
Transparenzregeln für das Parlament existieren seit Jahren, doch nicht jeder Abgeordnete hält sich daran.
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Seit dem Korruptionsskandal um Ex-Vizepräsidentin Kaili beschäftigt sich das Europäische Parlament mit seinen Vorschriften für den Umgang mit Lobbyisten. Dabei wird klar, dass viele Abgeordnete sie bislang ignorieren, ohne dafür bestraft zu werden. Die EU will nun nachjustieren.
Das Europäische Parlament steht noch immer unter Druck. Der Korruptionsskandal um seine ehemalige Vizepräsidentin Eva Kaili im Winter vergangenen Jahres hat für einen schweren Imageschaden gesorgt. Er wirft ein schlechtes Licht auf die Arbeit der EU-Institutionen, die nach Schätzungen von etwa 30.000 Lobbyisten beeinflusst werden. Davon gibt es in Brüssel etwa so viele wie Mitarbeiter in den Behörden der Europäischen Union. Gespräche mit Interessenvertretern führen natürlich nicht automatisch zu Bestechung. Dennoch stellt sich nun die Frage, wie die EU den Umgang mit dem Lobbyistensumpf regeln will. In diesem Zusammenhang plant sie ein Ethikgremium.
Vorschriften für das Parlament existieren seit Jahren, doch nicht jeder Abgeordnete hält sich daran. So sollen Parlamentarier ihre Treffen mit Interessenvertretern in ein Lobbyregister eintragen. Nebeneinkünfte, Geschenke und Einladungen von Dritten müssen der Parlamentsverwaltung gemeldet und veröffentlicht werden. Dass die Mandatsträger diese Regeln teilweise ignoriert haben, zeigt sich daran, dass erst im Anschluss an den Skandal viele Präsente oder Reisen gemeldet wurden. Dies geschah meist nach Ablauf der dafür vorgesehenen Frist, die am Ende des Folgemonats abläuft.
Zu den Nachzüglern gehörte Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. Sie legte im Januar offen, welche Geschenke und Einladungen sie innerhalb eines Jahres entgegennahm. Dabei habe sie versucht, "so transparent wie möglich zu sein", sagte ein Sprecher. Sie wollte mit der Tradition ihrer Vorgänger brechen, die Präsente erst am Ende ihrer Amtszeit abgaben und von einer Veröffentlichung absahen. Allerdings kam auch Metsolas Meldung zu spät. Eine Strafe muss sie wohl nicht befürchten. Die Parlamentspräsidentin ist qua Amt selbst dafür verantwortlich, Regelverstöße zu sanktionieren.
Ethikgremium soll auch Kommission ins Visier nehmen
Diese "Kultur der Straflosigkeit" sollte abgeschafft werden, sagt Daniel Freund im Gespräch mit ntv.de. Der Grünen-Europaabgeordnete setzt sich für strengere Regeln gegen Lobbyismus ein. Er will ein unabhängiges Ethikgremium ins Leben rufen, das die Aktivitäten des Parlaments und der Kommission ins Visier nimmt. Zu Beginn ihrer Amtszeit habe EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Unterstützung zugesichert, sagt er. Auch im Parlament bekam er bereits eine Mehrheit. "Leider ist danach nicht mehr viel passiert", kritisiert Freund.
Ende März will die EU-Kommission auf Grundlage seines Vorschlags ihren eigenen Entwurf für das Gremium präsentieren. Bislang sehen die Planungen vor, dass Rat, Kommission und Parlament jeweils drei Mitglieder festlegen. Bei der Besetzung will Freund nicht auf Abgeordnete zurückgreifen, sondern etwa auf "ehemalige Richter, Mitarbeiter nationaler Behörden oder Bürgerbeauftragte". Falls sie einen Verstoß gegen Transparenzregeln feststellen, sollen sie eine Empfehlung an die Kommissions- und Parlamentspräsidentin abgeben. "Wenn diese Empfehlungen nicht befolgt werden, müssen die Präsidentinnen zumindest erklären, warum sie nicht sanktionieren", sagt er.
Auch Metsola selbst engagiert sich, um die Transparenz der Abgeordneten zu fördern. Ein 14-Punkte-Plan der Parlamentspräsidentin sieht unter anderem vor, die Lobbyarbeit von ehemaligen Europaabgeordneten einzuschränken. Kommende Woche will das Parlament über einen Entwurf abstimmen, mit dem es den Zugang seiner ehemaligen Mitglieder zu den Brüsseler Institutionen begrenzt. Diese konnten dort bislang ohne Anmeldung ein und aus gehen. Metsolas Plan sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, sagt Freund, geht seiner Meinung nach aber nicht weit genug. "Für Lobbyarbeit von Drittstaaten gibt es in der EU noch keinerlei Regeln", bemängelt er.
Im Parlament gibt es Gegner der "Aufschreiberegeln"
Transparenz ist insbesondere bei der Zusammenarbeit mit Ländern außerhalb der EU nötig. Denn hinter dem Bestechungsskandal um Kaili wird versuchte Einflussnahme auf Entscheidungen des Parlaments durch die Regierungen von Katar und Marokko vermutet. Den Beschuldigten wird von der Staatsanwaltschaft Korruption, Geldwäsche und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Kaili, der Drahtzieher Antonio Panzeri und andere Verdächtige sitzen noch immer in Untersuchungshaft. Der Eklat hatte Freunds Anliegen damals Aufschwung verliehen. Leider sei der Elan, den die Parlamentarier anschließend bei der Transparenz an den Tag legten, schon wieder verflogen, kritisiert er. "Momentan veröffentlicht nur noch die Hälfte der Abgeordneten ihre Treffen im Lobbyregister", so Freund.
Im Parlament finden sich auch Gegner einer strengeren Offenlegungspflicht. Zu ihnen zählt Vizepräsident Rainer Wieland, CDU-Politiker und Mitglied der Europäischen Volkspartei. Er glaubt nicht, dass nach dem Skandal "jeder Kollege mit Betroffenheitsmiene" herumlaufen muss, sagt Wieland im Gespräch mit ntv.de. Hinter den Machenschaften Kailis und ihren Verbündeten stecke kriminelle Energie, die nicht jedem unterstellt werden könne.
Da die Verfolgung eindeutig im Strafrecht liege, ende der Aufgabenbereich des Parlaments. Die Untersuchungen des Vorfalls seien noch nicht abgeschlossen. "Aus diesem Grund denke ich, dass wir abwarten müssen, statt schnell Maßnahmen zu beschließen", sagt Wieland. Die "Aufschreiberegeln", die nun diskutiert würden, lenkten nicht nur von der eigentlichen Arbeit ab. Im schlimmsten Fall führten sie auch dazu, dass Gesprächspartner wie Vertreter einer politischen Opposition in autoritär geführten Staaten ein Treffen verweigern werden, weil sie Angst davor haben, dass es öffentlich gemacht werde.
In einem Punkt ist sich Wieland sicher: Der Bestechungsskandal hätte durch mehr Transparenz nicht verhindert werden können. "Die Koffer voll Geld, die Frau Kaili bekam, hätte sie bestimmt nicht aufgeschrieben", sagt er.
Quelle: ntv.de