Rhetorik im US-Wahlkampf "Angst ist die Grundlage von Trumps Anziehungskraft"
14.10.2024, 20:00 Uhr Artikel anhören
Mit seinen Auftritten treibe Trump seine Berater in den Wahnsinn, sagt Politologe Daron Shaw.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Bis zur Präsidentschaftswahl in den USA sind es nur noch wenige Wochen. Kamala Harris und Donald Trump touren für ihren Wahlkampf durchs Land. Worin sich ihre Strategie und Rhetorik unterscheiden, und wen sie damit erreichen wollen, erklärt Politologe Daron R. Shaw von der University of Texas.
ntv.de: Herr Professor Shaw, Sie forschen zu Wahlen und Kampagnen in den USA. Wie unterscheidet sich der Wahlkampf von Kamala Harris und Donald Trump?
Daron R. Shaw: Vizepräsidentin Harris führt einen Wahlkampf, der dem ihres Vorgängers, Präsident Joe Biden, sehr ähnelt: Es gibt nur eine kleine Anzahl von Veranstaltungen, ihre Reden sind gut strukturiert, oft liest sie vom Teleprompter ab. Während Bidens Veranstaltungen jedoch oft eher ernst und düster waren, geht es bei Harris ausgelassener und energischer zu.
Donald Trump führt seinen Wahlkampf weitgehend so, wie er es schon 2015 tat. Bei seinen oft riesigen Veranstaltungen scheint er sich kaum an irgendein Skript zu halten, sondern passt seine Worte der Energie der Menge an - und umgekehrt. In einigen Fällen treibt er seine Berater damit definitiv in den Wahnsinn.
Wie unterscheidet sich die Rhetorik der beiden?
Es ist nicht überraschend, dass Donald Trump als Nicht-Amtsinhaber negativer über die letzten vier Jahre spricht als seine Kontrahentin. Gleichzeitig richtet er sich konkret an seine Wählerschaft: Er spricht die Sorgen und Ängste der Amerikaner an, die das Gefühl haben, dass das Land sie zurückgelassen hat, wirtschaftlich und kulturell. Angst ist die Grundlage seiner Anziehungskraft.
Harris' Anziehungskraft besteht darin, dass sie nicht Trump ist. Sie versucht, dieser Negativität mit Optimismus entgegenzuwirken. Sie ist zukunftsorientierter, wirbt nicht so sehr mit den Errungenschaften der Demokraten, sondern eher mit den Möglichkeiten, die sie haben. Ob das ausreicht, wird man sehen. Angst ist eine starke Emotion.
Gibt es Wählergruppen, die Trumps Schwarzmalerei eher verschreckt?
Trumps größte Herausforderung liegt darin, die 10 bis 15 Prozent der Wähler zu überzeugen, die nicht zu seinen Anhängern zählen. Diese Wechselwähler stören sich oft an Trumps Feindseligkeit, den verbalen Angriffen, seinem Ton, dem Tweeten um Mitternacht. Dass er sich mit politischen Gegnern anlegt, die er vielleicht lieber ignorieren sollte. Sicher hätte er einige dieser Menschen schon erreichen können, wenn er zu Beginn seiner Kampagne gesagt hätte: "Ich habe aus meinen vier Jahren als Präsident gelernt." Aber das hat er nie getan. Er ist noch immer derselbe. Das Problem liegt nun darin, dass ihm einige der Kontrollen fehlen, die er vor vier Jahren noch hatte.
Denn Trump ist nicht mehr von den Leuten umgeben, von denen wir damals dachten, dass sie die institutionellen Säulen der amerikanischen Politik mittragen - die verfassungsmäßigen Beschränkungen, die Gewaltenteilung, den öffentlichen Dienst. Wir dachten, dass diese Leute ihn kontrollieren und seine schlimmsten Instinkte zügeln würden. Ich befürchte, dass es nicht mehr viele dieser Leute gibt.
Unterscheidet sich Trumps Wahlkampf von dem aus dem Jahr 2020?
Trump ist vier Jahre älter und sicher nicht mehr so schnell auf den Beinen. Seine Botschaft hat sich allerdings kaum verändert. Er bleibt mit seinem Auftreten eine absolut einzigartige Figur in der amerikanischen Geschichte. Sicher gab es auch vorher populistische Kandidaten: Wir haben diese Art von Politikern in Asien gesehen, in Europa - aber im amerikanischen Kontext ist er nach wie vor einzigartig.
Harris warnt vor Trump als einem Diktator, Trump nennt Harris eine Verrückte mit hysterischem Lachen. Welche Gefahr verbirgt sich hinter solchen Dämonisierungen?
Es gibt in Amerika eine lange und unehrenhafte Tradition negativer Wahlkampfführung. Ich halte diese Rhetorik daher nicht für besonders ungewöhnlich. Wenn man sich die erste umkämpfte Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten 1800 zwischen Thomas Jefferson und John Adams anschaut, las man ähnliche Dinge in den Zeitungen. In gewisser Weise sind amerikanische Wahlen auch deshalb so fesselnd, weil sie für die Massen gemacht sind.
Also ist alles wie immer?
Ich denke, dass sich die Rhetorik rund um die Wahl selbst verschärft hat. Donald Trump einen Diktator oder Kamala Harris eine Verrückte zu nennen, sind Kleinigkeiten. Aber anzukündigen, das Wahlergebnis nicht anzuerkennen oder von massivem Betrug zu sprechen - diese Dinge wirken zersetzend und dürfen nicht auf die leichte Schulter genommen werden.
Vor allem Donald Trump nimmt es mit der Wahrheit oft nicht so genau. Spielen Fakten in diesem Wahlkampf überhaupt noch eine Rolle?
Die alte Leier über Donald Trump ist, dass die Presse ihn wörtlich, aber nicht ernst nimmt; seine Wähler nehmen ihn dagegen ernst, aber nicht wörtlich. Trump spricht fast ausschließlich in Extremen: von der besten Wirtschaft, ihm als bestem Präsidenten und Harris, der schlechtesten Vizepräsidentin aller Zeiten. Das ist zermürbend - vor allem für die Berichterstattung.
Ob mehr gelogen wird, kann ich nicht sagen. Ich glaube aber, dass die Zahl der Medien, die darüber berichten, geradezu explodiert. Jede Aussage wird analysiert. Oft entsteht dabei der Eindruck, dass die Überprüfung der Fakten uneinheitlich geschieht. Es ist unklar, wer wann überprüft wird. Es gibt ein paar offensichtliche Verzerrungen, nämlich dass Amtsinhaber eher überprüft werden als Herausforderer. Ich denke, dass die Rechte mehr auf Fakten geprüft wird als die Linke. Zu sagen, dass die Rechten nun mal mehr lügen, ist für mich kein Argument.
Bei der letzten Wahl gab es mehr Menschen, die nicht gewählt haben, als Menschen, die für Trump gestimmt haben. Wie erreicht man Nicht-Wähler?
Das ist einer der interessantesten strategischen Unterschiede in diesem Wahlkampf. Neben ihrer eigenen Wählerschaft ist Harris noch mehr daran interessiert, Wechselwähler zu erreichen: die Menschen, die nicht für Trump stimmen wollen, aber auch ihr gegenüber misstrauisch sind. Trump hingegen scheint es auf Wähler abgesehen zu haben, die wahlberechtigt sind, aber nicht wählen. Solche, die aussehen, als würden sie für ihn stimmen, wenn sie denn wählen würden.
Es gibt die sogenannte Wahlbeteiligungsquote. Die wird von Analysten und Parteien ermittelt und basiert auf der Wahlbeteiligung in der Vergangenheit, den Lebensumständen und dem Alter der Person. Da gibt es eine Skala von 1 bis 10. 10 bedeutet, dass man über Scherben laufen würde, um an einer Kommunalwahl teilzunehmen. 0 bedeutet, die Person hat noch gar nicht gewählt oder man ist nicht einmal sicher, dass sie noch lebt. Trump zielt auf viele dieser technisch gesehenen Nullen, Einsen und Zweien auf dieser Skala ab.
Ist das Erfolg versprechend?
Es gibt viele Republikaner, die dem sehr skeptisch gegenüberstehen, mit dem einfachen Argument: Das sind keine Wähler. Das sind Menschen, die mit anderen Dingen im Leben beschäftigt sind, in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken, gar nicht wissen, wie man wählt. Dennoch scheint Trump eine Menge Energie darauf zu verwenden, diese Menschen mit Informationen zu versorgen und zur Wahlurne zu bringen.
Die Wahl ist in wenigen Wochen. Womit rechnen Sie noch?
Es gibt kaum noch etwas, das mich überraschen würde. Wir hatten Attentatsversuche. Zu Beginn hatten wir, zum ersten Mal seit 1800, ein Rennen zwischen einem ehemaligen und einem amtierenden Präsidenten. Dann den Austausch eines Präsidentschaftskandidaten kurz vor der Wahl. Dazu kommt der Krieg in der Ukraine, der sich ausweitende Konflikt im Nahen Osten, Hurrikane. Die Möglichkeiten sind endlos. An diesem Punkt kann man nur noch Unerwartetes erwarten.
Mit Daron R. Shaw sprach Leah Nowak
Quelle: ntv.de