
Machen sie es unter sich aus oder kannibalisieren sie sich? Robert Habeck (l.) und Cem Özdemir.
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Die Grünen sortieren ihr Spitzenpersonal für die Bundestagswahl. Doch die Lage ist vertrackt und brisant: Viele wagen es nicht einmal mehr, sich öffentlich zu dieser schwierigen Frage zu äußern.
Bei den Grünen ist die große Stille ausgebrochen. Selbst bei zugesicherter Anonymität ist nur wenigen profilierten Mitgliedern der Ökopartei ein kerniges Zitat zum Thema Spitzenkandidatur zu entlocken. Die Urwahl des künftigen Wahlkampfduos, die an diesem Samstag beginnt und im Januar endet, ist hochbrisant.
Die Mitgliederbefragung offenbart nicht nur einen besorgniserregenden Personalmangel der Parteilinken. Sie dürfte darüber hinaus auch die Übermacht des Realo-Flügels in der Partei manifestieren. Ärger scheint programmiert.

Die Reala Katrin Göring-Eckardt gilt als gesetzte Spitzenkandidatin. Eine bekannte Konkurrentin vom linken Flügel gibt es nicht.
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Bei der Urwahl der Spitzenkandidaten für die vergangene Bundestagswahl gab es noch ein breites Bewerberfeld. 15 Grüne trauten sich zu, die Ökopartei durch den Wahlkampf zu führen. Die beiden Flügel der Parteien waren mit Claudia Roth ganz links bis hin zu Katrin Göring-Eckardt ganz bürgerlich mit einer Reihe bekannter Namen vertreten. Hinzu kamen weitgehend unbekannte Personen, die es einfach mal wagen wollten.
Im Vergleich dazu wirkt das Bewerberfeld dieses Mal ziemlich geschliffen. Die Parteilinke stellt mit Fraktionschef Anton Hofreiter nur einen Kandidaten. Bei den Realos sind es drei: der Parteivorsitzende Cem Özdemir und der Energiewendeminister aus Schleswig-Holstein, Robert Habeck. Hinzu kommt wieder Katrin Göring-Eckardt, die die Grünen bereits 2013 als Spitzenkandidatin durch den Wahlkampf führte - damals mit Jürgen Trittin.
Auffällig ist zunächst, dass die Parteilinke das Feld Göring-Eckardt weitgehend kampflos überlässt. In der Satzung der Grünen ist verankert, dass es im Spitzenduo eine Frau geben muss. Göring-Eckardt ist deshalb so gut wie gesetzt. Denn außer ihr erwägt bisher nur die weitgehend unbekannte Sonja Karas, noch in den Kampf um den Posten der weiblichen Spitzenkandidatin einzusteigen. Und selbst das ist ungewiss.
"Ich trete an, weil ich mir Sorgen um unser urgrünes Profil mache", sagt Karas n-tv.de. "Das ist verwässert und ausgehöhlt." Um an der Urwahl teilnehmen zu können und sich dem Durchmarsch Göring-Eckardts entgegenzustellen, fehlt Karas aber der notwendige Rückhalt eines grünen Kreisverbandes. Es ist ungewiss, ob sie ihn bis zur Bewerbungsfrist Mitte Oktober bekommt.
Doch Karas hin oder her - wie kann es sein, dass die Parteilinke es nicht schafft, eine prominente Kandidatin aufzustellen?
Der linke Nachwuchs will sich nicht verbrennen
Mit Claudia Roth, die mittlerweile Vizepräsidentin des Bundestages ist, und der langgedienten Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke haben zwei profilierte Linke die vorderste Wahlkampffront längst verlassen. Auch die noch eher unerfahrene linke Parteivorsitzende, Simone Peter, erhebt keinen Anspruch auf das Amt der Spitzenkandidatin.

Anton Hofreiters Bilanz als Fraktionschef ist durchwachsen. Er gilt als hervorragender Fachpolitiker, aber durchwachsener Rhetoriker.
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"Es ist verständlich, wenn Simone Peter sich erstmal auf den Parteivorsitz konzentrieren will", sagt ein Mitglied der Grünen-Fraktion, das lieber nicht namentlich zitiert werden will. "Es gibt im linken Flügel weitere Frauen mit Potenzial, auch viele jüngere, aber diese wollen erst noch mehr Erfahrungen sammeln."
Wer sich bei den Grünen danach umhört, wer mit diesen weiteren Frauen gemeint sein könnte, stößt immer wieder auf die Namen Katja Dörner und Annalena Baerbock. Besonders häufig fällt der Name der Europapolitikerin Ska Keller. "Ich glaube nicht, dass sich das linke Führungspersonal verstecken muss", sagt Keller n-tv.de, fügt aber hinzu: "Es gibt auch andere spannende Aufgaben. Ich sehe meine Aufgabe in der Europafraktion." Keller nennt das Europaparlament einen "unglaublich spannenden Ort" und spricht von den Möglichkeiten, dort "Weichen für morgen" zu stellen. Der 34-Jährigen traut man bei den Grünen viel zu, doch in der Partei heißt es, dass auch sie noch fürchte, sich in einem Duell mit der erfahrenen Göring-Eckhardt zu verbrennen.
Parteilinke spricht von einem "relevanten Problem"
Besorgniserregend ist die Lage der Parteilinken auch, weil für den Flügel der männliche Spitzenkandidatenposten alles andere als sicher ist. Nach anfänglicher Begeisterung für den Fraktionschef Hofreiter machte sich schnell Ernüchterung breit. Der Biologe mit dem wallenden Haar galt als Garant dafür, den Markenkern der Grünen zu verkörpern, zumal er ein exzellenter Fachpolitiker ist, wenn es um die Themen Agar, Artenschutz und Verkehr geht. Doch in der Öffentlichkeit kam Hofreiter mit seinen etwas kantigen Reden nicht recht an, insbesondere nicht beim so wichtigen bürgerlichen Milieu.
Die Aussichten für seine Kontrahenten vom Realo-Flügel wirken besser. Özdemir schwimmt nicht nur auf der Erfolgswelle des ersten grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Beide gehören dem Landesverband Baden-Württemberg an. Durch die Armenien-Resolution und seine Kritik am türkischen Präsidenten konnte Özdemir sich noch stärker als versierter Außenpolitiker profilieren. Als Sohn türkischer Gastarbeiter gilt er zudem als gewichtige grüne Stimme, wenn es um das Thema Integration geht.
Der deutlich unbekanntere Habeck hat dagegen den Underdog-Faktor auf seiner Seite. Und den spielt der Schriftsteller, der sich aus einer Begeisterung heraus für die Politik entschied, durch ein offen zur Schau gestelltes Rebellentum aus. Habeck geht mit seiner Kandidatur ein großes Risiko ein. Wird er nicht Spitzenkandidat, will er auch nicht für den Bundestag oder den Landtag in Schleswig-Holstein kandidieren. Alles oder nichts.
Hofreiter muss darauf hoffen, dass sich die beiden Realo-Kandidaten gegenseitig so kannibalisieren, dass er die meisten Stimmen auf sich vereinen kann. Doch was passiert, wenn es anders kommt, wenn aller Tradition zum Trotz zwei Realo-Kandidaten gewinnen?
Im Realo-Flügel reagiert man auf dieses Szenario gelassen. "Auch wenn zwei Realos die Urwahl gewinnen sollten, werden wir sicher nicht den Fehler von 2013 wiederholen und mit einer Schlagseite in den Wahlkampf gehen", sagt Dieter Janecek und erinnert an den von Trittin dominierten und wenig erfolgreichen Steuererhöhungswahlkampf. "Nur wenn wir geschlossen sind, werden wir am Ende auch erfolgreich sein", versucht Janecek zu beruhigen.
Im linken Flügel ist dagegen von einem "relevanten Problem" die Rede. Vor dem Hintergrund, dass der Spitzenkandidat in der Regel auch den Posten des Fraktionschefs übernimmt, sagt ein Mitglied des Bundestages: "Der linke Flügel würde sich weder in der Bundestagsfraktion noch im Wahlkampf repräsentiert fühlen."
Quelle: ntv.de