Letztes TV-Duell vor Briten-Wahl Sunak setzt alles auf zwei Karten


Sunak und Starmer (v.r.) duellierten sich zum zweiten und letzten Mal - am 4. Juli wird gewählt.
(Foto: REUTERS)
Am kommenden Donnerstag wählen die Briten ein neues Parlament. Den Tories von Premierminister Sunak droht Umfragen zufolge ein Debakel. Im abschließenden TV-Duell mit Labour-Herausforderer Starmer greift der Amtsinhaber zu den letzten Mitteln.
Man könnte sagen, der britische Premierminister Rishi Sunak steht mit dem Rücken zur Wand. Oder: Das Wasser steht ihm bis zum Hals. Oder: Die Luft wird dünn für ihn. Aber all das wäre untertrieben. Tatsächlich droht er an der Wand erdrückt zu werden - und die Luft ist längst raus bei ihm. Sunak und die britischen Konservativen, die Tories, blicken in einen Abgrund. Wenn die Briten am kommenden Donnerstag ein neues Parlament wählen, droht ihnen eine historische Niederlage.
Die noch irgendwie abzumildern, das versucht Sunak, seit er am 22. Mai Neuwahlen ankündigte. Selbst das Wetter war gegen ihn: Der Premier stand in der Downing Street No. 10 vollkommen im Regen, als er den 4. Juli als Wahltermin verkündete. Seine letzte Chance, noch so etwas wie eine Wende einzuläuten, hatte Sunak am Mittwochabend. Die BBC richtete in der Universität Nottingham das zweite und letzte TV-Duell mit seinem Herausforderer Keir Starmer aus, dem Chef der Labour-Partei.
Der kann gerade vor Kraft kaum laufen. In Umfragen steht seine Partei gerade bei gut 40 Prozent, die Tories dagegen nur noch bei 20. Das ist selbst verschuldet und hat nur indirekt etwas mit dem Brexit zu tun. Es sind zwar keine der einst vom damaligen Premier Boris Johnson versprochenen Segnungen eingetreten, doch fordert auch Starmer keine Rückkehr in die EU.
Ein Skandal nach dem anderen
Die Tories werden weniger für den Austritt aus der EU abgestraft als vielmehr für eine atemberaubende Serie von Skandalen und Fehlentscheidungen. Da war "Partygate", als Johnson mit Mitarbeitern während der Corona-Pandemie Partys feierte. Wofür er zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Dann war da die Möchtegern-Thatcher-Wiedergängerin Liz Truss. Als Premierministerin hielt sie sich keine zwei Monate im Amt. Sie hatte Milliarden-Steuerkürzungen ohne Gegenfinanzierung vorangetrieben. Woraufhin das Pfund Sterling und britische Staatsanleihen unter immensen Druck gerieten. Die Staatsfinanzen nahmen schweren Schaden.
Und aktuell gibt es auch schon wieder einen neuen Skandal. Gegen fünf Tories, aber auch einen Labour-Abgeordneten wird ermittelt, weil sie Wetten auf den Wahltermin abgeschlossen haben. Alles vermeidbare Fehler. Und im Ergebnis die Mutter aller Scherbenhaufen.
Den muss Sunak nun zusammenkehren. Und dabei setzt er alles auf zwei Karten: Steuern und Migration. Hätte man mitgezählt, wie oft Sunak seine Sätze mit "… und deswegen möchte ich Ihre Steuern senken" beendete, man wäre im dreistelligen Bereich gelandet. Gefühlt zumindest. Es hatte teils komische Züge: Selbst als Sunak einmal persönlich wurde und sagte, wie dankbar er für sein Leben in Großbritannien sei und wie sehr er etwas zurückgeben wolle - am Ende kam wieder: "Und deswegen möchte ich Ihre Steuern senken." Bei der Zuwanderung war es ähnlich.
Sunak hämmerte diese Botschaften dem Publikum ein. Mit Labour gibt es mehr Einwanderung und höhere Steuern. Mit ihm das Gegenteil. Das wirkte oft platt und auswendig gelernt, folgte aber einer Strategie: Konsequent versuchte er so, Ängste vor einer Labour-Regierung zu schüren. Die wolle 2000 Pfund mehr Steuern pro Jahr pro Kopf, Renten besteuern und habe keinen Plan zur Begrenzung der Migration, behauptete er. Der zweite Aspekt seiner Strategie: Konsequent über die Zukunft reden. Das ist immer eine gute Idee vor Wahlen. Besonders aber, wenn so chaotische Jahre hinter einem liegen.
Labour-Chef: "Zeit, umzublättern"
Starmer machte es umgekehrt: Er verwies immer wieder auf die 14 Jahre, die die Tories regiert hatten. Erst mit David Cameron, dann Theresa May, Boris Johnson, Liz Truss und schließlich seit anderthalb Jahren Sunak. Der 61-jährige Londoner Starmer punktet mit Bodenständigkeit, Empathie und seriösem Auftreten. Also genau die Mischung, die zuletzt nicht gerade angesagt war in London. "Mein Vater war Werkzeugmacher", dieser Satz fehlte auch an diesem Abend nicht. Sunak, ein Multimillionär, habe keine Ahnung vom Leben der Menschen, sagte er.
Die Fragen stellten immer Menschen aus dem Publikum. Gleich zu Beginn wollte eine Frau wissen, wie die Kandidaten das Vertrauen in die Politik wiederherstellen wollten. Sunak bezog das nur auf den aktuellen Wettskandal und kündigte harte Konsequenzen an. Starmer bewies hier mehr Format: In der Politik sei es zu sehr um eigene Ansprüche gegangen. Politik müsse aber wieder ein Dienst an der Öffentlichkeit werden, forderte. Jetzt sei es Zeit, "umzublättern" und das Land wieder aufzubauen.
Dabei betont Starmer stets, die Ziele aus dem Wahlprogramm seien gegenfinanziert. Punktuell will er dafür die Steuern erhöhen. Etwa in dem er Schlupflöcher für reiche Ausländer schließt und Privatschulen besteuert. Schnell kam er in der Debatte auf eines der drängendsten Themen: den desolaten Zustand des öffentlichen Gesundheitswesen NHS. Acht Millionen Menschen stehen derzeit auf Wartelisten für Behandlungen wie Operationen. Es gibt aber Zweifel daran, ob eine Labour-Regierung wirklich das Geld für ihre ehrgeizigen Programme auftreiben könnte. Denn schon jetzt fehlt es dem Staat an allen Ecken und Enden.
Ermüdend eindimensional
Sunak schaffte es hier und da, Starmer in die Enge zu treiben - besonders beim Thema Migration. "Ich will die Menschen nach Ruanda ausfliegen, was werden Sie tun?", fragte er den Herausforderer. Das afrikanische Land soll Asylbewerber für Großbritannien aufnehmen - eine Idee, für die sich mittlerweile auch CDU und CSU erwärmen. Starmer entgegnete, nach Ruanda könnten nur einige Hundert Menschen ausgeflogen werden, zu horrenden Kosten für den Steuerzahler. Sunak sagte, das habe eine abschreckende Wirkung. Wenn 99 Prozent bleiben könnten, sehe er das nicht, entgegnete Starmer. Viel mehr als "Schlepperbanden bekämpfen" wusste der Labour-Chef zu seinen eigenen Plänen aber auch nicht zu sagen.
Eines kann man Sunak nicht vorwerfen: dass er nicht kämpft. Im TV-Duell war er überaus angriffslustig, präsent und gut vorbereitet. Allerdings wirkte er durch seine Dauerfeuer beim Thema Steuern auch ermüdend-eindimensional. Starmer dagegen hatte sich erkennbar vorgenommen, nicht ständig einfache Antworten auf komplexe Themen zu geben. Vielleicht blieb er deshalb oft vage, wenn es darum ging, wie er seine Ziele erreichen will. Er profitiert von dem immensen Frust über die Tories. Ginge es nur um Antworten auf aktuelle Probleme, dürfte das Rennen wesentlich offener sein.
Es war gegen Ende des TV-Duells, als ein älterer Herr aufstand und seine Frage stellte. Ob diese beiden, Rishi Sunak und Keir Starmer, wirklich das Beste seien, was das Land zu bieten habe. Es folgten Gelächter und Applaus im Publikum.
Quelle: ntv.de