Bürgergeld für Ukrainer Die Union hilft der AfD - und merkt es nicht einmal


Die Aufnahme der Ukrainerinnen und Ukrainer ins Bürgergeld-System (das damals noch ALG II hieß) sollte bei der Integration in den Arbeitsmarkt helfen. Geklappt hat das nicht.
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Die Union macht Wahlkampf auf dem Rücken der ukrainischen Flüchtlinge. Das kann dramatisch nach hinten losgehen. Und es ignoriert einen zentralen Punkt: Ohne die Waffenlieferungen an die Ukraine gäbe es noch viel mehr Flüchtlinge in Deutschland.
Das Ergebnis der Europawahlen steckt auch der CDU in Ostdeutschland noch in den Knochen. Anders ist ein Vorstoß des brandenburgischen Innenministers Michael Stübgen nicht zu erklären.
Es passe nicht zusammen, "davon zu reden, die Ukraine bestmöglich zu unterstützen, und im gleichen Atemzug, fahnenflüchtige Ukrainer zu alimentieren", sagte der CDU-Politiker. Ins selbe Horn hatte bereits der bayerische Innenminister Joachim Herrmann gestoßen. Man müsse "klar sagen, dass Leuten, die sich der Wehrpflicht entziehen, kein Bürgergeld mehr gezahlt wird". An diesem Mittwoch soll der Vorstoß von Herrmann und Stübgen in der Innenministerkonferenz diskutiert werden.
Nun kann man der Meinung sein, dass Ukrainer im wehrfähigen Alter ihr Land verteidigen sollten. Aber nicht jede private Meinung lässt sich in Gesetze gießen. Ukrainer in Deutschland mit dem Entzug der Grundsicherung zu zwingen, Wehrdienst in der Heimat zu leisten - das ist abenteuerlich: Juristisch wäre es vermutlich unhaltbar, eine bestimmte Altersgruppe vom Bürgergeld auszuschließen. Die Umsetzung der Idee wäre allenfalls über den Umweg denkbar, von den Ukrainern in Deutschland einen gültigen Pass zu verlangen: Die Ukraine gibt seit April keine Pässe mehr an Männer zwischen 18 und 60 Jahren im Ausland aus. Aber auch das hätte zumindest den Anschein von Trickserei.
Unabhängig von ihrer Umsetzbarkeit ist die Idee hochproblematisch. Noch immer scheint sich eine zentrale Erkenntnis der Populismusforschung nicht herumgesprochen zu haben: Wer die Narrative der Rechtspopulisten übernimmt, stärkt sie im Zweifel nur - vor allem dann, wenn seine Initiative gar nicht umsetzbar ist. Heißt: Der Vorstoß der Union kann dramatisch nach hinten losgehen.
Es ist Wahlkampf
Offenkundig will die Union hier ein Ressentiment gegen die Ukraine bespielen, ohne ihren generellen Kurs in der Ukraine-Politik aufzugeben. 26 Prozent der Unionsanhänger finden, dass die Ukraine aus Deutschland zu viel Unterstützung bekommt, mehr als bei den Regierungsparteien. In Ostdeutschland insgesamt sagen dies 40 Prozent, in Westdeutschland 29 Prozent. Im September wird in drei ostdeutschen Bundesländern gewählt, unter anderem in Brandenburg.
Immerhin umsetzbar wäre dagegen eine Forderung, die auch aus der Union kommt und von der FDP erhoben wird: den ukrainischen Kriegsflüchtlingen nicht Bürgergeld zu geben, sondern Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dafür gibt es nachvollziehbare Argumente. Allerdings wird dabei vergessen, dass die Ukrainer vor zwei Jahren nicht aus Barmherzigkeit ins Bürgergeld-System aufgenommen wurden. Die Gründe wogen damals schwer: Angst vor einer massiven Überlastung des Asylsystems. Stattdessen sollten Kommunen und Länder entlastet werden. Denn die bezahlen die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Kosten für das Bürgergeld übernimmt dagegen der Bund. Außerdem sollte so eine schnellere Integration in den Arbeitsmarkt gelingen.
Weniger Waffen heißt: mehr Flüchtlinge
Geklappt hat Letzteres nur bedingt, was vermutlich nicht nur am Bürgergeld liegt, sondern auch an den Hürden, die die deutsche Bürokratie den Ukrainerinnen und Ukrainern immer noch in den Weg legt.
Thorsten Frei, der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, hat ganz richtig beobachtet, dass die Zahl der in Deutschland arbeitenden Ukrainerinnen im internationalen Vergleich "auffällig niedrig" ist. Aber vermutlich liegt dies eher an Deutschland, weniger an den Ukrainerinnen. Trotzdem bedient auch Frei vor allem das Ressentiment: "Während es für Kiew angesichts des brutalen russischen Angriffs um alles geht, ducken sich hierzulande viele wehrfähige Ukrainer weg." Kein Wort von den hohen Sprachhürden für viele Jobs, kein Wort über die strengen Anerkennungsregeln für ausländische Berufsabschlüsse.
Die Union hat nach dem russischen Überfall auf die Ukraine vieles richtig gemacht. Drei Monate vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland hat sie offenbar Angst vor ihrer eigenen Courage. Die Kombination aus ihrem Ja zur militärischen Unterstützung der Ukraine und einem Abschreckungskurs gegen ukrainische Flüchtlinge ist unglaubwürdig - und der Union nicht würdig.
Sie sollte damit aufhören, einer fiktiven Zielgruppe nach dem mutmaßlichen Mund zu reden. Und stattdessen damit anfangen, den Leuten eine andere Erkenntnis klarzumachen: Noch viel mehr Flüchtlinge werden aus der Ukraine nach Deutschland kommen, wenn es nach CDU-Politikern wie dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer geht. Der hat in seiner Regierungserklärung vor ein paar Tagen gesagt, man müsse darüber diskutieren, "ob es wirklich richtig ist, dass Deutschland so sehr Kriegspartei geworden ist". Kriegspartei geworden? Wer Putins Narrativ übernimmt, sollte sich nicht wundern, wenn am Ende die AfD profitiert.
Quelle: ntv.de