Auch mit dem Wissen von heuteMerkel sieht keine Fehler in ihrer Russlandpolitik

Ob Nord Stream 2 oder Nato-Mitgliedschaft der Ukraine: Merkel rechtfertigt ihren Umgang mit Kremlchef Putin. Obwohl ihr offenbar seit vielen Jahren klar war, "dass da eine ernsthafte Gefahr ist".
Altbundeskanzlerin Angela Merkel steht weiterhin zu ihrer Russlandpolitik. Auf die Frage in einem Phoenix-Interview, ob sie mit dem Wissen von heute Fehler sehe, antwortete sie: "Nein". Für die Pipeline Nord Stream 2 habe es "sehr gute Gründe" gegeben - "auch aus eigenem Interesse, aus billigen Energiepreisen, aber auch noch aus anderen Gründen gab es Gründe, diese Pipeline zu bauen. Sie ist ja auch nie in Betrieb gegangen." Das Pipeline-Projekt, das Erdgas von Russland nach Deutschland liefern sollte und deren Bau 2018 begonnen hatte, war bereits damals umstritten, wenige Jahre zuvor hatte Russland die Ostukraine angegriffen und die Krim annektiert. Nach der russischen Vollinvasion ging Nord Stream 2 dann nicht mehr in Betrieb.
Zugleich gestand Merkel ein, dass sie sich keine Illusionen über Kremlchef Wladimir Putin gemacht habe. "Dass da eine ernsthafte Gefahr ist, das war mir seit vielen, vielen Jahren klar." Schon beim Bukarest-Gipfel der Nato 2008 habe sie überlegt, was ein Membership Action Plan, die Vorstufe zu einer Nato-Aufnahme, für Georgien und die Ukraine bedeuten würde. Dabei hätten die damaligen Beitrittskandidaten eine Übergangsfrist von drei bis fünf Jahre gehabt.
"Und ich habe mir damals schon Sorgen gemacht: Was macht Putin in diesen drei bis fünf Jahren? Wird er einfach zuschauen, was da passiert, oder wird er Fakten schaffen?" Er sei dann ja auch in Georgien einmarschiert. "Das heißt, ich hatte schon den Eindruck, dass Putin mit einer gewissen Aggression und einer großen Beständigkeit auch versucht, seine Einflusssphäre zu vergrößern." Kritiker werfen Merkel vor, dass gerade das Verhindern eines Nato-Beitritts damals den russischen Angriffskrieg erst ermöglicht habe.
Zur Frage nach der schlecht ausgestatteten Bundeswehr gestand Merkel ein, dass die Bundesregierung damals nur sehr langsam vorangekommen sei, so dass sie nicht das Versprechen des Nato-Gipfels von Wales habe erreichen können. Dies verlangte von den Mitgliedsstaaten, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in den Verteidigungshaushalt zu stecken. Damals habe es viele Diskussionen gegeben, so Merkel. Aber sie habe es auch nicht vermocht, die SPD von der Anschaffung bewaffneter Drohnen überzeugen können. "Das hat mich damals schon geärgert." Um so schneller müsse es jetzt gemacht werden.
Auch für die Aussetzung der Wehrpflicht gab es laut Merkel damals "sehr, sehr gute Gründe". Der Passus sei ja nicht aus der Verfassung gestrichen worden, "sondern man kann mit einfacher Mehrheit unter veränderten Sicherheitsbedingungen heute anders vorgehen". Zeiten änderten sich, so Merkel.
Merkel wies zudem den Vorwurf zurück, sie habe die baltischen Staaten und Polen für den Ausbruch des Ukraine-Krieges mitverantwortlich gemacht. Das seien "Fake News", eine Passage ihrer Autobiografie "Freiheit" sei "in einen falschen Kontext" gesetzt worden. Darin hieß es, die baltischen Staaten und Polen hätten 2021 ein von Merkel vorgeschlagenes Dialogformat mit Russland abgelehnt. "Ich fand es einfach nicht gut, dass wir Europäer nicht auch das Gespräch mit Putin suchten und es einfach der amerikanischen Administration überlassen." Doch damit sei "keine Schuldzuweisung verbunden". In den baltischen Staaten hatten Merkels Äußerungen Empörung hervorgerufen.
"Dieser Krieg ist ausgebrochen, er hat unsere Welt verändert, das ist eine Aggression der russischen Föderation, der russischen Republik, Wladimir Putins", sagte Merkel - und sieht die Schuld bei vielen: "Wir alle haben nicht vermocht, alle, ich, alle anderen haben nicht vermocht, diesen Krieg zu verhindern." Das sei der Sachverhalt.