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"Es ist ein riskantes Spiel" Das plant Merz mit Russlands eingefrorenem Vermögen

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Die Entscheidung soll im Oktober fallen: Kanzler Merz will eingefrorene russische Gelder für Ukraine-Hilfen nutzen.

Die Entscheidung soll im Oktober fallen: Kanzler Merz will eingefrorene russische Gelder für Ukraine-Hilfen nutzen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Bundeskanzler Merz macht einen Vorschlag, wie eingefrorene russische Gelder für Ukraine-Hilfen genutzt werden können. Zahlreiche EU-Regierungschefs stimmen zu - doch ein zentraler Akteur hat Bedenken. Strittig ist etwa, wer haftet, wenn etwas schief geht.

Beim Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) in Kopenhagen ist die Ukraine-Hilfe ein zentrales Thema. Um das Kriegsland finanziell zu unterstützen, hatte Bundeskanzler Friedrich Merz einen Vorschlag gemacht: Er will das in der EU eingefrorene russische Vermögen für Kredite nutzen, um die Ukraine für den weiteren Abwehrkampf gegen die russischen Angreifer aufzurüsten. Konkret geht es um 140 Milliarden Euro.

Eine Entscheidung darüber strebt Merz noch im Oktober an. "Wir werden das jetzt sorgfältig prüfen und es wird in drei Wochen auf dem nächsten Europäischen Rat, aller Voraussicht nach, dazu eine konkrete Entscheidung geben", sagte der CDU-Vorsitzende nach dem Gipfel.

Um diese russischen Gelder geht es

In der EU liegen hunderte Milliarden Euro russischen Staatsvermögens, vor allem in Belgien bei dem Unternehmen Euroclear. Das Geld wurde nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 eingefroren. In der Debatte schwankt die genannte Höhe dieses Geldes zwischen 200 und 250 Milliarden Euro. Einig scheint man sich zu sein, dass mittlerweile etwa 185 Milliarden Euro in bar bei Euroclear liegen, weil die Laufzeit ihrer Anlageformen abgelaufen ist - der Betrag soll in den kommenden Monaten sogar steigen, weil dann weitere Geldanlagen auslaufen.

Bisher werden nur die Erträge - etwa Zinszahlungen - aus den russischen Geldanlagen dafür verwendet, einen 50 Milliarden Euro-Kredit an die Ukraine zu finanzieren, aber nicht das Geld selbst. Von den 185 Milliarden Euro sollen deshalb 45 Milliarden dafür reserviert bleiben, diesen Kredit abzulösen - bleiben also 140 Milliarden Euro.

Um diese Summe zu nutzen, hat der Bundeskanzler dafür ein kompliziertes Verfahren vorgeschlagen. Es ähnelt den Gedanken, die auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geäußert hatte. Danach werden die liquiden Mittel genutzt, damit Euroclear Anleihen der EU-Kommission kauft und diese einlagert. Der Ukraine wiederum werden die 140 Milliarden Euro als zinslose Kredite gegeben. Diese soll das Land zurückzahlen, wenn Russland am Ende des Krieges - wie erhofft - Reparationen zahlt.

Eine Beschlagnahmung des Geldes sei dies nicht, argumentiert die Kommission. Gegen eine offene Beschlagnahmung gibt es erhebliche rechtliche und wirtschaftliche Bedenken.

Ein zentraler Akteur hat Bedenken

An dem Plan von Merz und von der Leyen gibt es Zweifel - unter anderem in Belgien, wo der größte Teil des in der EU eingefrorenen russischen Zentralbankvermögens lagert. Der belgische Premierminister Bart De Wever warf den Unterstützern des Projekts vor, die Risiken sträflich zu vernachlässigen und keine Antworten auf offene Fragen zu haben.

"Es ist ein riskantes Spiel", sagte er bei einem EPF-Gipfel. Die EU betrete in diesem Zusammenhang "völliges Neuland". Neben der Gefahr einer Beschlagnahmung von Vermögenswerten europäischer Unternehmen in Russland nannte er dabei auch die Möglichkeit, dass es Anschlagsversuche gegen den Chef des belgischen Finanzinstituts Euroclear geben könnte. Zwar betonte De Wever, dass Belgien die Nutzung der eingefrorenen russischen Staatsvermögen nicht ablehnt. Zuvor müssten aber alle für Belgien wichtigen rechtlichen Fragen geklärt werden.

Dass es sich bei dem Vorgehen zudem nicht um Beschlagnahmung handeln soll, sieht De Wever anders: "Wenn ich Ihr Geld nehme und es verwende, werden Sie das wohl als Beschlagnahme bezeichnen." Belgien ist dem Vorhaben gegenüber besonders kritisch eingestellt, weil es fürchtet, im Zweifelsfall für das Geld haften zu müssen.

Der belgische Premierminister verglich das festgesetzte Staatsgeld mit einem dicken Huhn und die abfallenden Zinsen mit goldenen Eiern. Die Frage sei: Wann esse man das Huhn?

De Wever fordert EU-Solidarität

Für den Fall, dass die eingefrorenen russischen Gelder unerwartet wieder freigegeben werden müssen, forderte De Wever andere EU-Staaten zur Solidarität auf. Er habe andere Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union um Garantien gebeten, damit sie die Risiken teilten, sagte er vor dem EPG-Gipfel.

Am Mittwoch hatten 27 EU-Regierungschefs prinzipiellen Vorschlägen der EU-Kommission und von Kanzler Merz zugestimmt, dass das russische Geld genutzt werden sollte, um der Ukraine einen Kredit über 140 Milliarden Euro vor allem für Waffenkäufe zu geben. "Ich habe meinen Kollegen gestern erklärt, dass ich ihre Unterschrift brauche", sagte De Wever in Kopenhagen. "Sie soll besagen: Wenn wir Putins Geld nehmen, verwenden wir es. Und wenn etwas schiefgeht, tragen wir alle die Verantwortung", fügte er hinzu.

Russland hat bereits mit Konsequenzen gedroht. De Wever sagte, dass der Chef des Unternehmens Euroclear, bei dem das russische Staatsvermögen in Höhe von rund 200 Milliarden Euro gelagert ist, ständig unter Polizeischutz stehe. De Wever betonte, dass er die vorgeschlagene Lösung nicht blockieren wolle. "Ich war vom ersten Tag an sehr konstruktiv", sagte er. Allerdings brauche er ein Höchstmaß an Rechtssicherheit und Solidarität.

Kritik kommt nicht nur aus Belgien

An seiner Seite hat De Wever aus dem Kreis der EU-Staaten unter anderem den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Dieser sieht die Merz-Pläne allerdings vor allem aus anderen Gründen kritisch. Die derzeit auf dem Tisch liegenden Unterstützungsvorschläge für die Ukraine würden zeigen, dass die EU in den Krieg ziehen wolle, wetterte er am Rande des Gipfeltreffens. Ungarn lehne dies ab. Europa müsse für Frieden verhandeln.

Auch die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni äußerte in einem Gespräch mit Merz Bedenken. Sie habe die geplanten finanziellen Garantien der EU-Mitgliedstaaten als zu "debattierendes Thema" hervorgehoben, hieß es in deutschen Regierungskreisen.

Sollte es beim nächsten EU-Gipfel in drei Wochen ausreichend Unterstützung für den Plan geben, könnten Details ausgearbeitet werden. Eine Umsetzung wird derzeit frühestens in einigen Monaten erwartet. Die Zeit drängt allerdings, weil die USA aus der Finanzierung der Ukraine-Unterstützung nahezu komplett ausgestiegen sind und der Bedarf des Landes riesig ist.

Quelle: ntv.de, nbr/dpa/AFP/rts

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