Politik

Wahlkampf im Wirecard-Ausschuss "So, Opposition, wir sind fertig, ihr habt Pech"

Am 19. November 2020 sagte der ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun vor dem Ausschuss aus.

Am 19. November 2020 sagte der ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun vor dem Ausschuss aus.

(Foto: REUTERS)

Der Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Fiasko streitet darüber, wie lange noch Zeugen befragt werden sollen. Die Koalition will zeitlich möglichst viel Raum zur Bundestagswahl schaffen - die Opposition genau das Gegenteil. Endet der Konflikt vor Gericht?

"Ich verstehe, dass die Opposition die Vernehmung der Kanzlerin am liebsten am 25. September stattfinden lassen würde", sagt der Sozialdemokrat Jens Zimmermann. Damit beschreibt er - nicht frei von Sarkasmus - einen Konflikt, der seit Wochen tobt zwischen Politikern von Koalition und Opposition, die das Wirecard-Fiasko untersuchen. Union und SPD wollen die Beweisaufnahme Ende April schließen, also möglichst weit vor der Bundestagswahl am 26. September, ihre Kontrahenten kurz vor der Sommerpause des Parlaments.

Der SPD geht es vermutlich weniger um den Schutz der Bundeskanzlerin. Die Partei hat nie einen Hehl daraus gemacht, eine Brandschutzmauer um ihren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz zu ziehen, der als Finanzminister Dienstherr der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ist. Die BaFin, wie sie kurz genannt wird, hat das Wirecard-Debakel mit zu verantworten. Zimmermann und vor allem seine Parteikollegin Cansel Kiziltepe lassen kaum eine Gelegenheit aus, auf "das Versagen" der Wirtschaftsprüferfirma EY zu verweisen, die die Jahresabschlüsse von Wirecard bestätigt hat. Die Union wiederum sorgt sich um Wirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU, dem die Aufsichtsbehörde für die Wirtschaftsprüfer untersteht - auch auf ihr lastet der Vorwurf, geschlampt zu haben.

Seit einigen Tagen stehen die Zeugen bis Ende März fest. Noch immer fehlen auf der Liste die ganz großen Namen, die im Gespräch sind. Neben Scholz und Altmaier sind dies Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Der Sonderermittler, der die Kontakte des flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstands Jan Marsalek zu Geheimdiensten prüft, muss ebenfalls noch aussagen, damit seine Kenntnisse offiziell in die Beweisaufnahme einfließen können. Fest steht: Bis Ende April wird es extrem knapp, alle noch ausstehenden Komplexe zu erörtern, zumal die Zeugenliste infolge immer neuer Erkenntnisse aus Dokumenten, die den Ausschuss nach und nach erreichen, länger und länger wird.

Zeugen werden aus "Rache" geladen

Die allermeisten bereits benannten Zeugen liegen auf der Hand. Andere sind Indiz dafür, dass das Gremium zur Wahlkampfbühne genutzt wird. Da ist etwa der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir von den Grünen, dessen Haus primär für die Aufsicht der Börse in Frankfurt zuständig ist. In der Opposition ist hinter vorgehaltener Hand von "Rache" dafür die Rede, dass sie den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann und den Leiter der Münchner Staatskanzlei, Florian Herrmann - beide sind weder verwandt noch verschwägert - vor den Ausschuss zitieren ließ. Sie sollten Auskunft über mutmaßliche Lobbyarbeit der Landesregierung für den Pleite-Konzern geben und "warum die Behörden in Bayern so lange zu Wirecard gehalten" hätten. Erkenntnisgewinn der Befragungen in der Nacht zum Freitag dieser Woche: überschaubar.

Die Opposition wirft der Koalition vor, auf Zeit zu spielen. Tatsächlich wehrten sich CDU, CSU und SPD anfangs dagegen, die Sitzungen morgens zu beginnen. Außerdem nutzten sie ihre Fragezeit "permanent für Randaspekte oder Belangloses, um Zeit totzuschlagen und damit sich das alles schön in die Länge zieht", wie es ein Abgeordneter der Opposition formulierte, der damit namentlich nicht genannt werden wollte.

"Union und SPD haben Angst, dass der Skandal und das Versagen der Aufsichtsbehörden Thema im Wahlkampf werden", sagt der Finanzexperte Danyal Bayaz von den Grünen. Sein FDP-Kollege Florian Toncar meint: "Ich verstehe das politische Motiv von Union und SPD, aber da machen wir nicht mit." Fabio De Masi, der die Linke in dem Ausschuss vertritt, lehnt es ab, sich "nach dem Wahlkampfkalender von Olaf Scholz zu richten". Dem halten Hans Michelbach von der CSU und Matthias Hauer von der CDU entgegen, die Opposition laufe Gefahr, die Aufarbeitung des Skandals "zu einer Show-Veranstaltung umzufunktionieren" mit dem Ziel, der Union zu schaden. Auch Zimmermann dreht den Spieß um: "Dann könnten wir auch behaupten, Hintergrund seien die Wahlkampfkalender von Frau Baerbock oder Herrn Lindner."

Im Juni beginnt die Sommerpause

Die Koalition verweist auf die vielen zusätzlichen Sitzungen. Das Gremium kam schon auf drei Treffen in einer Woche, normal ist ein einziges. "Das zeigt den guten Willen der Koalition", sagt Zimmermann. Der aktuelle Bundestag laufe nun einmal nur noch bis Ende Juni. Dann beginnt die Sommerpause, und im September wird bereits ein neuer Bundestag gewählt. "Dementsprechend müssen wir die Arbeit beenden, weil wir die Abschlussberichte im Plenum in dieser Wahlperiode debattieren müssen." Eine Sondersitzung im Sommer sei nicht sinnvoll. "Man muss ja auch an den Aufwand denken." Werde nicht alles aufgeklärt, könne der nächste Bundestag weiter machen. So hätten es auch Untersuchungsausschüsse früherer Legislaturperioden getan.

FDP-Mann Toncar widerspricht. "Der Ausschuss ist zu Ende, wenn die Legislaturperiode vorbei oder der Untersuchungsauftrag erfüllt ist." Noch seien nicht einmal alle Akten gesichtet worden, die Zeugenliste werde absehbar länger. "Wenn Herr Zimmermann und seine Kollegen von der Union vorher Schluss machen wollen, dann sollen sie der Öffentlichkeit erklären, wieso der Untersuchungsauftrag erfüllt sein soll, obwohl zig Zeugen nicht vernommen werden konnten." Das Gesetz erlaube, dass das Gremium einen Sachstandsbericht vorlege und der Bundestag der nächsten Wahlperiode entscheide, "ob er weitermachen will oder nicht".

Der Ausschussvorsitzende Kay Gottschalk von der AfD plädiert notfalls für eine Sondersitzung des Bundestages im September. Um die parlamentarische Minderheit zu schützen, könne ein Untersuchungsausschuss mit 25 Prozent der Stimmen beschlossen werden, sagt Gottschalk. Daher könne die Koalition nun nicht ihre Mehrheit dafür nutzen, einen Schlussstrich nach dem Motto zu ziehen: "So, Opposition, wir sind fertig, da habt ihr eben Pech gehabt, dass der Skandal nicht am Anfang der Wahlperiode aufgeflogen ist." Aus seiner Sicht "wäre das der Gipfel", zumal eine von ihm in Auftrag gegebene juristische Prüfung ergeben habe, dass die Beweisaufnahme nicht im April beendet sein müsse. Während sich Gottschalk nicht zu einem Gang vor Gericht äußern will, sagt Toncar: "Sollte die Koalition mit ihrer Mehrheit Zeugen ausladen, werden wir klagen und Recht bekommen."

Quelle: ntv.de

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