Politik

Was folgt aus Gutachten? Streit um Corona-Kurs für den Herbst beginnt

Vielerorts sind Masken nur noch empfohlen. Das könnte sich im Herbst wieder ändern.

Vielerorts sind Masken nur noch empfohlen. Das könnte sich im Herbst wieder ändern.

(Foto: dpa)

Ein Sachverständigen-Gutachten soll die Basis liefern für den Weg, den die Ampel-Regierung in der Pandemie-Politik im Herbst einschlagen will. Während Gesundheitsminister Lauterbach und Justizminister Buschmann schon verhandeln, mahnen Kommunen und Ärzte zur Eile.

Angesichts steigender Infektionszahlen werden die Rufe nach einer schnellen rechtlichen Vorbereitung für eine Corona-Herbstwelle lauter. "Die weitere Corona-Vorsorge muss jetzt sehr schnell erarbeitet werden, damit die bewährten Maßnahmen auch im Herbst und Winter bei Bedarf möglich bleiben", twitterte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen.

Der Städte- und Gemeindebund forderte die Wiederaufnahme der kostenlosen Bürgertests. "Spätestens im Herbst, wenn die nächste große Corona-Welle droht", müsse es wieder "flächendeckend unentgeltliche Tests geben", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den RND-Zeitungen. Der Deutsche Städtetag forderte ein rasches Gesetzgebungsverfahren für ein neues Infektionsschutzgesetz. Erst im Herbst damit zu beginnen, sei zu spät, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy den Funke-Zeitungen.

Auch Dedy betonte die Bedeutung der kostenlosen Tests: "Bund und Länder sollten Bürgertests deshalb einfach zugänglich halten, wenn es nötig wird." Die Tests sind seit vergangenem Donnerstag nur noch für bestimmte Gruppen kostenlos, etwa Kinder bis fünf Jahre, Schwangere in den ersten drei Monaten oder Krankenhaus- und Pflegeheimbesucher. Im Normalfall muss für einen Schnelltest nun eine Selbstbeteiligung von drei Euro gezahlt werden.

Mit Blick auf die geplante Neufassung des Infektionsschutzgesetzes forderte Dedy, die Ampel-Koalition müsse sich "noch vor der Sommerpause einigen". Der Bund solle ermöglichen, dass "bei Gefahrenlage Masken tragen in Innenräumen verpflichtend möglich ist", sagte der Städtetags-Hauptgeschäftsführer. "Auch Zugangsregelungen für 2G/3G gehören in den Instrumentenkasten. Wir müssen vorbereitet sein, wenn gefährlichere Virusvarianten auf uns zurollen."

Lauterbach: Gutachten darf "kein Bremsklotz" sein

Zuvor hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor einer deutlichen Verschärfung der Lage gewarnt. "Wir stehen vor schweren Wellen im Herbst und im Winter", sagte der SPD-Politiker am Freitagabend im ZDF-"heute journal". Lauterbach versprach nach Vorlage eines Expertengutachtens Tempo bei der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes. Im Frühjahr waren die Bestimmungen stark zurückgefahren worden, die jetzige bundesweite Rechtsgrundlage läuft am 23. September aus.

Am Freitag hatte ein Sachverständigenausschuss ein lang erwartetes Gutachten über die Wirksamkeit bisheriger Corona-Schutzmaßnahmen vorgestellt. Demnach können Schutzmaßnahmen wie das Maskentragen auch weiter gegen das Coronavirus hilfreich sein. Hinter vielen anderen bekannten Auflagen setzten die Experten aber Fragezeichen, mangels ausreichender Daten seien keine sicheren Bewertungen möglich.

Das Gutachten sei wichtig, aber dürfe "kein Bremsklotz" sein, schrieb Lauterbach auf Twitter. Einen Lockdown wie zu Beginn der Pandemie schloss er im ZDF aus: "Das würden wir nicht wiederholen." Es könne aber sein, dass die eine oder andere Maßnahme wieder sinnvoll sei. Details wollte Lauterbach mit Hinweis auf vertrauliche Verhandlungen mit Justizminister Marco Buschmann von der FDP nicht nennen. Sie hätten mit einem eineinhalbstündigen Gespräch am Freitag bereits begonnen. "Ich glaube, wir werden schnell sein", betonte Lauterbach. In den nächsten Wochen werde man ein gutes Infektionsschutzgesetz vorbereiten.

Die Bundesärztekammer forderte als Reaktion auf das Gutachten eine gezielte Corona-Strategie für Kinder und Jugendliche. "Wir brauchen jetzt einen Runden Tisch von Gesundheits- und Kultusministern sowie mit Ärzten, Pädagogen und anderen wissenschaftlichen Disziplinen, um eine tragfähige Corona-Strategie für Schulen und Kitas zu entwickeln", sagte Ärztepräsident Klaus Reinhardt den Funke-Zeitungen. Es sei bedenklich, dass die Auswirkungen von Schulschließungen auf das Infektionsgeschehen kaum wissenschaftlich belegt seien, sagte der Ärztepräsident. Dagegen zeigten zahlreiche Studien die massiven psychischen und körperlichen Folgen von sozialer Isolation für Kinder und Jugendliche.

Knapp die Hälfte für schärferen Kurs

Die Vize-Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Henriette Neumeyer, mahnte mehr Daten zur Bekämpfung der Pandemie an und forderte eine bessere Kommunikation seitens der Politik. "Der Sachverständigenrat hat viele Positionen der DKG bestätigt, vor allem, dass wir dringend eine bessere und digitale Datenlage benötigen", sagte Neumeyer der Düsseldorfer "Rheinischen Post". Die geforderte infrastrukturelle Initiative zur Digitalisierung sei auch aus Krankenhaussicht notwendig. "Bis zum Herbst müssen die Verantwortlichen einen Weg finden, auch schwer erreichbare Zielgruppen anzusprechen um gesundheitlich aufzuklären", forderte Neumeyer. "Die bisherige Kommunikation, insbesondere zur Impfung, war mangelhaft."

FDP-Bundestagsfraktionschef Christian Dürr warf den Ländern vor, immer nur nach dem Bund zu rufen, aber selbst zu wenig zur Vorbeugung zu tun. "Die rufen oft nach freiheitseinschränkenden Maßnahmen, aber bereiten sich selbst organisatorisch nicht auf die Herbst-/Winterwelle vor", sagte Dürr im Deutschlandfunk. "Ich erwarte eine organisatorische Vorbereitung ohne jede Freiheitseinschränkung zunächst mal, und dann schauen wir uns an, was ist noch nötig, was müssen wir dem einzelnen Bürger noch abverlangen."

Bei einer Verlängerung der rechtlichen Voraussetzungen für Basis-Schutzmaßnahmen sieht Dürr keinen großen Zeitdruck, weil das sehr schnell gehen könnte. "Der Deutsche Bundestag hat das innerhalb weniger Tage geschafft, solche Maßnahmen zu beschließen. Also für einen worst case (schlimmsten Fall) sind wir auch jetzt schon vorbereitet, selbst im Sommer, wenn was passieren würde." Bestimmte Maßnahmen schloss er aber kategorisch aus: "Die Lockdowns, die können nicht wiederkommen, die Ausgangssperren, auch Schulschließungen dürften kein Instrument mehr sein, das wir flächendeckend nutzen."

Die Infektionszahlen steigen seit einiger Zeit wieder, die ansteckendere Omikron-Sublinie BA.5 dominiert bereits das Infektionsgeschehen. Knapp die Hälfte der Menschen in Deutschland spricht sich einer Umfrage zufolge deshalb für sofortige schärfere Regeln aus. In einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der "Augsburger Allgemeinen" bejahten 49 Prozent die Frage, ob die aktuellen Corona-Maßnahmen umgehend verschärft werden sollten. 43 Prozent waren dagegen, 8 Prozent unentschieden.

Quelle: ntv.de, jog/dpa/AFP

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen