Dutzende tote Kriegsgefangene Rotes Kreuz hat keinen Zugang zu verletzten Ukrainern
31.07.2022, 14:21 Uhr
Ein Satellitenfoto zeigt die zerstörte Gefangenenbaracke. Die Nachbargebäude stehen noch.
(Foto: AP)
Noch ist vieles im Fall Oleniwka unklar. Fest steht aber: Dutzende Ukrainer sterben bei dem Angriff auf das Gefangenenlager. Kiew und Moskau beschuldigen sich gegenseitig. Und dem Roten Kreuz wird - entgegen internationalem Recht - ein Ersuchen um Zugang zu den überlebenden Gefangenen nicht stattgegeben.
Das Rote Kreuz wartet nach dem Angriff auf ein Gefangenenlager im Osten der Ukraine bislang vergeblich auf Zugang zu den Verletzten. "Um es klar zu sagen: Unserem Ersuchen um Zugang zu den Kriegsgefangenen aus dem Gefängnis Oleniwka wurde gestern nicht stattgegeben", twitterte die Delegation des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in der Ukraine am Samstagabend. Das russische Verteidigungsministerium sagte dagegen in Moskau, es habe das IKRK zu einem Besuch eingeladen.
Oleniwka liegt bei Donezk auf dem von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiet. In der Baracke mit Kriegsgefangenen soll in der Nacht zu Freitag eine Rakete eingeschlagen sein. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem vorsätzlichen russischen Kriegsverbrechen. Nach russischer Darstellung wurde die Einrichtung von einem HIMARS-Mehrfachraketenwerfer aus den USA getroffen, den die ukrainische Armee einsetzt. Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte am Samstag die Namen von 50 getöteten und 73 verletzten Gefangenen. In dem Gefängnis befanden sich viele Kämpfer des Asow-Regiments, das sich im Mai ergeben hatte.
Das strikt neutrale IKRK ist nach internationalem Recht, das für alle Staaten der Welt gilt, befugt, Kriegsgefangene zu besuchen. "Die Dritte Genfer Konvention gibt dem IKRK das Recht, überall dorthin zu gehen, wo sich Kriegsgefangene aufhalten, und sie zu befragen", erklärt das IKRK auf seiner Webseite. Allerdings brauchen die Delegierten dafür formell die Zustimmung der Partei, die die Kriegsgefangenen festhält.
Offenbar keine Wachsoldaten getötet
Der ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Dmytro Lubinez bat am Samstag das IKRK darum, Zugang zum beschossenen Gefängnis zu fordern. Es gebe schon jetzt Hinweise darauf, dass es sich um eine "geplante russische Militäroperation" gehandelt und dass die Explosion "im Inneren des Gefängnisses" stattgefunden habe, sagte Lubinez. Unter anderem sei das nun angegriffene Gebäude zuvor separat erbaut worden. Eine nahegelegene Kaserne sei von dem Angriff nicht berührt worden. Dort seien sogar die Fenster unbeschädigt, russische Soldaten seien "auf wundersame Weise" nicht verletzt worden. Tatsächlich gibt es keine Zeugen für den Anflug der angeblichen ukrainischen Rakete. Auch sollen nur Gefangene und keine Wachleute aus der sogenannten Volksrepublik Donezk getroffen worden sein.
Erste Analysen von Bildern und Videos wecken ebenfalls Zweifel an der russischen Version, dass die Ukrainer ihre eigenen Soldaten getötet hätten. "Hätte eine HIMAR eingeschlagen, läge das Gebäude in Trümmern. Das Mauerwerk ist allerdings größtenteils noch intakt", analysiert der Ex-Militär Thomas C. Theiner auf Twitter. Auch das US-amerikanische Institute for the Study of War hält die ukrainische Behauptung anhand der visuellen Beweise für wahrscheinlicher. Allerdings erklärt das Institut auch, es könne derzeit weder die Art des Angriffs noch die dafür verantwortliche Partei unabhängig bewerten.
Wie die Nachrichtenplattform Nexta schreibt, könnten bei dem Angriff auf das Lager in Oleniwka thermobare Waffen, auch Vakuumbomben genannt, eingesetzt worden sein. Darauf deute die Art der Beschädigung des Gebäudes hin. Demnach fehle ein Krater, der durch einen Raketeneinschlag entstanden wäre. Auch gebe es keine Schäden durch eine Explosion.
Entsetzen über russischen Tweet
Der ukrainische Verdacht, dass die Kriegsgefangenen absichtlich getötet wurden, dürfte noch durch einen russischen Tweet genährt werden. Am Freitagabend schrieb die russische Botschaft bei Twitter, Asow-Kämpfer verdienten keine Exekution "durch ein Erschießungskommando", sondern einen "erniedrigenden Tod" etwa durch Erhängen, da es "keine echten Soldaten" seien.
Die ukrainische Regierung reagierte empört. Den Tweet sollten all diejenigen lesen, die "sagten, dass Russland nicht isoliert werden soll", schrieb der Sprecher des Kiewer Außenministeriums, Oleg Nikolenko, auf Twitter. Es gebe "keinen Unterschied zwischen russischen Diplomaten, die die Exekution Gefangener fordern und den russischen Truppen, die sie in Oleniwka ausführen".
Quelle: ntv.de, ghö/dpa