Unabhängigkeitsnester im Visier Trump weitet Machtkampf gegen den Staat aus
01.09.2025, 23:53 Uhr Artikel anhören
Möchte seine Vorstellungen durchsetzen: US-Präsident Donald Trump.
(Foto: dpa)
Erst waren es die Ministerien, jetzt geht US-Präsident Trump aggressiv gegen relativ unabhängige Behörden vor: Statistiker, die Fed, das CDC. Es sind neue Schritte in seinem Machtkampf gegen den Staat. Der könnte darüber seine Glaubwürdigkeit verlieren.
Die Abgeordneten und Senatoren kommen am Dienstag in ein anderes Washington zurück, als sie es für ihre Sommerpause verlassen haben. Mehr als 2000 Nationalgardisten sind in der Hauptstadt unterwegs, dazu Hunderte Beamte von FBI, der Anti-Drogenbehörde DEA und Einwanderungsbehörde ICE. Und von mancher Fassade beobachtet auf Bannern ein grimmiges Gesicht Donald Trumps das Geschehen. Diese Präsenz ist plakativ, das soll Eindruck machen, womöglich auch einschüchtern.
Trump hat zudem Waffen in die Hand genommen, mit denen er nicht nur Ministerien, sondern auch andere Regierungsstellen mehr auf seine Linie bringen kann: Informationskontrolle und Druck. Er geht bislang unabhängig vom Weißen Haus und Kongress arbeitende Behörden aggressiv an; wohl deshalb, weil sie unliebsame Zahlen veröffentlicht haben oder nicht das tun, was er gerne hätte. Damit setzt er auch international die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten aufs Spiel.
Seine Präsidentschaft tritt so schon im ersten Jahr in eine Phase ein, die fast ein Jahrhundert Regierungspraxis auf den Kopf stellen könnte: Politik auf Basis von Bauchgefühl und Partikularinteressen statt wissenschaftlicher Daten und Statistik. Es ist nicht so weit, aber die Anzeichen verdichten sich, dass Trump davor nicht Halt machen wird. Schon in seiner ersten Amtszeit meinte der Republikaner, die Verfassung gebe ihm das Recht, zu machen, was er will.
Dahinter steht die Überzeugung, er als Präsident habe die Entscheidungsgewalt über den kompletten Staatsapparat - und zwar nur der Präsident. Nach dieser juristischen Theorie kann Trump auch jeden feuern, den er will. "Es ist die Zentralisierung der verfassungsmäßigen Macht auf die Exekutive", wird William Galston von der Denkfabrik Brookings in der "New York Times" zitiert. So sollten "Inseln der Unabhängigkeit verkleinert oder vernichtet" werden; zugunsten solcher, die sich seinem Willen beugen.
Gegen willkürliche und für faktenbasierte Politik gibt es in den USA seit 2018 ein Gesetz, das Behörden verpflichtet, Daten und Belege zu sammeln, auf denen ihr Vorgehen basiert. Diese Vorgehensweise ergibt wegen der Möglichkeiten von KI mehr Sinn als vor einigen Jahren - schließlich kann die Regierung wie nie zuvor Daten verarbeiten und nutzen. Doch Trump hat ein ganz eigenes Verhältnis zu Fakten. Die mögliche Umorientierung des US-Staatsapparats wird an mindestens drei Konflikten deutlich.
Wirtschaft
Nach einem für das Weiße Haus wenig schmeichelhaften Arbeitsmarktbericht für Juli feuerte Trump die Leiterin des verantwortlichen Statistikamtes, Erika McEntarfer. Die Daten sind ein mögliches Anzeichen dafür, dass Trumps Wirtschaftspolitik, insbesondere das Zoll-Hick-Hack, negative Folgen hat. Trump behauptete, der Bericht sei "gefälscht". Er beschuldigte McEntarfer zudem, die Arbeitsmarktdaten vor der Präsidentschaftswahl 2024 verändert zu haben, "um Kamala (Harris') Siegeschancen zu verbessern".
Der designierte neue Chef ist E.J. Antoni, ein Wirtschaftswissenschaftler, der öffentlich auch Trumps Zollpolitik verteidigt. Antoni ist zudem für die konservative Denkfabrik Heritage Foundation tätig - daher kommt das berüchtigte Maßnahmenprogramm "Project 2025", dem Trumps Regierung mehr oder weniger folgt. Kritiker befürchten, der neue Behördenkopf könnte kommende Zahlen schönrechnen, um Trumps Wirtschaftspolitik in besserem Licht dastehen zu lassen. Unternehmen, Investoren, praktisch die ganze Wirtschaft schauen darauf; es sind Kennzahlen über den Zustand der US-Wirtschaft, die weltweit Bedeutung haben.
Verschiedene konservative Ökonomen haben öffentlich vernichtend über Antoni geurteilt. Dieser begehe "grundlegende Fehler" und sei "unqualifiziert", schrieben zwei von ihnen, und Dave Hebert vom American Institute for Economic Research meint nach mehrmaliger Zusammenarbeit mit Antoni: "Ich war von zwei Dingen beeindruckt: Seiner Unfähigkeit, grundlegende Wirtschaftstheorie zu verstehen, und wie schnell er zu MAGA wurde." Die nächsten Arbeitsmarktdaten sind für den 5. September angekündigt, verantwortlicher Interimschef ist derzeit noch ein seit Jahrzehnten bei der Behörde tätiger Karrierebeamter. Antoni muss noch vom Senat bestätigt werden.
Finanzen
Auch für die Finanzpolitik sind die Arbeitsmarktdaten zentral. Trump führt parallel einen Machtkampf mit der Federal Reserve. Es geht dabei um die Frage, wie unabhängig die US-Notenbank handeln darf. Oder kann die Regierung den Bankern reinreden? Trump fordert seit Monaten von der Fed, den Leitzins zu senken, der Kredite verbilligen würde. Bislang hat sich der Vorstand des öffentlichen Finanzinstituts jedoch quergestellt, um nicht die Inflation zu treiben - zu unsicher war ihnen der Wirtschaftsausblick, was auch mit möglichen Negativeffekten von Trumps Zollpolitik zu tun hat.
Wegen angeblichem Kreditbetrug versucht Trump, die Fed-Vorständin Lisa Cook zu feuern. Cook klagt dagegen. Kein US-Präsident vor Trump hat jemals ein Direktoriumsmitglied der Fed entlassen. Der Vorwurf könnte vorgeschoben sein, da laut Gründungsgesetz der Fed von 1913 Vorstandsmitglieder nicht aufgrund politischer oder konzeptioneller Meinungsverschiedenheiten entlassen werden dürfen. Der rigorose Schritt des Weißen Hauses könnte jetzt bereits andere Vorstände unter Druck setzen, für eine Zinssenkung zu stimmen, um ihren Job nicht zu riskieren.
Ein mögliches Pro-Trump-Urteil des Supreme Courts im Fall Cook könnte den Druck enorm verstärken und dem Weißen Haus einen wirkungsvollen Hebel in die Hand drücken. Das nächste Treffen des obersten Gremiums der US-Notenbank ist für den 16. September angesetzt. Cook möchte daran teilnehmen und mit über den Leitzins beraten und abstimmen.
Trump hat die Zentralbank wiederholt öffentlich angegriffen. Sollte er den Machtkampf gewinnen, würde das international die Verlässlichkeit der Fed infrage stellen. Und damit die Verlässlichkeit der USA und des Dollar als globale Leitwährung. "Die Stabilität der Weltwirtschaft" wäre gefährdet, zitiert die "New York Times" William Galston von der Denkfabrik Brookings Institution. Galston war unter Ex-US-Präsident Bill Clinton als politischer Berater tätig.
Gesundheit
Das Anti-Seuchenzentrum CDC und ihr Vorgehen galten bislang national und sogar international als Goldstandard. Trump selbst verließ sich in seiner ersten Amtszeit auf die Expertise der Behörde, um mit seiner "Operation Warpspeed" in weniger als einem Jahr einen Impfstoff gegen Covid-19 zu entwickeln, ließ sich von der Behörde auch über den Umgang mit der Pandemie beraten.
Nun unterstützt Trump jedoch seinen Gesundheitsminister Robert F. Kennedy - und feuerte CDC-Chefin Susan Monarez. Die war erst Ende Juli vereidigt worden. Laut dem Weißen Haus sei sie "nicht auf einer Linie mit Donald Trumps Agenda" gewesen. Laut US-Medienberichten ging es um ein Umsteuern bei der zukünftigen Impfpolitik der Regierung. Kennedy ist ein erklärter Impfskeptiker. "Sie hat sich geweigert, unwissenschaftliche, unverantwortliche Anweisungen zu unterstützen", teilten Monarez' Anwälte mit. Fünf weitere hochrangige CDC-Mitarbeiter schmissen aus Protest hin.
Kennedy hat bereits Tausende Mitarbeiter im Gesundheitsministerium entlassen, Entwicklungsgelder gekürzt und einen weiteren Impfskeptiker an der Spitze der Covid-19-Arbeitsgruppe installiert. Das komplette Gremium war von Kennedy gefeuert worden. Die Experten analysieren Daten und wissenschaftliche Erkenntnisse, um erneute Pandemien bestenfalls zu verhindern.
"Kennedy gefährdet die Gesundheit jedes Amerikaners", schlagen neun ehemalige CDC-Chefs in einem Gastbeitrag bei der "New York Times" Alarm: "Wir haben nie etwas Ähnliches in der Behörde gesehen, unser Land hat so etwas noch nie erlebt." Der Minister habe Programme stark geschwächt, die vor "Krebs, Herzinfarkten, Schlaganfällen, Bleivergiftungen" schützen sollen, kritisieren sie.
Zentralisierte Macht
Die drei Behörden sind nicht dafür gedacht, politisch zu handeln, sondern neutral. Trump versucht jedoch, seine Macht noch mehr zu konzentrieren, sie auf Behörden auszuweiten, die üblicherweise größtenteils unabhängig von der Regierung agieren. Die Fed, die Arbeitsmarktstatistikbehörde und das CDC sind nicht die einzigen betroffenen Stellen. Verschiedenen anderen wurde untersagt, sich öffentlich zu äußern. Von Websites löschte die Regierung zuvor verfügbare Informationen, die Datenerhebung ihrer Behörden stellte sie auf den Prüfstand - es ist unklar, ob sie daraufhin weitere Schritte unternommen hat.
Die Telekommunikationsbehörde FCC, die im Medienbereich Unternehmensfusionen absegnet und Lizenzen vergibt, sowie die Börsenaufsicht SEC, die auch über den Umgang mit Krypto entscheidet, von dem auch Trumps Familie profitieren kann, müssen ihr Vorgehen und Regulierungen nun vom Weißen Haus genehmigen lassen. Das Justizministerium ist inzwischen mit mehr Loyalisten als üblich besetzt. Seit dem Watergate-Skandal in den 1970er Jahren hatte die dort ansässige Staatsanwaltschaft größtenteils unabhängig von der Regierung agiert.
Trump hat zudem den Status mancher Karrierebeamten geändert, die im Staatsapparat arbeiten. Sie können nun leichter entlassen und führende loyale Mitarbeiter einfacher angestellt werden, um die Agenda des Weißen Hauses umzusetzen. Und fast schon Schnee von gestern ist die Tatsache, dass das Weiße Haus seit Trumps Amtsantritt die Ombudsleute in mehr als 20 Behörden abgesetzt hat. Ihre Aufgabe? Sie hatten sich intern darum gekümmert, dass die Regierung die Gesetze einhält.
Quelle: ntv.de