Rückschlag für Deal mit Erdoğan Von wegen Arbeit für Syrer in der Türkei
11.04.2016, 11:50 Uhr
Keine Perspektive in der Türkei. Ein syrischer Flüchtling wartet auf die Weiterreise.
(Foto: REUTERS)
Nicht einmal 0,1 Prozent der syrischen Flüchtlinge haben in der Türkei die so gerühmte neue Arbeitserlaubnis bekommen. Und das liegt wahrscheinlich nicht nur daran, dass die Regelung noch neu ist.
Sie war ein starkes Argument der EU, um den Flüchtlings-Deal mit der Türkei zu rechtfertigen: die Arbeitserlaubnis für Syrer. Doch offensichtlich ist die Reform, die Ankara im Januar angestoßen hat, bisher lediglich ein symbolischer Schritt nach vorn. Nur 2000 der 2,7 Millionen Syrer in der Türkei haben die Erlaubnis bekommen, einen Job aufzunehmen - kaum 0,1 Prozent. Das berichtet der britische "Guardian". Die Gründe dafür haben womöglich nicht nur damit zu tun, dass das neue Recht erst seit zwei Monaten gilt. Sie könnten grundlegender Natur sein.
Ankaras Regelung gibt syrischen Flüchtlingen nicht grundsätzlich das Recht, sich eine Arbeit zu suchen. Voraussetzung ist ein Antrag des Flüchtlings, der mit seinem designierten Arbeitgeber abgestimmt ist. Der muss dem Flüchtling schon vorab einen Arbeitsvertrag anbieten.
Einigen Arbeitgebern und Flüchtlingen dürfte das neue Recht nach so kurzer Zeit schlicht noch nicht geläufig sein. Zugleich dürfte es viele Unternehmer geben, die das Gesetz kennen, aber wissen, dass sie davon profitieren, wenn sie es ignorieren.
Das perfekte Opfer für Ausbeutung
In der Türkei ist in den vergangenen Jahren ein gewaltiger Schwarzmarkt entstanden. Obwohl sie es bis Januar offiziell nicht durften, arbeiten Syrer schon lange für Geschäftsleute in der Türkei. Die Glücklicheren unter ihnen führen ein eigenes Restaurant oder einen eigenen Barbier-Salon und bezahlen einen Türken dafür, dass er auf dem Papier Geschäftsführer ist. Die Unglücklicheren sind illegal Angestellte, die weit weniger als den üblichen Mindestlohn von 1300 Lira (400 Euro) bekommen, keinen Versicherungsschutz genießen und im schlimmsten Fall auch noch unter üblen Arbeitsbedingungen schuften müssen.
Flüchtlinge sind in der Türkei das perfekte Opfer für Ausbeutung: Zwar gibt es große Lager, in denen die Menschen aus Syrien Menschenrechtsorganisationen zufolge sehr gut rundum versorgt werden. Doch reichen die Plätze in den Lagern für all die Menschen schlicht nicht aus. Der Großteil der Syrer muss sich deshalb irgendwie im Land durchschlagen. Weil die Konkurrenz groß ist unterbieten sie sich geradezu mit ihren Ansprüchen an einen Broterwerb. Die Not ist mitunter so groß, dass sie gar ihre Kinder für die Arbeit einspannen.
Immerhin ein Schritt in die richtige Richtung
Der "Guardian" interviewte Flüchtlinge, die sich aus Angst, gefeuert zu werden, gar nicht trauten ihren illegalen Arbeitgeber um eine legale Anstellung zu bitten. "Hier gibt es so viele Flüchtlinge, die Arbeit suchen, dass ich sehr leicht ersetzt werden könnte", sagte Mohamed Deeb Aqra dem Blatt. "Hier klopfen jeden Tag mehrere Leute an die Tür und fragen nach einem Job."
Die EU bringen die Zahlen weiter in Bedrängnis. Einige Politiker hatten die neue Gesetzgebung für den Arbeitsmarkt als Beispiel dafür genannt, dass die Türkei die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen zumindest in der Praxis erfüllt. Ratifiziert hat Ankara die Konvention bisher nur mit Vorbehalt, ein Umstand, den Menschenrechtsorganisationen angesichts der Abschiebungen in das Land heftig kritisieren.
Die türkische Regierung äußerte sich bisher noch nicht offiziell zu den Recherchen des "Guardian". Das Blatt fragte eigenen Angaben zufolge im Arbeits- und Innenministerium an - und bekam keine Antwort.
Unabhängige Gruppen wie die Internationale Arbeitsorganisation ILO verdammen die neuen Arbeitsmarktregeln trotzdem nicht. Sie entfalten zwar noch nicht die gewünschte Wirkung, doch sie seien zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.
Quelle: ntv.de, ieh