Unterbringung von Flüchtlingen Städtetag fordert "bis Ostern endlich Ergebnisse"
22.02.2023, 14:48 Uhr
Markus Lewe ist Präsident des Deutschen Städtetags und Oberbürgermeister der Stadt Münster.
(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)
Der Deutsche Städtetag fordert vom Bund eine stärkere finanzielle Unterstützung bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen. "Steigenden Flüchtlingszahlen müssen steigende Finanzmittel folgen", sagt Städtetagspräsident Markus Lewe im Interview mit ntv.de. Das Ergebnis des Flüchtlingsgipfels mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser in der vergangenen Woche ist aus seiner Sicht unzureichend. Viele Städte seien bei der Unterbringung von Geflüchteten am Limit. "Selbst in Zelten, Containerdörfern und Messehallen gibt es kaum noch freie Plätze."
ntv.de: Wie groß ist aus Ihrer Sicht die Bereitschaft der Bundesregierung, die Kommunen bei der Unterbringung von Flüchtlingen stärker finanziell zu entlasten?
Markus Lewe: Das wird sich zeigen. Wir hatten schon beim Flüchtlingsgipfel in der vergangenen Woche auf konkrete Zusagen gehofft. Die sind leider ausgeblieben. Wir wissen aber jetzt schon, dass die zugesagten Mittel von 1,5 Milliarden Euro für die Geflüchteten aus der Ukraine und die Verstetigung der allgemeinen flüchtlingsbezogenen Pauschale von 1,25 Milliarden Euro für dieses Jahr nicht reichen werden. Steigenden Flüchtlingszahlen müssen steigende Finanzmittel folgen. Die Städte brauchen dringend finanzielle Zusagen der Bundesregierung für 2023 und eine Perspektive, wie es 2024 weitergeht.
Wenn der Flüchtlingsgipfel keine Planungssicherheit gebracht hat - wie soll es dann jetzt weitergehen?
Beim Gipfel hat es die Verabredung für einen Arbeitsprozess von Bund, Ländern und Kommunen bis Ostern gegeben. Das lässt uns hoffen. Wir werden als Städtetag in den verabredeten Arbeitsgruppen zu den Themen Unterbringung, Integration, Entlastung der Ausländer- und Sozialbehörden und zu Fragen der Rückführung und der Begrenzung des Zuzugs intensiv mitarbeiten. Aber die entscheidende Frage ist und bleibt, wie das alles finanziert wird. Da muss es bis Ostern endlich konkrete Ergebnisse geben. Die Städte haben praktisch keinen Einfluss darauf, wie viele Geflüchtete zu uns kommen. Trotzdem leisten wir seit Monaten Außerordentliches, um die Menschen, die vor Krieg und Krisen geflüchtet sind, gut unterzubringen. Für diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe brauchen wir auch die entsprechende Unterstützung - und das möglichst schnell.
Warum richten Sie Ihre Forderung nach stärkerer Unterstützung nicht auch an die Bundesländer?
Das tun wir. Die finanzielle Unterstützung des Bundes ist die eine Sache. Die Länder müssen diese Bundesmittel aber auch vollständig an die Kommunen weiterleiten und ihren eigenen Beitrag leisten. Wir sind natürlich bereit, nach unseren Möglichkeiten unsere humanitäre Verpflichtung zu erfüllen. Viele Städte sind aber bei der Unterbringung von Geflüchteten am Limit. Selbst in Zelten, Containerdörfern und Messehallen gibt es kaum noch freie Plätze. Die Länder müssen deshalb ihre Aufnahmekapazitäten deutlich ausbauen und auch dauerhaft vorhalten. Das würde die Städte wirklich entlasten und uns Zeit verschaffen.
Geht es nur um finanzielle Hilfe oder haben die Kommunen noch andere Forderungen an den Bund?
Natürlich haben wir die. Allein mit Geld werden die Städte keine neuen Flächen oder Gebäude für die Unterbringung von Geflüchteten aus dem Hut zaubern können. Auch der Bund muss sich hier stärker als bisher engagieren. Er sollte eigene Unterbringungskapazitäten als Puffer aufbauen. Innenministerin Nancy Faeser hat beim Flüchtlingsgipfel angekündigt, Liegenschaften des Bundes auf eigene Kosten für die Unterbringung herzurichten. Das ist ein Anfang.
Muss die Praxis bei der Aufnahme von Geflüchteten verändert werden?
Wir müssen uns besser darauf einstellen können, wie viele Geflüchtete zu uns kommen werden. Dafür brauchen wir möglichst konkrete Informationen über Fluchtbewegungen. Auf dem Flüchtlingsgipfel hat das Bundesinnenministerium ein digitales Dashboard angekündigt, das die aktuelle Lage zeigt, um eine bessere Verteilung der Geflüchteten zu ermöglichen. Ich begrüße diesen Schritt.
Wie ist es in Ihrer Stadt? Wie viel Geld hat Münster im vergangenen Jahr für die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern ausgeben müssen?
Die Aufwendungen sind für das Jahr noch nicht vollständig abgerechnet. Es werden aber einschließlich der Leistungen zum Lebensunterhalt knapp 24,5 Millionen Euro sein, die wir aufgewendet haben. Davon können wohl nur gut 70 Prozent durch die entsprechenden Landeszuweisungen nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz abgedeckt werden.
Ist diese Summe eine Überforderung für das eigentlich ja reiche Münster?
Diese Summe allein wird nicht zu einer Überforderung der Stadt Münster führen. Für eine gelingende Integration haben wir aber noch weit mehr zu leisten. Die Kinder der zu uns kommenden Familien sind in die Kindertageseinrichtungen und Schulen zu integrieren, was uns zunehmend an unsere Grenzen bringt. Neben dem Geld fehlt es hier zunächst an Kita-Plätzen, Platz in Schulklassen und Fachkräften, von denen die Betreuungsarbeit geleistet werden kann. Auch das Angebot an Sprachkursen reicht zunehmend nicht mehr aus, um den Bedarf zu decken. Das lässt sich in weitere Bereiche der Gesellschaft fortsetzen.
Wie viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind aktuell in Münster? Mussten Turnhallen zu Unterkünften gemacht werden?
Aktuell sind insgesamt 3347 Ukrainerinnen und Ukrainer in Münster mit einem Schutzgesuch gemeldet. In Münster hatten wir dabei das Glück, dass wir in erheblichem Umfang Immobilien des Bundes nutzen können. Daher mussten Turnhallen nur kurzfristig zweckentfremdet werden. Die Pläne für eine erneute Nutzung liegen aber fertig in der Schublade, sollten sich die Entwicklungen wieder verschärfen.
Wie sieht es mit der Akzeptanz gegenüber Geflüchteten in Münster aus?
Nach wie vor gibt es einen großen Zusammenhalt in der gesamten Stadtgesellschaft. Behörden, Kirchen, Vereine, freie Träger und viel Ehrenamtlichkeit ziehen hier an einem Strang, um die Aufgaben erfolgreich zu stemmen. Dieses vielfältige zivilgesellschaftliche Engagement ist zutiefst beeindruckend, aber es muss auch aus Bund und Ländern Wertschätzung und Unterstützung erfahren. Wir müssen alle dazu beitragen, dass diese Unterstützungsbereitschaft nicht gefährdet wird.
Mit Markus Lewe sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de