Es war ja klar, dass ich nicht mehr lange im Amt sein würde, und so muss ich einfach feststellen, dass verschiedene Versuche im vorigen Jahr nichts mehr bewirkt haben", sagte sie. Putin sei nicht mehr zu einem Gipfeltreffen im sogenannten Normandie-Format mit Vertretern Russlands, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs bereit gewesen. "Andererseits gelang es mir auch nicht, neben dem Normandie-Format ein zusätzliches europäisch-russisches Gesprächsformat über eine europäische Sicherheitsordnung zu schaffen." Russland hatte sein Nachbarland Ukraine dann am 24. Februar überfallen.

Quelle: ntv.de, jog/dpa

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