Politik

Die Kriegsnacht im Überblick Selenskyj hofft auf moderne Raketenabwehr - Ukraine lehnt weiteres Minsker Abkommen ab

Die Ukraine hat von ihren ausländischen Partnern erneut moderne Raketenabwehrwaffen angefordert, um russische Angriffe aus der Distanz zurückschlagen zu können. Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte noch für diese Woche wichtige Gespräche über die Beschaffung solcher Systeme an. Er sagte nicht, mit wem er sprechen werde - es seien aber nicht nur europäische Politiker. Während die erbitterten Kämpfe um die Großstadt Sjewjerodonezk andauerten, lehnte ein ukrainischer Präsidentenberater vor dem erwarteten Besuch von Kanzler Olaf Scholz ein mögliches weiteres Minsker Abkommen ab.

"Den größten Bedarf an solchen Waffen in Europa"

Selenskyj verwies darauf, dass die Ukraine bei russischen Angriffen am Dienstag zwar einige Raketen habe abschießen können, aber nicht alle. Die Ziele des Beschusses lagen in den westukrainischen Gebieten Lwiw und Ternopil. Nach Angaben örtlicher Behörden wurden sechs Menschen verletzt. Die Trümmer einer abgeschossenen Rakete trafen demnach eine Ziegelei in Solotschiw im Gebiet Lwiw.

Die Ukraine habe schon vor der russischen Invasion vom 24. Februar um moderne Raketenabwehr gebeten, sagte der Präsident. Ein Aufschub sei nicht zu rechtfertigen. Die Ukraine habe derzeit "den größten Bedarf an solchen Waffen in Europa".

Die russische Armee feuert seit Beginn des Krieges immer wieder aus sicherer Distanz von Land, aus der Luft oder vom Meer aus Raketen und Marschflugkörper auf Ziele in der Ukraine ab. Getroffen werden nicht nur militärische Ziele, sondern auch viele zivile Gebäude in den großen Städten. Luftalarm zwingt die Bewohner immer wieder in Schutzräume.

Die Forderung der Ukraine nach einem gewaltsam durchgesetzten Flugverbot über dem Land haben ihre ausländischen Unterstützer abgelehnt. Sie wollen nicht in eine direkte militärische Konfrontation mit Russland hineingezogen werden.

Vizeministerin: Nur ein Zehntel der Waffen bekommen

Um Waffenlieferungen dürfte es auch gehen, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der italienische Regierungschef Mario Draghi Kiew besuchen. Die Reise wird erwartet, allerdings ist offiziell noch kein Termin mitgeteilt worden.

Die Ukraine hat nach Angaben ihrer Militärführung aus dem Ausland bislang nur ein Zehntel der notwendigen Waffenhilfe bekommen. "Von dem, was die Ukraine gesagt hat, dass sie es braucht, haben wir bis heute etwa zehn Prozent", sagte Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar im ukrainischen Fernsehen. Russland sei an Rüstung und Zahl der Soldaten unendlich überlegen. "Egal wie die Ukraine sich anstrengt, egal wie professionell unsere Armee ist, ohne Hilfe von Partnern werden wir diesen Krieg nicht gewinnen können."

Selenskyj-Berater ist gegen mögliches neues Minsker Abkommen

Der ukrainische Präsidentenberater Oleksiy Arestovych wies indes vor dem Besuch von Scholz, Macron und Draghi einen möglichen Friedensplan nach dem Vorbild der Minsker Vereinbarung zur Befriedung der Ostukraine zurück. "Ich fürchte, sie werden versuchen, ein Minsk III zu erreichen. Sie werden sagen, dass wir den Krieg beenden müssen, der Ernährungsprobleme und wirtschaftliche Probleme verursacht, dass Russen und Ukrainer sterben, dass wir das Gesicht von Herrn Putin wahren müssen, dass die Russen Fehler gemacht haben, dass wir ihnen verzeihen müssen und ihnen eine Chance geben müssen, in die Weltgesellschaft zurückzukehren", sagte Arestovych der Zeitung "Bild". Das sei ein Problem für die Ukraine.

Das Minsker Friedensabkommen wurde 2015 in der Hauptstadt von Belarus im sogenannten Normandie-Format von Russland, Ukraine, Frankreich und Deutschland unterzeichnet. Im Wesentlichen ging es darum, den Bürgerkrieg in Luhansk und Donezk zu beenden.

Selenskyj appelliert an eigene Truppen

Der Fluchtweg für Zivilisten aus dem Chemiewerk Azot in Sjewjerodonezk soll nach Moskauer Angaben am heutigen Mittwoch von 7 bis 19 Uhr MESZ (Ortszeit: 8 bis 20 Uhr) offen sein. Er führe in nördlicher Richtung in die Stadt Swatowe, sagte der General Michail Misinzew vom russischen Verteidigungsministerium. Swatowe liegt in der von prorussischen Separatisten kontrollierten und von Russland als Staat anerkannten "Volksrepublik Luhansk".

Moskau lehnte den ukrainischen Vorschlag ab, die Menschen auf von Kiew kontrolliertes Gebiet fliehen zu lassen. Die Ukraine wolle nur ihre Bewaffneten aus Sjewjerodonezk herausschleusen, wie zuletzt beim Stahlwerk Asowstal in der Hafenstadt Mariupol, sagte Misinzew. Er forderte die ukrainischen Soldaten auf, sich zu ergeben.

Selenskyj rief dagegen angesichts der verlustreichen Abwehrschlacht im Osten seine Truppen zum Durchhalten auf. "Das ist unser Staat. Dort im Donbass durchzuhalten ist lebenswichtig", sagte er. "Es gibt Verluste, und sie sind schmerzhaft." Doch an der Front im Osten entscheide sich, welche Seite in den kommenden Wochen dominieren werde. Je höher die Verluste des Feindes dort seien, desto weniger Kraft habe er, die Aggression fortzusetzen, sagte der Präsident.

Das wird heute wichtig

  • Vor dem möglichen Besuch in Kiew reist der französische Präsident Macron in die Republik Moldau und trifft deren Staatschefin Maia Sandu. Die kleine Ex-Sowjetrepublik grenzt an die Ukraine und will ebenso wie diese der EU beitreten.
  • Mit der veränderten Sicherheitslage in Europa durch den russischen Angriffskrieg beschäftigen sich die Verteidigungsminister der NATO-Staaten in Brüssel. Dabei geht es um die Verstärkung der Ostflanke und um die geplante Bündniserweiterung um Schweden und Finnland. Ende Juli wird die NATO ein Gipfeltreffen in Madrid abhalten.

Alle weiteren Entwicklungen des Tages können Sie in unserem Liveticker zum Ukraine-Krieg nachlesen.

Quelle: ntv.de, mbe/dpa/rts

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