
Da war er schon praktisch gewählt, aber sie noch im Amt: Merkel und Scholz im vergangenen Oktober mit US-Präsident Biden.
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Der Bundeskanzler ist in den USA gelandet. Scholz' Biden-Besuch ist auch der Versuch des Regierungschefs, endlich als einer der Anführer der westlichen Demokratien wahrgenommen zu werden. Dass Scholz international dieselbe Rolle ausübt wie zuletzt Angela Merkel, ist aber unwahrscheinlich.
Der frühere US-Präsident Barack Obama hatte seine Amtsübergabe um ein paar Wochen vorgezogen: Bevor er die Schlüssel zum Weißen Haus schweren Herzens seinem Nachfolger Donald Trump übergab, regelte er im November 2016 in Berlin das Erbe für den inoffiziellen Titel "Anführer der freien Welt". Oder weniger pathetisch: die Führungsrolle unter den westlichen Demokratien. Die ihm vertraute Angela Merkel sollte das absehbare Vakuum füllen, nachdem Trump bereits im Wahlkampf angekündigt hatte, mit dem bisherigen Team-Gedanken in der US-Außenpolitik zu brechen. Auf ihre letzten Amtsjahre, in denen Merkel innenpolitisch kaum Ambitionen zeigte, genoss die Langzeitkanzlerin vor allem Anerkennung auf der internationalen Bühne; wurde geschätzt und geachtet von selbstbewussten Staatschefs wie Emmanuel Macron und Boris Johnson, genauso wie von Wladimir Putin oder Xi Jinping.
Lang ist's her. Die USA werden seit einem Jahr vom Obama-Vertrauten Joe Biden regiert, und auch in der EU ist Deutschland nicht mehr tonangebend. Die Briten sind auf eigenen Wunsch hin schon länger als Solisten unterwegs, und Macron ist derweil am ehesten der starke Mann Europas - zumindest in puncto Selbstinszenierung, was angesichts der rasant näher rückenden Präsidentschaftswahlen im April auch wenig überrascht. Nur die Rolle der EU als im Zweifel nachrangige, mit vielen Zungen sprechende Akteurin ist unverändert. Welche Rolle also nimmt Berlin mit seinem noch immer neuen Bundeskanzler künftig in der Welt ein? Olaf Scholz ist bemüht zu versichern: dieselbe wie bisher, wenn auch mit minder gutem persönlichen Draht als Merkel und Putin ihn hatten. Allein es gibt Zweifel, im Inland genauso wie bei den Verbündeten.
Der Bundeskanzler stellt sich vor
Scholz bietet sich in dieser Woche die Chance, das seiner Ansicht nach ungerechtfertigte Bild von ihm und seiner Ampelregierung geradezurücken. Ungeachtet Amerikas veränderter Rolle in der Welt unterstreicht nur wenig die Bedeutung eines Regierungschefs so sehr wie ein Bild vom Besuch im Oval Office. Auch deshalb standen Autokraten in den letzten Jahren Schlange bei Trump. Doch Scholz will mit seinem heutigen Besuch nicht nur imponieren, es geht auch darum, sich als (außenpolitischen) Merkel-Erben vorzustellen und persönliche Bande zum US-Präsidenten zu knüpfen. Für beides eignet sich so ein Besuch in Washington D.C. Zumal Scholz im Anschluss an das Treffen, am Montagnachmittag (Ortszeit) beim Sender CNN zu Gast ist und sich auf Englisch den Fragen des Moderators Jake Tapper stellen will. Der Bundeskanzler möchte sich in der am Mittwoch ausgestrahlten Sendung Amerika präsentieren, und damit ein wenig auch der Welt.
Noch im Sommer hatte der damals nicht minder selbstbewusste Kanzlerkandidat und Bundesfinanzminister den Eindruck gehabt oder vermittelt, dass er längst angekommen sei auf dem internationalen Parkett. Schließlich war es maßgeblich er, der auf ein internationales Abkommen zur Mindestbesteuerung großer, internationaler Konzerne hingewirkt hatte. Ein Besuch bei Amtskollegin Janet Yellen in Washington und der viel fotografierte Auftritt beim G20-Gipfel in Venedig schienen das internationale Gewicht des Vize-Kanzlers zu bestätigen. Doch als sich Scholz im Spätherbst endlich seinen Jugendtraum vom Kanzleramt erfüllte, fragten außerhalb der Bundesrepublik viele Menschen "Olaf who?".
Möglichst vage oder maximal entschlossen?
Zum unklaren Bild vom Kanzler kam das unklare Bild von der Russland-Politik seiner SPD. Als der Krieg im Osten der Ukraine im Dezember die nächste Eskalationsstufe zu erreichen drohte, waren prominente Sozialdemokraten bemüht, die Pipeline Nord Stream 2 möglichst von der Liste möglicher Sanktionsziele fernzuhalten. Im Januar schließlich wechselten Kanzler und SPD zur Sprachregelung, alle Optionen lägen auf dem Tisch und es sei eine abgestimmte Strategie, Russland über mögliche Kosten eines Einmarsches in die Ukraine im Unklaren zu lassen.
Ob Scholz so Biden von der eigenen Entschlossenheit überzeugt? Schließlich legen sowohl die US-Regierung als auch der US-Kongress Wert darauf, weiter explizit eine Blockade von Nord Stream 2 als Möglichkeit in den Raum zu stellen - genauso wie die mit Scholz regierenden Grünen. Zudem sind aus den USA sehr wohl Details zu dem großen Sanktionspaket öffentlich geworden, das der Kongress derzeit schnürt. Mit seiner Strategie der "vagen" Sanktionsdrohungen steht der Kanzler also trotz der vielbeschworenen engstmöglichen Abstimmung mit den USA alleine da. Scholz will Putin im Unklaren lassen über die Kosten einer Ukraine-Invasion. Deutschlands Verbündete dagegen wollen vor allem Entschlossenheit und Geschlossenheit demonstrieren.
Ein kleines Gastgeschenk
Dass Scholz noch immer keine so klare Distanzierung vom Kreml-Lobbyisten Gerhard Schröder über die Lippen geht wie zuletzt etwa der Juso-Vorsitzenden Jessica Rosenthal, dürfte den USA und den Regierungen der sich von Russland bedroht fühlenden osteuropäischen Staaten ebenfalls zu denken geben. Scholz wird viel zu erklären haben, in Washington genauso wie wenn er im Laufe der Woche die Präsidenten Frankreichs und Polens sowie die Regierungschefs der drei Baltenstaaten trifft.
Dass die Bundesregierung die Bundeswehr-Präsenz in Litauen erhöht, dürfte dann auch mehr Signal an die eigenen Verbündeten als an Russland sein, auf dessen 900.000-Mann-Armee derartige Trüppchenverschiebungen keinen Eindruck machen dürften - auch wenn der Kreml aus der Aufstockung sehr wohl einen weiteren Beleg für die angebliche Bedrohung Russlands stricken dürfte.
Biden und Macron müssen glänzen
Mit seinem kleinen Gastgeschenk einer Truppenverstärkung im Rahmen der forward presence der NATO macht es Scholz US-Präsident Biden etwas leichter, die Entschlossenheit und Geschlossenheit der NATO hervorzuheben, nachdem die USA Tausende zusätzliche Soldaten nach Deutschland und Osteuropa verlegt haben. Biden könnte im Gegenzug Deutschlands diplomatisches und finanzielles Engagement für die Ukraine herausstreichen, was Scholz helfen könnte, ein wenig aus der Defensive zu kommen. Er wird es schon in Moskau schwer genug haben, einen Erfolg davonzutragen. Dass Putin ihm etwa die Wiederzulassung der Deutschen Welle in Russland gewährt, ist nicht zu erwarten.
Biden und dem derzeit diplomatisch hochaktiven Macron auch weiterhin ein Stück weit das Rampenlicht in dieser Krise zu überlassen, könnte aber durchaus in Scholz' Interesse liegen. Beide Staatschefs brauchen dringend Erfolge, um nicht bei den jeweils nächsten Wahlen einem Rechtspopulisten zu unterliegen, der die noch immer junge Einheitsfront der westlichen Demokratien wieder einreißt. Sonst droht auch Scholz so ein Abschiedsbesuch wie ihn einst Merkel von Obama bekam. Der war zwar schmeichelhaft für die Kanzlerin, bedeutete aber vor allem eines: noch mehr Verantwortung in einer immer komplizierteren Welt, denn es ist oft einsam im Rampenlicht.
Quelle: ntv.de