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Resnikow geht nach London Warum Selenskyj seinen Verteidigungsminister entlassen hat

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Am Montagmorgen zeigt Oleksij Resnikow das Entlassungsschreiben des Präsidenten, das an den Vorsitzenden des Parlamentsgerichtet ist.

Am Montagmorgen zeigt Oleksij Resnikow das Entlassungsschreiben des Präsidenten, das an den Vorsitzenden des Parlamentsgerichtet ist.

(Foto: via REUTERS)

Berichte über eine mögliche Ablösung des ukrainischen Verteidigungsministers gibt es schon eine ganze Weile. Jetzt ist es offiziell und der Nachfolger steht auch bereits fest. Die Besetzung kommt überraschend, hat aber einiges für sich.

Was für viele am späten Sonntagabend wie eine Überraschung klang, war eigentlich keine: Dass im ukrainischen Verteidigungsministerium ein Wechsel an der Spitze für die nächste Woche geplant ist, galt im politischen Kiew spätestens seit Anfang der Woche als gesetzt. Zwar müssen sowohl die Entlassung von Oleksij Resnikow, der wohl neuer Botschafter der Ukraine in London wird, als auch die Ernennung seines Nachfolgers noch durch das Parlament bestätigt werden. Allerdings gilt das eher als Formsache - nicht nur weil, weil Diener des Volkes, die Partei von Präsident Wolodymyr Selenskyj, in der Werchowna Rada die absolute Mehrheit hat. Rustem Umerow, der designierte Verteidigungsminister, genießt zudem hohes Ansehen im Parlament, auch bei den Oppositionsfraktionen. Zudem war der 41-jährige Umerow selbst Abgeordneter der nationalliberalen Partei Stimme.

Resnikow gilt für viele als bester Verteidigungsminister der unabhängigen Ukraine. Den Job hatte er erst wenige Monate vor Beginn der vollumfänglichen russischen Invasion, im November 2021, unter schwierigen Voraussetzungen übernommen, nicht nur wegen des russischen Truppenaufmarsches an der Grenze. Sein Vorgänger hatte einen schwerwiegenden öffentlichen Konflikt mit dem Generalstab ausgetragen, teilweise herrschte im Ministerium Chaos - und das alles kurz vor dem russischen Angriffskrieg.

Trotz der Umstände des großangelegten Krieges hat sich im Verteidigungsministerium unter Resnikow einiges zum Besseren verändert, auch das Zusammenspiel mit dem damals ebenfalls neuen Armee-Befehlshaber Walerij Saluschnyj hat funktioniert. Das Spezialgebiet des 57-jährigen Resnikow waren Verhandlungen über Waffenlieferungen mit ausländischen Partnern. Der aus Lwiw stammende Spitzenjurist, der einst während der Orangenen Revolution 2004 die Interessen des Präsidentschaftskandidaten Wiktor Juschtschenko bei seiner erfolgreichen Klage gegen das zugunsten von Wiktor Janukowytsch gefälschte Ergebnis der Stichwahl vertrat, ist auf die außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten spezialisiert. Er spricht perfekt Englisch und war in seiner Zeit als Angestellter der Kiewer Stadtverwaltung für internationale Projekte wie das Finale der Champions League oder Eurovision Song Contest verantwortlich. Als Verteidigungsminister fand er blitzschnell gute Drähte nach Washington, London, Berlin und Paris gefunden.

Fast wäre Resnikow schon im Januar zurückgetreten

Es gab aber auch durchaus Kritik. Anfang des Jahres kam der Skandal über überteuerte Lebensmittelpreise bei Einkäufen für Soldaten in Hinterlandregionen ans Licht, damals wäre Resnikow beinahe zurückgetreten. Seitdem hat sich die Transparenz bei Einkäufen für das Verteidigungsministerium deutlich verbessert, doch es wurden immer wieder Recherchen über ältere Angelegenheiten veröffentlicht. Umstritten waren unter anderem Jackeneinkäufe aus der Türkei. Außerdem wurden oft Ungereimtheiten bei der Besorgung von Erste-Hilfe-Sets diskutiert - und die Kommunikation des Verteidigungsministeriums als Reaktion auf die Recherchen fiel bei weitem nicht immer perfekt aus.

Dass Resnikow selbst mit Korruptionsmachenschaften zu tun hatte, ist nahezu ausgeschlossen. Dass er Anfang des Jahres schon unter Umständen trotzdem zum Rücktritt bereit war, hat eher damit zu tun, dass er den Job des Verteidigungsministers von Anfang an nicht wirklich wollte, obwohl er einst den regulären Wehrdienst in der sowjetischen Armee absolviert hat und deswegen von den Soldaten respektiert wird. Nach eigenen Angaben von Resnikow musste Selenskyj ihn rund einen Monat lang überreden, bis er zusagte. Sein eigener Traumjob wäre die Position des Justizministers gewesen.

Dass es nicht schon Anfang des Jahres zum Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums kam, hatte maßgeblich mit Resnikows Rolle bei den Waffenlieferungen zu tun. Mitten in der Debatte über die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern und lange vor der grundsätzlichen Einigung in Sachen F-16- Kampfjets wäre es unklug gewesen, den als erfolgreichen Kommunikator bekannten Minister zu entlassen. Außerdem war wohl lang unklar, wer als Nachfolger infrage kommen würde. Viele Personen, die im Gespräch waren, hatten ihre aktuellen Ämter erst vor Kurzem übernommen. Überdies dürfte die Lust, in Kriegszeiten ein derart schwieriges Ministerium zu leiten, bei einigen Kandidaten nicht besonders groß gewesen sein.

Umerow hatte keiner auf dem Zettel

Jetzt ist jedoch der Posten des ukrainischen Botschafters in Großbritannien freigeworden. Das ist zwar nicht ganz der Job des Justizministers, aber immerhin etwas, was zu Resnikows Fähigkeiten ganz gut passt. Zum anderen wurde ein Nachfolger gefunden, mit dem so gut wie alle zufrieden sind, auch wenn ihn für dieses Amt niemand auf dem Zettel hatte. Zunächst einmal ist die Ernennung des Krimtataren Rustem Umerow zutiefst symbolisch. Seine Familie wurde 1944 unter Stalin aus der Strandstadt Aluschta auf der Krim nach Zentralasien deportiert, er kam noch vor der Rückkehr seiner Familie auf die Halbinsel in Usbekistan zur Welt. "Soll ihm doch einer der westlichen Friedensfans ins Gesicht sagen, dass die Krim immer russisch war", so eine beliebte Reaktion in ukrainischen sozialen Netzwerken auf die Ernennung.

International ist Rustem Umerow gut vernetzt, als Chef der staatlichen Vermögensverwaltung hat er eine gute Figur gemacht.

International ist Rustem Umerow gut vernetzt, als Chef der staatlichen Vermögensverwaltung hat er eine gute Figur gemacht.

(Foto: via REUTERS)

Hinter der Berufung von Umerow steckt aber mehr als nur Symbolik, obwohl der 41-Jährige lange Berater von Mustafa Dschemilew war, einer Legende des krimtarischen Volkes: zu Sowjetzeiten ein bekannter Dissident, später lange Chef der krimtatarischer Dachorganisation Medschlis. Der erfolgreiche Unternehmer Umerow ist zudem als geschickter Verhandler bekannt und seine Englischkenntnisse sind ebenfalls sehr gut. Diese haben allerdings kaum eine Rolle gespielt, als er in die ukrainische Delegation für russisch-ukrainischen Verhandlungen im März und April 2022 berufen wurde. Dort soll er sogar einen Giftanschlag überlebt haben, was er zunächst bestritten und dann doch bestätigt hat, ohne allerdings auf Details einzugehen.

Umerow, der bislang Leiter der staatlichen Vermögensverwaltung war, soll gute Beziehungen zum türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan pflegen und sogar den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman persönlich kennen. Entsprechend groß soll seine Rolle bei der Unterzeichnung der Getreidedeals und bei der Durchführung der heiklen Gefangenenaustausche gewesen sein, darunter auch die Kommandeure, die die Verteidigung des Asow-Stahlwerks in Mariupol angeführt hatten - hier halfen ihm seine Kontakte nach Saudi-Arabien, das bei diesen Verhandlungen eine wesentliche Rolle spielte. Umerow soll aber auch einen guten Draht in die USA haben und bereits an informellen Gesprächen über Waffenlieferungen teilgenommen haben. Als Chef des Staatsvermögensfonds, einer traditionell korruptionslastigen Behörde, ist er bisher gut aufgefallen. Zumindest wurden unter seiner Führung bisher keine Korruptionsfälle bekannt, was für diese Institution untypisch ist. Nun übernimmt er den Job seines Lebens. Von seinem Erfolg hängt die Zukunft der gesamten Ukraine ab.

Quelle: ntv.de

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