Politik

Carlo Masala bei ntv"Russland wird immer risikofreudiger"

19.11.2025, 16:52 Uhr
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Die polnische Regierung bezichtigt Russland, hinter einem versuchten Anschlag auf die polnische Eisenbahn zu stecken. Den Politikwissenschaftler Carlo Masala überrascht der Verdacht nicht. Er warnt bei ntv vor weitere Vorfällen.

Nach dem versuchten Sprengstoffanschlag entlang einer polnischen Bahnstrecke ordnet der Sicherheitsexperte Carlo Masala die Schuldzuweisung Richtung Russland als zumindest plausibel ein. Zunächst einmal sei die russische Urheberschaft nur eine "Vermutung" der polnischen Ermittler, sagte der Politikwissenschaftler der Bundeswehr-Universität in München. "Russland wird immer risikofreudiger", so Masala. "Das ist aber jetzt nicht der nächste Plan, sondern das ist die hybride Kriegsführung, die wir eigentlich schon seit Langem erleben, die aber an Intensität zunimmt."

Am Samstag und Montag war eine Eisenbahnstrecke zwischen Warschau und Lublin, über die Hilfslieferungen in die Ukraine transportiert werden, sabotiert worden. In einem Fall hätte ein Zug vermutlich durch eine Stahlvorrichtung an den Schienen zum Entgleisen gebracht werden sollen. Ein Zugführer hatte jedoch Alarm geschlagen. In dem anderen Fall detonierte ein Sprengkörper während der Durchfahrt eines Güterzugs. Verletzt wurde beide Male niemand.

Polens Regierungschef Donald Tusk machte zwei von Moskau beauftragte ukrainische Staatsbürger, die "seit Langem mit russischen Diensten zusammenarbeiten", für die beiden Sabotageakte verantwortlich. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz vermutete russische Verantwortung hinter den Taten.

"Das wird weitergehen"

Ein eindeutiger Beweis, dass Russland hinter dem Anschlagsversuch stecke, sei "verdammt schwierig" zu erbringen, sagte Masala. "Deswegen ist hybride Kriegsführung so attraktiv, weil Sie selten den harten Beweis haben, wer den Auftrag gegeben hat." Damit würden den Angegriffenen auch die Möglichkeiten fehlen, auf einen solchen Anschlag zu reagieren. "Wir hatten Brandanschläge hier in Deutschland, wo wir nicht wissen, wer es war, aber wo die Vermutung naheliegt, dass das auch Teil der hybriden Kriegsführung ist", sagte Masala. "Das wird weitergehen."

Russland führe zwei Kriege zugleich, sagte Masala, "einen mit militärischen Mitteln gegen die Ukraine und einen mit nicht-militärischen Mitteln gegen unsere Gesellschaften". Mit nicht-militärischen Aktionen solle "das Vertrauen der Menschen in die Problemlösungsfähigkeit von Demokratien unterminiert werden", so Masala. "Das ist letzten Endes das übergeordnete Ziel von vielen der Aktionen, die wir im Rahmen hybrider Kriegsführung sehen."

Als Beispiele hierfür zählte Masala die Drohnen-Sichtungen in Deutschland und anderen europäischen Ländern auf oder auch über Internetplattformen verbreitete Drohungen, wie zuletzt die vermeintlichen Anschlagspläne gegen gleich mehrere Berliner Schulen. "Die Polizei wurde rausgeschickt, Eltern waren verunsichert, und das ist genau das Ziel normalerweise von diesen Desinformationskampagnen", beschrieb der Universitätsprofessor die Wirkung solcher Vorfälle auf das Sicherheitsgefühl. "Die Menschen sollen ihren Staat als handlungsunfähig empfinden."

"Man kann eigentlich nicht mehr von Verteidigungslinien reden"

Mit Blick auf das Kriegsgeschehen in der Ukraine bestätigte Masala die Einschätzung vieler Experten, dass die ukrainischen Streitkräfte unter immensem Druck stehen. "Die ukrainischen Verteidigungslinien sind sehr stark ausgedünnt. Man kann eigentlich nicht mehr von Verteidigungslinien reden", so Masala. "Man sollte eher von Verteidigungsabschnitten reden, wo dazwischen relativ viel Raum offengelassen wird." Durch diese würden die russischen Truppen einbrechen, was die Ukrainer zur Verschiebung der zu wenigen Soldaten zwinge. "Das ist so ein bisschen ein Katz-und-Maus-Spiel. Aber letzten Endes ist es den russischen Streitkräften gelungen, durch diese Inkursionen Positionen zu erobern und wichtige Knotenpunkte wie zum Beispiel Pokrowsk extrem unter Druck zu setzen."

Noch halte die ukrainische Armee stand. "Es kann sein, dass die Front zerfällt, weil sozusagen die Demoralisierung in den ukrainischen Streitkräften zunehmen wird, wenn eine Stadt wie Pokrowsk fällt", so Masala. "Aber momentan ist von einem Zerbröseln der Front noch nicht die Rede." Die strategisch wichtige Stadt in der östlichen Industrieregion Donezk steht womöglich kurz vor dem Fall. Auch in anderen Regionen des Landes rücken die russischen Truppen weiter vor.

Quelle: ntv.de, shu

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