
Jubende AfDler nach der Antragsabstimmung. Solche Bilder bereiteten ihm größtes Unbehagen, sagte Merz im Bundestag. Weidel hatte die Grünen noch beschuldigt, die Opfer von Aschaffenburg zu vergessen, als einige Abgeordnete bei einer Demo gegen Rechts in Berlin lächelnd ein Selfie aufgenommen hatten.
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Zwei Anträge stellen CDU und CSU nach dem tödlichen Messerangriff von Aschaffenburg im Bundestag. Einer findet dank der AfD eine Mehrheit - ein Novum. Die Debatte hat es in sich. CDU-Chef Merz beruft sich auf sein Gewissen, Habeck spricht von einem Schicksalstag und Weidel hämmert auf die Union ein.
Als das Ergebnis verkündet wird, branden Applaus und leiser Jubel auf, allerdings nur bei der AfD. Dabei ist es auf den ersten Blick ein Erfolg von CDU und CSU: Der Bundestag hat einen Antrag der Unionsfraktion beschlossen, in dem sie einen Fünf-Punkte-Plan für eine strengere Migrationspolitik fordert.
Erstmals brachten aber die Stimmen der AfD bei einem Vorhaben der Unionsfraktion die entscheidenden Stimmen - etwas, das CDU-Chef Friedrich Merz nach dem Zerbrechen der Ampel-Koalition noch ausdrücklich ausgeschlossen hatte. "Zufallsmehrheiten mit denen da" werde es nicht geben, hatte er im November gesagt. Auch die FDP und einige Fraktionslose stimmten mit der Union. Ein weiterer ausführlicherer Antrag, der auf dem ersten Antrag aufbaut, fand dagegen keine Mehrheit.
Nach der Abstimmung forderte Merz Gespräche mit SPD und Grünen. Denn am Freitag steht bereits das nächste Votum im Bundestag an. Seine Fraktion hat einen Gesetzentwurf zur Begrenzung des Zustroms von Asylbewerbern eingebracht, dem die AfD ebenfalls zustimmen will. In den Gesprächen mit Rot-Grün solle es darum gehen, "wie wir mit Ihnen zusammen eine Mehrheit für den von uns eingebrachten Gesetzentwurf hier im Deutschen Bundestag erzielen." Gelinge das nicht, trügen SPD und Grüne die Verantwortung dafür.
Heftige Attacken von Rot-Grün
Dass die Anträge an diesem Mittwoch nach dem Messerangriff von Aschaffenburg so viel Wirbel auslösten, war keine Überraschung. Der Bundestag erlebte an diesem Nachmittag eine der leidenschaftlichsten Debatten der vergangenen Monate. Anlass war eine Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem Messerangriff am vergangenen Mittwoch, bei dem ein Afghane ein Kind und einen Mann erstochen hatte.
Merz hatte die Anträge in einem emotionalen Auftritt nach dem tödlichen Messerangriff angekündigt. Dabei hatte er ausgeschlossen, über die Inhalte zu verhandeln. Es sei ihm egal, wer zustimme, sagte er am vergangenen Donnerstag. Damit öffnete er sich der AfD und verlangte zugleich von den anderen Parteien, insbesondere SPD und Grüne, eine bedingungslose Zustimmung. Die attackierten ihn dafür heftig, auch an diesem Nachmittag im Bundestag.
SPD und Grüne warfen ihm vor, rechtswidrige und nicht umsetzbare Forderungen zu stellen und den seit 1949 geltenden Konsens aufzukündigen, nicht mit Rechtsextremen im Bundestag gemeinsame Sache zu machen. AfD-Chefin Alice Weidel attackierte Merz, weil die Union die Forderungen angeblich aus dem Programm der AfD abgeschrieben habe.
Habeck mit herzlicher Bitte an Merz
Scholz sagte: "Es ist nicht gleichgültig, ob man mit Extremrechten zusammenarbeitet. Nicht in Deutschland." Merz habe den Konsens im Affekt aufgekündigt. "Das war ein schwerer Fehler, das ist ein unverzeihlicher Fehler." Scholz behauptete, nach der Wahl könnte die von Merz geführte CDU gar eine Koalition mit der AfD eingehen - was Merz als "niederträchtig und infam" zurückwies.
Robert Habeck von den Grünen sprach von einem "Schicksalstag" und sagte in Richtung Merz: "Sie können doch nicht mit den Europaverächtern und Russlandfreunden einen Europarechtsbruch durchführen. Ich bitte Sie noch einmal herzlich, das heute nicht zu tun."
Der Gescholtene wies die rechtlichen Bedenken, ob Zurückweisungen an den Grenzen möglich sind, zurück. Der frühere Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier halte diese für möglich. Auch mehrere andere Länder wie Frankreich, Italien, Österreich und weitere täten das bereits. Voraussetzung dafür wäre es, eine nationale Notlage zu erklären. Dann wären nach Ansicht der CDU grundsätzlich Zurückweisungen an der Grenze möglich, die das geltende EU-Abkommen Dublin III stark einschränkt.
Der CDU-Chef begründete auch das gemeinsame Abstimmen mit der AfD, insbesondere mit Blick auf den Gesetzentwurf am Freitag. Er habe in 18 Jahren im Bundestag Entscheidungen nie mit seinem Gewissen begründet, sagte er. Aber nach Aschaffenburg könne er es nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren, untätig zu bleiben. "Wir sind es den Menschen im Land und nicht zuletzt den Opfern der Gewalttaten schuldig, jetzt wirklich die illegale Migration zu begrenzen, die Ausreisepflichtigen in Gewahrsam zu nehmen und endlich abzuschieben", sagte er.
Größtes Unbehagen
So begründete er auch indirekt seinen Wortbruch, nun doch eine gemeinsame Mehrheit mit der AfD in Kauf zu nehmen. Er weigere sich, nur Anträge zu stellen, die SPD und Grünen genehm seien. "Die Bilder, die wir von jubelnden und feixenden AfD-Abgeordneten sehen, die bereiten mir größtes Unbehagen", sagte Merz vor der Abstimmung mit Blick auf den Freitag. Genau diese Bilder gab es aber nach der Abstimmung am Mittwoch. Während die Unionsabgeordneten versteinert auf ihren Sitzen blieben.
Nach der Abstimmung zeigte sich nicht nur am Applaus der AfD, wer sich als Sieger fühlte. Der AfD-Abgeordnete Bernd Baumann schlug triumphale Töne an. "Das ist wahrlich ein historischer Moment, Herr Merz. Sie haben geholfen, den hervorzubringen." In allen westlichen Ländern gebe es eine Gegenbewegung gegen den "linksgrünen Mainstream". Donald Trump, Georgia Meloni und Geert Wilders nannte er als Beispiele. Diese "breite Bewegung" sei "heute und hier in Deutschland auch angekommen". Es beginne "jetzt und hier" eine "neue Epoche" und "das führen wir an, das führen die neuen Kräfte an, das sind die Kräfte von der AfD. Sie können folgen, Herr Merz, wenn Sie noch die Kraft dazu haben."
Über die Opfer und die Folgen von Aschaffenburg wurde da nicht mehr geredet. Die leisesten Töne dazu hatte zuvor der einzige Redner aus der trauernden Stadt angeschlagen. Der Grünen-Politiker Niklas Wagener. Er dankte den Nothelfern und erinnerte an eine zwölfjährige Afghanin, die sich bei der Trauerfeier in Aschaffenburg zu Wort gemeldet hatte. Sie habe sagen wollen, dass nicht alle Afghanen böse seien. Wenn ein Mädchen glaube, sich für die Taten des Mörders entschuldigen zu müssen, weil sie beide aus dem gleichen Land kommen, sei das "tragisch und vor allem grundfalsch", sagte er.
"Die Menschen erwarten konkrete Lösungen, damit kriminelle Gefährder nicht mehr durchs Raster fallen." Die Aschaffenburger erwarteten eine Zuwanderungspolitik, die Humanität und Ordnung verbinde. "Sie erwarten zu Recht von uns, dass wir über den Weg dorthin vernünftig miteinander sprechen."
Quelle: ntv.de