Kurden und Türken im Konflikt Offensive heizt Stimmung in Deutschland auf
13.10.2019, 14:30 Uhr
In vielen deutschen Städten demonstrieren Kurden gegen den Einmarsch der Türkei in Nordsyrien.
(Foto: REUTERS)
Millionen Türken und Kurden leben in Deutschland. Seit der türkischen Militäroffensive in Syrien wachsen die Spannungen zwischen beiden Lagern. Der Konflikt in der Ferne ist für manche ganz nah. Ein Experte warnt vor den Folgen.
Die Stimmung ist angespannt. Mit der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien wachsen die Befürchtungen, dass sich Konflikte zwischen Menschen mit türkischen und kurdischen Wurzeln auch in Deutschland entladen. Eine Eskalation auf beiden Seiten sei nicht auszuschließen, sagt der Politikwissenschaftler und Türkeiexperte Burak Çopur. "Wir sitzen hier in Deutschland auf einem Pulverfass."
Die Mehrheit der geschätzten bundesweit bis zu 1,2 Millionen Kurdischstämmigen kommt aus der Türkei. Viele leben in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Berlin, Hamburg oder im süddeutschen Raum. "Die Stimmung hierzulande kann man nicht isoliert von der politischen Entwicklung in der Türkei betrachten, die sich eins zu eins in Deutschland widerspiegelt", glaubt der Professor der privaten Hochschule IUBH Dortmund.
"Je nachdem, in welcher Länge und mit welcher Intensität die völkerrechtswidrige Invasion der Türkei in Nordsyrien andauert, werden auch die Polarisierung und die Konflikte zwischen Deutsch-Türken und Deutsch-Kurden zunehmen." Vor allem herrsche große Angst um Angehörige.
"Ich lebe in Deutschland, aber fühle mich wie im Krieg"
"In unserer Gemeinde sind viele, die aus den kurdischen Gebieten in Syrien stammen. Fast alle haben dort Freunde, Familie, Nachbarn und sind jetzt in schrecklicher Sorge", erzählt Leylan Mela-Abdullah aus Siegen. Auch sie selbst bange um ihre Schwester und ihren Bruder mit drei Kindern. "Wenn wir telefonieren, höre ich die Bomben. Ich lebe und arbeite in Deutschland, aber ich fühle mich, als wäre ich mitten im Krieg", sagt die Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde Siegen. "Das ist eine ethnische Säuberung gegen die Kurden. Kinder und Ehepaare sterben, die nie irgendwas mit Milizen zu tun haben. Es trifft die Bevölkerung."
Sie beobachtet mit Blick auf die Beziehung von Türken und Kurden hierzulande: "Der Hass steigt hoch, definitiv." Mela-Abdullah sieht die Lage so: "Während Kurden weinen und beten, dass die Invasion zuende geht, rufen türkische Ditib-Moschee-Gemeinden zum Gebet für Erdogans Sieg auf." Die Situation sei heikel. Auch der "Kölner Stadt-Anzeiger" berichtet von solchen Fällen in Ditib-Gemeinden, was der Bundesverband der Türkischen Islamischen Union (Ditib) aber zurückweise.
Proteste der Kurden verliefen zunächst friedlich. Auch am Wochenende demonstrierten wieder viele Tausend etwa in Köln, Hamburg, Hannover, Frankfurt am Main, Berlin oder Bremen und forderten "Schluss mit dem Massaker". Bei einer Demonstration in Stuttgart kam es zu Ausschreitungen. Anfang 2018, nach dem türkischen Einmarsch im nordsyrischen Afrin, hatte es in Deutschland Angriffe militanter kurdischer Gruppen gegeben.
Spannungen unter Azubis und auf dem Schulhof spürbar
Mit der international scharf kritisierten neuen Offensive seit Mittwoch will die Türkei die Kurdenmilizen vertreiben, die sie als terroristisch einstuft. "Die Kurdenfrage ist ein ungelöster Identitätskonflikt in der Türkei, der mit der Migration auch nach Deutschland getragen wurde", betont Copur. Die türkische Community hierzulande sei von einem islamisch-konservativen Milieu dominiert. Ankara versuche hier auch mithilfe seiner Lobby-Organisationen und über die sozialen Netzwerke auf Kurdischstämmige und Andersdenkende Druck auszuüben. "Die Kriegspropaganda des Erdogan-Regimes ist über die türkischen Massenmedien und Social Media in Sekundenschnelle bei der türkischen Community in Deutschland und heizt dort die Stimmung weiter an."
Der Journalist Hüseyin Topel meint, es gebe Kurdischstämmige, die sich hierzulande schon im Jugendalter ausgeschlossen fühlten. Es komme zu Provokationen zwischen ihnen und jungen Deutsch-Türken. Manche türkische Jugendliche freuten sich über den Einmarsch. In Betrieben seien Spannungen etwa unter Azubis ebenso spürbar wie auf dem Schulhof, erzählt der Deutsch-Türke. Anstachelnd wirke eine türkische TV-Erfolgsserie, die auch bei Türken in Deutschland beliebt sei. Darin werde der Held als Eroberer dargestellt, und der habe starke Bezüge zu Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, schildert Topel.
Was die Sache besonders schwierig macht: Auch unter den Kurden gebe es nicht nur eine Auffassung, sondern unterschiedliche Positionen - manchmal sogar in ein und derselben Familie. Copur sieht hier allerdings die Erdogan-Kritiker in der deutlichen Mehrheit. Viele Kurden seien aus der Türkei geflüchtet und hätten ein großes Problem mit dem türkischen Staat und Erdogan.
Fans fordern Rauswurf von St. Pauli-Profi Sahin
Serdar Yüksel, NRW-Landtagsabgeordneter mit kurdischen Wurzeln, macht Erdogan verantwortlich "für Zuspitzung und Polarisierung und dass sich die Menschen hier weiter spalten und sich nicht mehr im vernünftigen demokratischen Diskurs begegnen". Er hofft, dass es friedlich bleibt.

Die türkische Nationalmannschaft bejubelte ihren Siegtreffer gegen Albanien mit einem militärischen Gruß.
(Foto: REUTERS)
Für Wut sorgt der Fußballprofi Cenk Sahin vom Zweitligisten FC St. Pauli, der gerade auf Instagram in Türkisch schrieb: "Wir sind an der Seite unseres heldenhaften Militärs." Der Verein distanziert sich klar, Fans fordern seine Kündigung. Auch die türkische Nationalmannschaft irritierte viele, als sie nach einem Treffer im EM-Qualifikationsspiel gegen Albanien in Reih und Glied salutierte. Aus der Kabine heraus widmete sie ihren Sieg "den tapferen Soldaten und Märtyrern". Die Uefa ermittelt, weil ihre Regularien politische Äußerungen verbieten.
Außenminister Heiko Maas von der SPD hat bereits Einschränkungen von Rüstungsexporten in die Türkei angekündigt und vor einer humanitären Katastrophe gewarnt. Erdogan verwahrt sich gegen jegliche Kritik. In Hürth bei Köln will sich nun am Montag das türkische Generalkonsulat zur Offensive "Friedensquelle" äußern.
Quelle: ntv.de, Yuriko Wahl-Immel, dpa