Aufregung um Lörrach-Brief Müssen 40 Mieter für Geflüchtete umziehen?
21.02.2023, 12:53 Uhr
Die Mieter des Gebäudekomplexes im roten Kreis sollen ihre Wohnungen verlassen.
(Foto: © Google Earth, Image Landsat / Copernicus)
Ein Brief der Wohnbau Lörrach sorgt derzeit für viel Aufregung im Internet. Demnach werden 40 Personen die Wohnungen in einem Wohnkomplex gekündigt, weil dort 100 Flüchtlinge aus der Ukraine untergebracht werden sollen. Die Echtheit des Schreibens, das vielfach in sozialen Netzwerken geteilt wird, wurde von der Stadt bereits bestätigt. Was steckt dahinter? Was sagen die betroffenen Mieter? Und was das Mietrecht?
Worum geht es in dem Schreiben?
In dem Brief, der auf den 15. Februar datiert ist, kündigt die städtische Wohnungsbaugesellschaft Wohnbau Lörrach eine Mieterversammlung für den 27. Februar an. Eingangs wird auf den "erheblichen Zustrom von Flüchtlingen aus der Ukraine und anderen Weltregionen" hingewiesen. Stadt und Landkreis hätten sich zur Unterbringung von Flüchtlingen verpflichtet, weshalb neben geplanten Flüchtlingsheimen "intensiv" nach weiteren Standorten gesucht wurde. Deshalb will die Stadt einen Wohnkomplex in der Wölblinstraße zur Verfügung stellen.
"Für Sie bedeutet das, dass wir in Kürze das mit Ihnen vereinbarte Mietverhältnis kündigen werden", heißt es in dem Brief weiter. Allerdings werde "alternativer, geeigneter Wohnraum" angeboten. Zudem gebe es Unterstützung beim Umzug, auch finanziell. Es bleibe genügend Zeit, "für jeden Einzelnen eine gute Lösung" zu finden. Zum Jahresende soll die gesamte Anlage als Flüchtlingsheim genutzt werden.
Wie erklärt die Stadt ihr Vorgehen?
Nachdem besagter Brief im Internet einen Shitstorm ausgelöst hat, reagierten Wohnungsbaugesellschaft und Stadt. Wohnbau Lörrach bestätigt die Echtheit des Briefs und verweist auf eine Mitteilung der Stadt. Diese geht noch etwas ins Detail. So heißt es, dass die Wohnungen aus den 1950er-Jahren stammten, "die am Ende ihres Lebenszyklusses stehen und deren Abbruch und Ersatzneubau für die nächsten Jahre vorgesehen war". Den Mieterinnen und Mietern werden demnach "zeitnah modernere und bezahlbare Wohnraumangebote entsprechend der persönlichen Situation" unterbreitet.
Interessant dabei: Die "Badische Zeitung" verweist darauf, dass es bereits einen ähnlichen Fall gab. Demnach wurden in Lörrach 2015 und 2016 rund 100 Bewohner aus der Gretherstraße auf neue Wohnungen verteilt - ebenfalls wegen Geflüchteten. Dies sei regelrecht geräuschlos abgelaufen, wird Thomas Nostadt, der Geschäftsführer der Wohnbau Lörrach zitiert.
Darf die Stadt die Mieter einfach kündigen?
Ohne die Umstände der einzelnen Mieterinnen und Mieter zu kennen, wirft die Kündigung durch den Vermieter juristische Fragen auf. "Eine solche Kündigung ist rechtlich nicht zulässig, da das berechtigte Interesse im Sinne des § 573 BGB fehlt", teilt der Deutsche Mieterbund auf Anfrage von ntv.de mit. Im entsprechenden Paragrafen steht, dass der Vermieter nur kündigen kann, "wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat". Dazu zählen etwa Vertragsverstöße des Mieters, Eigenbedarf des Vermieters oder entstehende wirtschaftliche Nachteile für diesen. "Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam", heißt es im Bürgerlichen Gesetzbuch weiter.
Für Wohnungsbaugesellschaft und Stadt dürfte es daher schwer sein, die Kündigung wegen der Unterbringung von Flüchtlingen durchzufechten. Es sei denn, die bestehenden Mieterinnen und Mieter gehen freiwillig auf das Angebot einer neuen Wohnung ein.
Wie reagieren die Mieterinnen und Mieter?
Gegenüber der "Badischen Zeitung" äußert ein betroffener Mieter Bedenken. Er zog demnach vor einem halben Jahr ins Erdgeschoss und sei wegen einer Krebserkrankung auf eine ebenerdige Wohnung angewiesen. "Die Bewohner sind deprimiert", sagt der Mann. Er mache sich Gedanken über den Umzug. Genauere Infos über die Ersatzwohnung hat er demnach noch nicht. "Der Mann sagt, dass er nichts gegen Ausländer habe, irgendwo müssten Geflüchtete unterkommen, er fragt sich aber: Warum gerade hier?", schreibt die Zeitung.
Er gehe da ganz bestimmt nicht raus, zitiert die "Basler Zeitung" einen 81-Jährigen, der seit 15 Jahren in dem Komplex wohnt. Für einen Umzug sei er zu alt, zudem macht er sich Sorgen um hohe Mieten angesichts des knappen Angebots in Lörrach. Besorgt zeigt sich auch ein weiterer Rentner, der ebenfalls mit 1000 Euro im Monat auskommen muss. Der Zeitung sagt er, dass er sich nur schwer vorstellen könne, dass die von der Vermieterin angestrebte "individuelle Lösung" zu seinem Vorteil ausfallen wird. Der 78-Jährige hält es demnach für "unmöglich", auszuziehen. Ihm falle es seit seinem Schlaganfall vor sechs Jahren immer schwerer, sich im Alltag zurechtzufinden. "Dieser Brief - das ist für mich eine vorgezogene Todesanzeige." Organisierten Protest der Mieterinnen und Mieter gegen die Kündigung gibt es ihm zufolge noch nicht. Einverstanden ist ihm zufolge kaum jemand in der Nachbarschaft. "Manche überlegen sich, einen Anwalt beizuziehen."
Welche Reaktionen gibt es im Internet?
Der Brief tauchte schon kurz nach Versendung im Internet auf. Zunächst erweckte er eher lokal Aufmerksamkeit und in rechten Kreisen, doch über das Wochenende zog er schnell größere Kreise, auch Medien berichteten. Wohnbau-Chef Nostadt spricht gegenüber der "Badischen Zeitung" von einem Shitstorm. Er erhält demnach "viele heftige, auch hasserfüllte Reaktionen", deren Inhalt "zum Teil auf ein rechtes Spektrum" schließen lasse.
Kritik erregt vor allem der Umstand, dass Mietern gekündigt wird, um Flüchtlingen Platz zu machen. Diesen direkten Zusammenhang stellt ja auch der Brief der Wohnbau her. Details des Vorgangs, etwa dass den bestehenden Mieterinnen und Mietern modernere Wohnungen angeboten werden sollen und die Gebäude ohnehin abgerissen werden sollten, gehen in der Diskussion oft unter.
Teils verweisen Kritiker zu Recht auf die zweifelhafte rechtliche Lage oder auf das Schicksal der Mieterinnen und Mieter. Einige extreme Kritiker sprechen aber auch von "Umvolkung" - ein Verweis auf einen Verschwörungsmythos, der begrifflich im Nationalsozialismus wurzelt und behauptet, die Deutschen sollten durch Flüchtlinge ersetzt werden. Andere nutzen den Fall, um allgemein gegen Flüchtlinge zu hetzen.
Was steckt hinter der Diskussion um Flüchtlinge?
Die Diskussion um Flüchtlinge und deren Unterbringung beschäftigt längst die Bundespolitik. Kommunen klagen seit Langem über fehlende Mittel, fehlenden Wohnraum und auch personelle Überlastung. Ein Gipfel mit Innenministerin Nancy Faeser vergangene Woche brachte zwar kleine Fortschritte, doch die Unzufriedenheit der Städte und Gemeinden bleibt bestehen. Vor allem, weil der Bund weitere Finanzhilfen ablehnt. Vor allem Politiker der Union drängen auf eine strengere Regulierung der Migration und konsequente Abschiebung abgelehnter Asylbewerber.
Die Stadt Lörrach spricht von "großen Herausforderungen" bei der Unterbringung von Flüchtlingen - zu der Kommunen verpflichtet sind. "Wir brauchen ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um unserer kommunalen Aufgabe der Anschlussunterbringung der Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten nachkommen zu können", sagt Oberbürgermeister Jörg Lutz. 2022 wurden laut Stadt 638 Personen im Zuge der Anschlussunterbringung aufgenommen, vor allem aus der Ukraine. Der Zuweisungsschlüssel für 2023 liegt aktuell bei 356 Personen.
Ist der Shitstorm berechtigt?
Von einer "Umvolkung" oder der absichtlichen Verdrängung, wie von einigen Internetnutzern behauptet, kann keine Rede sein - das sind rechtsextreme Mythen. Dennoch ist das Vorgehen der Stadt im besten Fall unglücklich, eher dumm und fahrlässig. Kritik daran ist zweifellos berechtigt.
Bei allem Verständnis für die schwierige Lage der Kommunen bei der Frage der Flüchtlingsunterbringung: Stadt und Wohnungsbaugesellschaft schießen mit dem versandten Brief weit über das Ziel hinaus. Einen allgemein formulierten Brief abzuschicken und erst danach das persönliche Gespräch zu suchen, ist unsensibel und verunsichert vor allem ältere Mieterinnen und Mieter. Eine jahrzehntelang bewohnte Wohnung, selbst wenn sie alt ist und bald abgerissen werden soll, ist Lebensmittelpunkt und kann nicht einfach ersetzt werden. Ganz abgesehen von den rechtlichen Fragezeichen, die die Art der Kündigung aufwirft.
Quelle: ntv.de