Politik

Keine Arbeit wegen Bürgergeld? Ukrainer wehren sich gegen Vorwürfe von Union und FDP

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Zwei Ukrainerinnen, die in einer Restaurantküche in Rheinland-Pfalz arbeiten.

Zwei Ukrainerinnen, die in einer Restaurantküche in Rheinland-Pfalz arbeiten.

(Foto: dpa)

Die Debatte ist in vollem Gange: Verhindert das Bürgergeld, dass mehr Ukrainer arbeiten? Die Chefin der Allianz Ukrainischer Organisationen weist dies vehement zurück. "Es liegt am System", sagt sie und weiß Abhilfe. Auch der Botschafter in Berlin äußert sich.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, hat die Politik dazu aufgerufen, den Streit über das Bürgergeld nicht zulasten ukrainischer Kriegsflüchtlinge auszutragen. "Für mich ist es wichtig, dass meine Landsleute nicht als politisches Streitobjekt, sondern als Menschen gesehen werden", sagte Makejew dem "Spiegel". Er appellierte an die Bundesregierung, "der Ukraine zu einem gerechten Frieden zu verhelfen, der eine sichere Rückkehr ermöglicht".

Die Vorstandsvorsitzende der Allianz Ukrainischer Organisationen in Deutschland, Oleksandra Bienert, wies angesichts der Debatte die Behauptung zurückgewiesen, die Zahlungen verhinderten die Arbeitsaufnahme. "Dass die Arbeitsmarktintegration so schleppend verläuft, liegt definitiv nicht daran", sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Die Ukrainer wollen arbeiten, weil es um Würde geht. Wer will denn zu Hause vor dem Fernseher sitzen?" Bienert fügte hinzu: "Es liegt am System. Das bremst die Menschen aus." So seien Arbeitgeber mit zu viel Bürokratie konfrontiert. Außerdem dauere die Anerkennung von ukrainischen Berufsabschlüssen zu lange.

Die Vorstandsvorsitzende betonte: "Die Lösung des Problems besteht darin, das System zu vereinfachen, die Anerkennung zu beschleunigen und die Arbeitgeber mehr zu unterstützen. Denn je länger die Menschen hier sind, desto mehr Wurzeln schlagen sie." Dass sich hinter der Debatte eine generell abnehmende Akzeptanz ukrainischer Flüchtlinge in Deutschland verbergen könnte, glaubt sie nicht. "Wir spüren weiterhin Unterstützung", sagte Bienert.

Linnemann droht mit Entzug von Sozialleistungen

Unterdessen bekräftigten Union und FDP ihre Forderung, Neuankömmlingen aus der Ukraine kein Bürgergeld mehr zu zahlen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sieht darin ein Beschäftigungshindernis. "Wer arbeiten kann, muss auch arbeiten gehen - oder es gibt keine Sozialleistungen", sagt er dem "Spiegel". FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai kritisierte die Höhe der staatlichen Leistung: "Wer frühmorgens aufsteht und zur Arbeit geht, muss immer deutlich mehr haben als Bezieher von Sozialleistungen", sagte er.

Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen von der CDU hatte dem RND gesagt, "Flüchtlingen aus der Ukraine sofort Bürgergeld zu zahlen", habe sich "als grundsätzlicher Fehler erwiesen". Die Beschäftigungsquote von Ukrainern sei verschwindend gering, weil das Bürgergeld "zum Bremsschuh für die Arbeitsaufnahme" geworden sei. "Die Bundesregierung muss hier zwingend über einen Kurswechsel nachdenken."

FDP-Vize plädiert für europaweit einheitlicheres Niveau

FDP-Vize-Chef Johannes Vogel plädierte dafür, die finanzielle staatliche Unterstützung für ukrainische Flüchtlinge abzusenken. "Es erscheint rechtlich möglich, einen geringeren Regelsatz mit den Arbeitsmöglichkeiten des Bürgergelds samt der Vermittlungsstrukturen zu kombinieren", sagte Vogel ebenfalls dem RND. Es sei richtig und wichtig, Menschen aus der Ukraine in Deutschland Schutz zu gewähren, die vor dem Angriff Russlands geflohen seien. "Es ist zugleich berechtigt, im Zuge der Verlängerung der entsprechenden EU-Richtlinie neben einer ausgewogeneren Verteilung ein europaweit einheitlicheres Niveau der staatlichen Leistungen für neu Ankommende anzustreben."

Dem Vorschlag von FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, Neuankommenden aus der Ukraine kein Bürgergeld mehr zu zahlen, sondern die niedrigeren Leistungen für Asylbewerber, schloss sich Vogel damit nicht an. Mit dem Systemwechsel wären unter anderem andere Arbeitsvermittlungsregelungen verbunden. Arbeitsmöglichkeiten müssten "natürlich ab Tag eins bestehen, das Ziel muss ja sein, ukrainische Geflüchtete möglichst schnell in den Arbeitsmarkt zu bringen", sagte Vogel. "Da ist gerade in Deutschland im Vergleich noch Luft nach oben."

Der Grünen-Sicherheitspolitiker Sebastian Schäfer warnte dagegen davor, dass die Bürgergeld-Debatte die Akzeptanz für die militärische Unterstützung der Ukraine mindern könnte. "Wir brauchen den breiten Rückhalt unserer Bevölkerung für die vielfältige Unterstützung der Ukraine, dieser wird durch ziellose Scheindebatten wie die ums Bürgergeld unterminiert", sagt er dem "Spiegel". Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch warf der Union vor, sie verliere ihren Kompass. "Wir hatten einen gesellschaftlichen Konsens, dass Menschen, die vor Putins Bomben fliehen, hier bei uns Schutz finden, Geld verdienen und so ihr Land unterstützen können", sagte Audretsch. "Die Union ist gerade dabei, diesen Konsens einzureißen."

Quelle: ntv.de, ghö

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