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Wasser als Kriegswaffe? Russen fluten Felder bei Tokmak

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Satellitenfoto vom 27. Juni: Östlich von Tokmak sind der Damm und das aufgestaute Wasser gut zu erkennen.

Satellitenfoto vom 27. Juni: Östlich von Tokmak sind der Damm und das aufgestaute Wasser gut zu erkennen.

(Foto: © Sentinel Hub / ESA)

Sollen sumpfartige Bedingungen die Gegenoffensive der Ukrainer verzögern? Satellitenbilder zeigen, dass die russischen Besatzer bei Tokmak einen Fluss stauen und so die angrenzenden Felder überschwemmen. Es ist nicht der einzige Fall, in dem Wassermassen im Krieg als Waffe genutzt werden.

Das russische Militär hat am Rande von Tokmak in der Region Saporischschja einen Damm aus Sandbarrieren errichtet. Wie das Investigativ-Netzwerk Bellingcat schreibt, liegt der Damm innerhalb der russischen Verteidigungslinien, die sich rund um die Kleinstadt ziehen. Der Bericht stützt sich auf hochauflösende Satellitenbilder des US-Unternehmens Planet Labs. Auf diesen sind Baumaßnahmen östlich des Stadtgebiets zu erkennen: Der aufgeschüttete Wall ist offenbar breit genug, um den Fluss Tokmakka östlich der Stadt zurückzuhalten. Teilweise sind auch schon angrenzende Felder überschwemmt.

Wie Bellingcat weiter berichtet, wurde der Damm offenbar Anfang Mai noch vor Beginn der ukrainischen Gegenoffensive errichtet. Die Investigativplattform vermutet, dass die Stauung den Vormarsch der Ukrainer verzögern soll. In den vergangenen Monaten haben die Russen vielschichtige Verteidigungslinien errichtet, die aus mehreren Linien von Minenfeldern, Panzerabwehrgräben, Betonhindernissen und Gräben bestehen. Ein Teil dieser Sperren ist auch auf aktuellen Satellitenbildern zu erkennen.

Das Centre for Journalist Investigations schätzt die Lage ähnlich ein und hält eine Flutungstaktik der Russen bei Tokmak für möglich. So berichtet es bereits Anfang Juni von Satellitenbildern, die die überschwemmten Felder zeigen. Laut dem Leiter der städtischen Militärverwaltung von Tokmak, Oleksandr Chub bestünde zwar keine unmittelbare Gefahr für die Häuser der Menschen, doch würden bereits Felder am Stadtrand überflutet. Wie das Centre for Journalist Investigations weiter schreibt, soll das russische Militär andernorts bereits die Dämme privater Teiche, die maximal mit Wasser gefüllt sind, untergraben.

Hoffen auf sumpfartige Zustände

Auch die Gruppe zum Schutz der Menschenrechte in Charkiw vermutet absichtliche Überflutungen in der Region Saporischschja durch die russischen Streitkräfte. "Russland baut oder zerstört auch Dämme in den besetzten Teilen der Oblast Saporischschja mit dem klaren Ziel, das Gebiet zu überfluten und so die erwartete Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte zu behindern", heißt es. Sie hofften dabei offenbar auf sumpfartige Zustände, die einen Vormarsch der Ukrainer behindern könnte. Der Damm im Osten von Tokmak ist allerdings nur rund 800 Meter lang. Das bisher überflutete Gebiet deckt nur einen kleinen Teil der östlichen Flanke.

Im Krieg in der Ukraine kam es schon mehrfach zu gezielten Flutungen. Das verheerendste Beispiel für diese Art der Kriegsführung ist die mutmaßliche Zerstörung des Kachowka-Staudamms am 6. Juni. Der Damm steht seit den ersten Kriegstagen unter russischer Kontrolle. Das norwegische seismologische Institut Norsar registrierte zum fraglichen Zeitpunkt Explosionen.

Moskau und Kiew beschuldigen sich gegenseitig, den Damm zerstört zu haben. Allerdings hat Russlands Präsident Wladimir Putin mit Blick auf die Ukraine mehrfach die Unwahrheit gesagt und dies später auch eingeräumt. Bei der Zerstörung des Kachowka-Damms traten riesige Wassermassen aus und überschwemmten und kontaminierten weitflächige Gebiete. Eine Sprengung des Kachowka-Staudamms könnte ein Versuch der Russen gewesen sein, die Offensive zu verlangsamen, sagte Verteidigungsexperte Wolfgang Richter damals im Interview mit ntv.de.

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Die lang erwartete Gegenoffensive der Ukrainer startete Anfang Juni an verschiedenen Stellen der Front. Westliche Militärexperten rechnen dabei auch mit ukrainischen Vorstößen in Richtung Tokmak. Die Kleinstadt ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt im russisch kontrollierten Hinterland der Front und besitzt offenkundig große strategische Bedeutung.

Ein erfolgreicher ukrainischer Vorstoß Richtung Tokmak könnte die russischen Truppen erheblich in Bedrängnis bringen. Ein ukrainischer Angriffskeil, so die Vermutung von Beobachtern, könnte darauf abzielen, von Tokmak aus weiter nach Melitopol und zum Asowschen Meer vorzudringen. Auf diese Weise könnten die Ukrainer die russischen Verbände aufspalten und die Landbrücke von Russland zur Krim abtrennen.

Quelle: ntv.de, ghö

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