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Integrationstalk bei Markus Lanz "Termin beim Zahnarzt ist einfacher als bei deutscher Botschaft"

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Ryyan Alshebl kam übers Mittelmeer nach Lesbos und ist jetzt Bürgermeister von Ostelsheim.

Ryyan Alshebl kam übers Mittelmeer nach Lesbos und ist jetzt Bürgermeister von Ostelsheim.

(Foto: picture alliance/dpa)

Viel wird dieser Tage über Migranten berichtet, bei denen sich die Integration schwierig gestaltet. Bei Markus Lanz kommt ein Mann zu Wort, von dem man das nicht sagen kann. Der 2015 aus Syrien geflüchtete Gast ist jetzt Bürgermeister.

Wenn Ryyan Alshebl über sein Leben erzählt, glaubt man nicht, dass er erst seit acht Jahren in Deutschland lebt. Sein Deutsch ist perfekt, sein Badener Akzent ist nicht zu überhören. Ryyan Alshebl beschließt 2015, aus Syrien nach Deutschland zu fliehen, um in seinem Heimatland keinen Militärdienst leisten zu müssen. Bei Markus Lanz berichtet er über seine Flucht aus Syrien. Er ist illegal nach Deutschland gekommen. "Bei den Leuten in meinem Dorf bin ich kein Syrer, da gelte ich als Deutscher", sagt Alshebl, der mittlerweile eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzt und in seiner Gemeinde Ostelsheim vor einem halben Jahr zum Bürgermeister gewählt wurde. Ostelsheim ist ein Dorf mit etwa 2500 Einwohnern, etwa 60 Kilometer von Karlsruhe entfernt.

Wie fühlt sich Ertrinken an?

Im Frühjahr 2015 macht sich Alshebl auf den beschwerlichen Weg nach Deutschland. Da kann er "Guten Morgen" und "Guten Tag" sagen. Deutsch hat er durch Integrationskurse und durchs Fernsehen gelernt. "Und natürlich ist der Kontakt zu den Menschen das Wichtigste", sagt Alshebl. Dass er nach Deutschland kommen wollte, war ihm von vornherein klar. Sein Bruder lebt hier, studierte damals in Karlsruhe. "Und dann ist Deutschland ein perspektivreiches Land", sagt er lächelnd.

Gemeinsam mit drei Freunden macht er sich auf den Weg. Zunächst nimmt er mit einem Schleuser in Istanbul Kontakt auf. "Der war für die Abwicklung zuständig. In Istanbul hat man dann gesehen, dass der ein Niemand in diesem Prozess ist. Den eigentlichen Schleuser lernt man nicht kennen."

In Istanbul gibt es ein Treffen. Alshebl muss 4.000 Euro für die Flucht nach Deutschland bezahlen. Dann wartet er in einer kleinen Wohnung auf den Anruf, in dem er erfährt, dass die eigentliche Flucht beginnt. Er hat eine halbe Stunde Zeit, um einen Bus zu erreichen, der in Richtung Meer fährt. Nachdem er an der Küste ein Boot bestiegen hat, muss er sein Gepäck zurücklassen, weil zu viele Menschen an Bord sind. "Dann sind wir in der Nacht zur griechischen Insel Lesbos gefahren. Wir hatten nichts, nur unsere Personalausweise und ein wenig Geld", erzählt Alshebl. Es ist stockdunkel auf der Fahrt, die Wellen steigen immer höher, Wasser läuft in das Boot. "Und plötzlich stellt man sich dann die Frage, wie es sich anfühlen könnte, wenn man ertrinkt."

Botschaft verhindert legale Einreise

Auf Lesbos angekommen, muss sich Alshebl registrieren. 2015 bedeutet das eine Duldung in Griechenland, das man innerhalb von drei Monaten verlassen muss. "Damals wollte aber auch keiner in Griechenland bleiben", sagt er.

Migrationsforscher Gerald Knaus erklärt, warum. "Deutsche Gerichte haben anerkannt, dass das Leben für Flüchtlinge in Griechenland unwürdig ist. Für anerkannte Asylsuchende sind dort Bett, Brot und Seife nicht garantiert. Die Leute können auf der Straße enden, bekommen keine Sozialleistungen und können sich ihren Lebensunterhalt nicht sichern. Das ist in mehreren EU-Ländern so", sagt Knaus. Schlimmer sei es zum Beispiel in Ungarn, wo es verboten sei, Asylanträge zu stellen. Ungarn habe im Jahr 2022 vierzig Asylanträge bearbeitet, aber die seien nicht in dem Land gestellt worden. "Das ist absolut illegal und wurde von den europäischen Gerichten verurteilt. Aber den Ungarn sind die europäischen Gerichte egal", sagt Knaus.

Alshebl braucht insgesamt zwei Wochen für die Flucht nach Deutschland. Er gehört damals zu den illegalen Flüchtlingen. Dabei hatte er ursprünglich legal nach Deutschland einreisen wollen. Dazu versucht er, einen Termin in der deutschen Botschaft in der libanesischen Hauptstadt Beirut zu bekommen. "Aber ich habe keinen bekommen. Denn dafür musste man Geld zahlen." Alshebl spricht bei Markus Lanz von Korruption. "Die Termine werden von Privatbüros vermittelt, und die verkaufen diese Termine. Mein kleiner Bruder musste zum Beispiel 400 Euro bezahlen. Er hat das Geld einem Privatmann gegeben. Welche Funktion der hatte, hat keiner begriffen. Aber am Ende hatte er einen Termin." Diese Erzählung löst bei den Gästen der Talkshow Entsetzen aus. Sogar Paul Ziemiak, von 2018 bis 2022 Generalsekretär der Bundes-CDU, hat davon nach eigenen Aussagen nichts gewusst und will sich mit dem Auswärtigen Amt in Verbindung setzen. Der damalige Außenminister war der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Noch heute ist Ryyan Alshebl wütend über die Situation in den Botschaften, die er erlebt hat: "Einen Termin beim Zahnarzt zu bekommen ist leichter als einen bei einer deutschen Botschaft. Mein Eindruck ist, dass da Menschen sitzen, die alles versuchen, zu verhindern, dass du ein Visum bekommst."

Seine Gemeinde könne noch ein paar geflüchtete Menschen aufnehmen, sagt er. Doch nicht mehr lange. Er spricht sich dafür aus, "dass wir versuchen, Migration aus sicheren Herkunftsländern weitgehend einzudämmen". Und er setzt sich dafür ein, dass Menschen, die drei oder vier Jahre Bürgergeld bekommen, ein Jahr soziale Arbeit leisten müssen, "egal, woher sie kommen".

Quelle: ntv.de

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