
Der russische Präsident Putin sehnt sich seit der umstrittenen Annexion der Krim nach einer diplomatischen Wiederaufwertung.
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Russland intervenierte in Syrien vor allem, um international wieder an Macht zu gewinnen. Moskaus blutiges Spiel zeigte auch lange Erfolg. Doch Präsident Putin verpasste den richtigen Zeitpunkt, um es zu beenden.
Seit 365 Tagen beteiligt sich Russland militärisch am syrischen Bürgerkrieg. Für Präsident Wladimir Putin sind das mindestens elf Tage zu viel.
Russland kam seinen Zielen durch seine Intervention in Syrien lange näher – dem Erhalt seiner Bedeutung im Nahen Osten, dem Weg heraus aus internationaler Isolation und zurück zur Rolle einer Großmacht. Doch am 19. September kehrte sich diese Entwicklung um – womöglich endgültig. Putin wagte zu viel.
Am 19. September ließ der Kreml-Chef es zu, dass sein Schützling, der syrische Machthaber Baschar al Assad, auch die x-te Waffenruhe in Syrien aufkündigte. Dabei hätte genau dieser Deal Putin das beschert, wonach er sich so lange gesehnt hat: Die Waffenruhe, die Moskau und Washington ausgehandelt hatten, hätte Russland auch zu einem Partner der USA im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat gemacht – zu einem Partner auf Augenhöhe.
Denn der Deal sah eine weitreichende militärische Kooperation in Syrien vor. Russland hätte zugleich den Friedensprozess, der auf die Waffenruhe gefolgt wäre, mitbestimmen können. So hätte Moskau nicht nur diplomatisch wieder an Gewicht gewonnen, sondern hätte sich auch seinen Einfluss im Nachkriegs-Syrien sichern können. Selbst in der besonders Assad-kritischen Türkei waren Stimmen zu hören, den Machthaber zumindest vorübergehend dulden zu können. Und für Russlands Einfluss in dem Land wäre das nicht einmal nötig gewesen. Irgendein Kreml-treuer Nachfolger hätte gereicht. Aber aus all dem wird nun nichts mehr.
Seit das Abkommen geplatzt ist, wendet sich die Welt im Hoffen auf einen Kompromiss, der das Sterben in Syrien beenden könnte, Putin nicht mehr zu. Sie wendet sich ab. Zunächst, indem ranghohe Diplomaten aufhörten, zwischen Assads und Putins Schandtaten zu differenzieren. Putin wird nun voll in Mithaftung genommen für Assads Morden, auch wenn russische Soldaten nicht direkt daran beteiligt sind. Es reicht, dass Moskau seinen Einfluss auf den Mann in Damaskus nicht nutzt, um das Morden zu verhindern.
UN-Gesandte Großbritanniens und Frankreichs warfen Russland in diesem Sinne vor, möglicherweise Kriegsverbrechen begangen zu haben, UN-Generalsekretär Ban Ki Monn deutete dies indirekt an. Völlig zu Recht: Seit dem Ende der Waffenruhe zerstörte die russisch-syrische Allianz zwei Krankenhäuser und bombardierte Wohngebiete mit international geächteten Waffen. Sie wird auch für den Angriff auf einen Hilfskonvoi der Vereinten Nationen verantwortlich gemacht.
Der Westen hat sein nicht-militärisches Drohpotenzial nicht ausgeschöpft
Der zweite Schritt, der eine Abkehr von Russland markiert: US-Außenminister John Kerry kündigte an, dass er alle Gespräche mit Moskau zum Thema Syrien stoppen werde, wenn die völkerrechtswidrigen Angriffe auf Aleppo nicht aufhörten. Der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, sprach in einem Pressebriefing offen über die Möglichkeit, mit wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland zu vorzugehen. "Finanz-Sanktionen haben sich als nützliches Werkzeug erwiesen, um unsere Interessen auf der ganzen Welt durchzusetzen", sagte er. Die USA und Brüssel nutzen dieses Mittel bereits wegen der russischen Annexion der Krim. Doch die Möglichkeiten, der Wirtschaft der Russischen Föderation zu schaden, sind bei weitem nicht ausgeschöpft. Washington pocht vor allem darauf, dass weitere Schritte in Kooperationen mit Amerikas Partnern erfolgen.
Der Druck auf die russische Wirtschaft mag wegen des steigenden Ölpreises zwar gerade sinken, doch noch mehr Sanktionen könnten Putin innenpolitisch Probleme bereiten – insbesondere, wenn sie die mächtigen Oligarchen- und Kreml-Funktionäre in seinem näheren Umfeld betreffen.
Einen besseren Deal bekommt Putin nicht mehr
Zuletzt hieß es aus US-Regierungskreisen gar, dass auch eine militärische Reaktion auf Moskaus Verbrechen erwogen würde. Präsident Barack Obama schließt zwar direkte Angriffe auf russische Truppen oder das syrische Regime aus und will auch keine größere Zahl an Bodentruppen in den Bürgerkrieg schicken, zur Debatte steht aber eine stärkere Aufrüstung der syrischen Rebellen.
Die fordern seit langem vor allem eines: Luft-Abwehr-Raketen. Für die Lage in Syrien und insbesondere für Russland würden diese einen gewaltigen Unterschied machen. Der Einsatz der russischen Armee ist anders als in der Ukraine in der Heimat nicht beliebt. Dass es um die Stimmung nicht noch schlechter steht, hängt auch damit zusammen, dass er für Russland noch relativ ungefährlich ist. Bisher verloren Berichten zufolge 20 russische Soldaten ihr Leben. Die Zahl könnte schnell steigen, sollten die Rebellen über Stinger-Raketen verfügen.
Die Angst, dass derartige Systeme auch in die Hände radikaler Islamisten fallen, ist bei den USA und ihren Verbündeten groß. Dass sie nach Syrien geliefert werden, ist daher entsprechend unwahrscheinlich. Sicher ist dagegen: Russland wird angesichts der Stimmung in Washington auf absehbare Zeit wohl nicht noch einmal einen derart guten Deal angeboten bekommen.
Schon als dieser ausgehandelt wurde, waren die Widerstände gegen die geplante militärische Zusammenarbeit zwischen den USA und Russland immens. Insbesondere aus dem Pentagon ertönten laute Rufe, dass Putin es mit seiner Diplomatie ohnehin nicht ernst meinen würde. Diese Vorbehalte hat Putin nun bestätigt.
Wie geht es nun weiter? Entweder schließt der Kreml-Chef einen für ihn schlechteren Friedens-Deal ab oder er setzt darauf, den Syrien-Krieg militärisch zu lösen. Das gilt schon angesichts der vielen Stellvertreterkräfte, die daran beteiligt sind, als praktisch ausgeschlossen. Doch selbst wenn Russland das Unvorstellbare gelingen sollte, wäre es kein echter Gewinn für Putin. Ein international vollends isolierter Kreml wäre auf kaum absehbare Zeit dazu verdammt, eine fragile Assad-Diktatur zu stützen – eine verhasste Herrschaft in einem vollends zerstörtes Land.
Quelle: ntv.de