
Dass beim Missbrauchsgipfel keine Opfervertreter zugelassen wurden, stieß bei "Anne Will" auf Unverständnis.
(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)
Drei Tage lang verhandeln die Kirchenoberen hinter den Mauern des Vatikans über die Missbrauchsskandale. Papst Franziskus hält eine Rede, die ein durchwachsenes Echo findet. War es das schon mit der Aufklärung? Ist das genug? Eher nicht, meint die Runde bei Anne Will.
Es ging hoch her bei Anne Will, und das, obwohl diesmal kein Vertreter von Union, SPD oder einer anderen Partei in der Runde saß. Am Sonntagabend ging es um größere Fragen als das allwöchentliche Tauziehen in der Bundespolitik. Es ging um die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche und deren Versuche, diese aufzuarbeiten. Drei Tage lang hatten sich 190 Bischöfe, Ordensvertreter und andere Top-Katholiken hinter den Mauern des Vatikans getroffen. Nun wollte die Runde darüber diskutieren, ob das reichte. Der Tenor: eher nicht.
Allein schon, dass keine Vertreter der Opfer zugelassen wurden, kritisierte etwa Matthias Katsch, der vor neun Jahren seinen eigenen Missbrauch am Berliner Canisius-Kolleg öffentlich gemacht und damit vielen anderen Opfern den Mut gegeben hatte, ebenfalls ihr Schweigen zu brechen. Katsch schilderte auch n-tv Reporter Udo Gümpel seine Motivation. Agnes Wich, als Neunjährige mehrfach von einem Priester vergewaltigt, zeigte sich entrüstet, dass bei dem kirchlichen Mega-Event nur Männer diskutierten.
Wobei: Drei Frauen durften eine Rede halten. Eine davon, die mexikanische Journalistin Valentina Alazraki, drohte den Katholikenführern: Wenn diese sich nicht radikal auf die Seite der Kinder stellen, "dann werden wir Journalisten eure schlimmsten Feinde sein". Genau das habe Papst Franziskus nicht getan, kritisierte dann der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schlüter nach der Rede. Neben den beiden bereits erwähnten Opfern in der Runde griff besonders Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung" diese Haltung auf. Leidenschaftlich nahm er den von Anne Will geladenen Kirchenvertreter in die Mangel, den Trierer Bischof Stephan Ackermann.
Bischof in der Defensive
Und zwar war so, dass dieser immer trauriger guckte und in seinem Stuhl immer weiter zusammenzusinken schien. Denn der gelernte Jurist Prantl zählte die Vergehen der Kirche nacheinander auf. "Die Kirche hat mindestens bis zum Jahr 2010 gnadenlos vertuscht", wetterte er. "Was hier gemacht wurde, war Strafvereitelung". Er schilderte gar den Fall, wie ein Generalvikar ihn als jungen Staatsanwalt aufgefordert hatte, einen Missbrauchsfall ruhen zu lassen, weil der Täter schon zur Strafe hinter Klostermauern verschwinden sollte. Es müsse selbstverständlich sein, forderte Prantl, dass die Kirche sich dem weltlichen Recht unterstellt.
Er verlangte, dass Akten und Archive geöffnet werden und nicht, wie bei der großen Missbrauchsstudie der Kirche, eine Vorauswahl durch Kirchenmitarbeiter getroffen werde. Er prangerte an, dass missbrauchende Priester jahrzehntelang nicht vor Gericht kamen, sondern einfach in andere Pfarreien geschickt wurden. "Die Kirche hat zugeschaut und in Kauf genommen, dass sie weiter Täter sind, und auf diese Weise hat die Kirche sich schuldig gemacht", so Prantl.
Wer könnte da schon widersprechen? Ackermann tat es jedenfalls nicht, von ihm kam allenfalls beschwichtigende Zustimmung. "Das sind die Abgründe, in die wir blicken", räumte er ein. Und natürlich habe das weltliche Recht Vorrang. Es wirkte ein wenig so, als ob er mancher Kritik deutlicher zustimmen wollte, aber nicht konnte oder durfte. Auch er fand etwa die Papst-Rede am Ende der Vatikan-Versammlung zu "vage", hätte sich eine "To-do-Liste" gewünscht, was nun zu tun sei. Er räumte ein, dass "wir ohne den äußeren Druck nicht da wären, wo wir heute sind". Ackermann blieb dennoch die ganze Sendung über in der Defensive - als Vertreter jener Organisation, die für das Leid der Kinder verantwortlich ist, für deren Schutz und Seelenheil sie sich berufen fühlte, war das keine große Überraschung.
Ackermanns Aufklärungswille schien immerhin glaubhaft, seine Argumente waren klar und nachvollziehbar. Sie fielen aber immer wieder in sich zusammen. Etwa, als er davon sprach, dass die Kirche für ihre Verhältnisse schon sehr schnell vorging. Das habe Papst Franziskus versucht, in seiner Rede deutlich zu machen. "Dieser lange Atem der Kirche führt dazu, dass es weitere Opfer gibt", quittierte Katsch dies. Es sei unglaublich, dass es noch immer Bischöfe gebe, denen man erklären müsse, dass sexueller Missbrauch ein Verbrechen sei.
Die Kraft der Vergebung?
Auch Prantl wischte dies beiseite. Die Kirchenoberen hätten in den drei Tagen nur an der Oberfläche herumgestrichen, man sei nicht in die Tiefe gegangen. Zölibat, die Rolle der Frau, all das sei gar nicht auf den Tisch gekommen. Dass Frauen nicht in Weiheämter, also in Machtpositionen, kommen, sei ein Teil des Problems. Ein Argument gegen Frauen in Weiheämtern schien Bischof Ackermann nicht parat zu haben. Es gebe nun mal die Lehrmeinung von Papst Johannes Paul II, sagte er. Sprich: Das ist nun mal so bei uns.
Thomas Katsch trug es und auch Johannes-Wilhelm Rörig, der Kindesmissbrauchs-Beauftragte der Bundesregierung hatte es am Revers: Ein weißes X. Das steht für die Kampagne "Kein Raum für Missbrauch". Die setzt es sich unter anderem zum Ziel, dass Jungen und Mädchen kompetente Ansprechpartner finden, wenn sie Hilfe brauchen. www.kein-raum-fuer-missbrauch.de
Nachdenkliche und leise Töne brachte die einzige Frau in der Runde in die Diskussion. Agnes Wich war als Opfer in die Sendung geladen worden. Mit ihrer interessanten Biografie brachte sie das zustande, was Ackermann versuchte - einen Weg aufzuzeigen, wie es für die Katholiken einen Weg aus dieser "Jahrtausendkrise" (O-Ton Prantl) geben könnte. Wich war als 18-Jährige aus der Kirche ausgetreten, mit 61 schloss sich sich dieser dann wieder an. "Warum?", fragte Will folgerichtig.
Sie sei ihr Leben lang auf der Suche nach Glauben und Zugehörigkeit gewesen, erzählte die Sozialpädagogin. Ein buddhistischer Lehrer habe sie zurück in die Kirche geschickt. Dort habe sie dann "Glaubenswurzeln" wiederentdeckt. Als aktives Mitglied könne sie versuchen, Heilung für die Verletzungen durch Missbrauch zu bringen, sagte sie. Und was sie in der Kirche erlebt, stimmt sie offenbar vorsichtig optimistisch. Da passiere unheimlich viel, konstatierte sie und der aktuelle Papst sei der erste, der sich dem Thema voll und ganz stelle.
War da gar die Kraft der Vergebung zu sehen? Wer solche Gläubigen hat, müsste jedenfalls Grund zur Zuversicht haben - wenn die Frauen in der Kirche nur etwas zu sagen hätten.
Quelle: ntv.de