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Nachfolgerin steht fest Was passiert, wenn Lukaschenko stirbt?

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Laut der belarussischen Verfassung soll die Vorsitzende des Rates der Republik, Natallja Katschanawa (r.), Interimspräsidentin werden, wenn Lukaschenko (m.) unfähig sein sollte, sein Amt auszuüben.

Laut der belarussischen Verfassung soll die Vorsitzende des Rates der Republik, Natallja Katschanawa (r.), Interimspräsidentin werden, wenn Lukaschenko (m.) unfähig sein sollte, sein Amt auszuüben.

(Foto: picture alliance/dpa/TASS)

Seit Tagen ist der belarussische Staatschef Lukaschenko kaum noch in der Öffentlichkeit zu sehen. Das befeuert die Spekulationen über seinen Gesundheitszustand. Was passiert, wenn der seit fast 30 Jahren regierende Diktator sein Amt nicht mehr ausüben kann, ist klar.

Was ist mit Alexander Lukaschenko los? Seit Tagen lässt sich der belarussische Diktator nicht mehr in der Öffentlichkeit sehen. Es wird darüber spekuliert, dass der 68-Jährige schwer krank sein könnte. Nicht nur oppositionelle Medien und Beobachter sehen Hinweise auf eine Erkrankung des Staatschefs. Auch ein Abgeordneter des russischen Parlaments sprach neulich davon, ohne jedoch konkreter zu werden. "Das ist nichts Außergewöhnliches, kein Covid. Der Mensch ist einfach erkrankt", sagte Konstantin Satulin dem Internetportal "Podjom".

Sollte es dennoch etwas "Außergewöhnliches" sein, würde Belarus möglicherweise vor einem Machtwechsel stehen - einem vor Kurzem noch kaum vorstellbaren Prozess, den das autoritär regierte Land seit 29 Jahren nicht mehr kennt. Was passiert, wenn "Väterchen" - wie Lukaschenko von seinen Anhängern genannt wird - sein Amt plötzlich nicht mehr ausüben kann?

Schon bei der Militärparade am vergangenen Dienstag in Moskau wirkte Lukaschenko angeschlagen. Während Kremlchef Wladimir Putin und seine Gäste die rund 300 Meter vom Roten Platz zum Grab des unbekannten Soldaten zu Fuß zurücklegten, ließ sich Lukaschenko die kurze Strecke mit einem Elektromobil fahren. Medien machten zudem auf einen Verband auf seiner Hand aufmerksam, den er unter dem Mantelärmel zu verstecken versuchte. Gleich nach der Veranstaltung verließ der 68-Jährige die russische Hauptstadt und verpasste das Festessen mit Putin im Kreml. Wenige Stunden später ließ sich der Staatschef nochmal bei den Feierlichkeiten in Minsk sehen. Zum ersten Mal in seiner Regierungszeit hielt er dabei keine Rede und ließ sich vom Verteidigungsminister Wiktar Chrenin vertreten. Seitdem trat der 68-Jährige nicht mehr in der Öffentlichkeit auf.

Am Samstag berichteten das unabhängige belarussische Euroradio und die Beobachtungsstelle Belarusian Hajun, Lukaschenko habe sich in ein Krankenhaus unweit von Minsk begeben. Am Sonntag fehlte der Diktator dann beim Festakt zum Tag der Staatsflagge, was Spekulationen über seinen Gesundheitszustand weiter anheizte. Nach tagelangen Spekulationen tauchte Lukaschenko erst am heutigen Montag bei einem Termin mit Militärs wieder auf, auch hier wirkte er gesundheitlich angeschlagen. Offiziell gibt es aus Minsk bis heute keine Angaben zu einer möglichen Erkrankung des Staatschefs.

Lukaschenko kann theoretisch abgesetzt werden

Lukaschenko, seit 1994 an der Macht, hatte mit der brutalen Niederschlagung der Proteste nach der gefälschten Präsidentenwahl im Jahr 2020 gezeigt, dass er freiwillig sein Amt nicht verlassen will. Nun könnte aber die Gesundheit die Pläne des "ewigen Väterchen" durchkreuzen. Laut der Verfassung des Landes kann der Präsident vorzeitig seines Amtes enthoben werden, wenn er aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht in der Lage ist, seine Aufgaben wahrzunehmen.

Darüber müssten zuvor beide Kammern des Parlaments abstimmen. Sollten mindestens zwei Drittel der Abgeordneten dafür stimmen, erfolgt eine Amtsenthebung. Aus der Verfassung geht allerdings nicht hervor, wer den Prozess ins Rollen bringen soll. Offensichtlich solle die Initiative bei den Abgeordneten selbst liegen, erklärt das Oppositionsmedium Zerkalo.io. In der Realität ist ein solches Szenario jedoch schwer vorstellbar, denn beide Kammern des Parlaments stehen unter Lukaschenkos vollständiger Kontrolle.

Lukaschenko-Vertraute könnte Interimspräsidentin werden

Sollte der Diktator trotz allem entmachtet werden oder gar sterben, werden die Befugnisse des Präsidenten auf die Vorsitzende des Rates der Republik übertragen. Aktuell ist dieser Posten von Natallja Katschanawa besetzt. Die 62-Jährige ist eine glühende Anhängerin Lukaschenkos und eins der bekanntesten Gesichter des Regimes. Seit Jahren bekleidet sie höchste Ämter in Lukaschenkos Regierung und steht vollständig hinter seiner Politik. "Ich werde bis zum Ende meiner Tage beim Präsidenten bleiben", antwortete Katschanawa 2020 auf die Frage, was sie tun würde, sollte Lukaschenko abgewählt werden. Sie wird mitverantwortlich für die Organisation der betrügerischen Präsidentschaftswahlen gemacht und steht deswegen auf der Sanktionsliste der EU.

Ausgerechnet unter dieser Frau als Interimspräsidentin sollten neue Wahlen organisiert werden, frühestens 30 Tage und spätestens 70 Tage nach der Erklärung der Amtsunfähigkeit des Präsidenten. Dass Oppositionspolitiker, die allesamt im Exil oder hinter Gittern sind, unter diesen Umständen zur Wahl zugelassen werden, gilt unter Katschanawa als unwahrscheinlich. Zumal auch der Kreml keinen pro-westlichen Politiker an der Macht in Minsk dulden würde. Denkbar ist dagegen, dass Moskau daran interessiert ist, in Minsk eine Marionettenregierung einzusetzen - oder zumindest eine Figur, die Lukaschenkos pro-russischen Kurs fortsetzen würde.

Opposition will "auf jedes Szenario" vorbereitet sein

Sollte Lukaschenko wirklich unfähig sein, sein Amt weiter auszuüben, würde sich Belarus in einer für das Land außergewöhnlichen Situation wiederfinden. Ob dann die Machtübergabe geregelt ablaufen würde, ist ungewiss. Ebenso unklar ist, ob Lukaschenkos Nachfolger - sei es Katschanawa oder ein anderer Funktionär der jetzigen Regierung - es schaffen würde, das seit fast drei Jahrzehnten herrschende Regime am Leben zu erhalten. Schließlich ist Lukaschenko als autoritärer Machthaber der zentrale Dreh- und Angelpunkt des politischen Lebens im Land.

Die Demokratiebewegung will jedenfalls ihre Chance nicht verpassen. "Wir müssen auf jedes Szenario gut vorbereitet sein. Um Belarus auf den Weg der Demokratie zu bringen und eine Einmischung Russlands zu verhindern", schrieb die im Exil lebende Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja auf Twitter. Wie schwierig dieses Vorhaben angesichts der Nähe zu Russland sein könnte, zeigt das Beispiel der Ukraine, die seit Jahren um ihre Freiheit kämpft.

Quelle: ntv.de

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