Politik

Terror-Talk bei "Anne Will" Wie stümperhaft arbeiten unsere Behörden?

Wills Gäste von links nach rechts: Abdul Abbasi, Georg Mascolo, Sebastian Gemkow, Joachim Herrmann und Katja Kipping

Wills Gäste von links nach rechts: Abdul Abbasi, Georg Mascolo, Sebastian Gemkow, Joachim Herrmann und Katja Kipping

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Man sollte meinen, dass Sachsens Justizminister mit dem Suizid von Jaber al-Bakr sein persönliches Waterloo erlebt. Aber weit gefehlt: Sebastian Gemkow sieht weder bei sich noch bei seiner Behörde Fehler - anders als Anne Wills übrige Gäste.

Nur zwei Tage nach der Festnahme des mutmaßlichen Bombenbauers Jaber al-Bakr wird aus einem der größten Erfolge im Kampf gegen den islamistischen Terror in Deutschland eine der größten Niederlagen der Ermittlungsbehörden: Mithilfe eines T-Shirts erhängt sich der Chemnitzer Terrorverdächtige in seiner Zelle und macht jede Hoffnung zunichte, an die Hintermänner der geplanten Anschläge zu kommen. Seitdem wundern sich die Menschen in der Bundesrepublik darüber, wie es passieren kann, dass sich einer der wichtigsten Gefangenen des Landes quasi unter den Augen der Strafvollzugsbeamten das Leben nehmen kann. Anne Will spinnt den Faden weiter und stellt in ihrer Talkrunde am Sonntagabend die Frage: "Ist der Staat dem Terror gewachsen?"

Zu Gast sind diesmal der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, Linken-Parteivorsitzende Katja Kipping, der syrische Videoblogger Abdul Abbasi und der Leiter des Recherchenetzwerks von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, Georg Mascolo.

"Es gibt keine Versäumnisse"

Will nimmt sich zuerst Sebastian Gemkow zur Brust und möchte vom sächsischen Justizminister wissen, welche Fehler im Umgang mit al-Bakr gemacht wurden. Die erstaunliche Antwort: keine. "Der Vollzug muss rechtsstaatlichen Vorgaben folgen. Aufgrund der Prognose, dass der Verdächtige nicht suizidgefährdet sei, hatten die Beamten nicht mehr Spielraum", sagt Gremkow.  Eine Gefängnispsychologin hatte dem verhinderten Selbstmordattentäter nach seiner Festnahme attestiert, nicht akut selbstmordgefährdet zu sein - die Leitung der JVA Leipzig verlängerte die Kontrollintervalle von al-Bakrs Zelle in der Folge von 15 Minuten auf eine halbe Stunde, was dem Gefangenen genug Zeit verschaffte, seinen Selbstmord vorzubereiten.

Hängte sich in seiner Zelle auf: Jaber al-Bakr

Hängte sich in seiner Zelle auf: Jaber al-Bakr

(Foto: picture alliance / dpa)

Als Will es anders versucht und von Gemkow wissen möchte, welche Fehler er bei sich selbst sehe, schweigt der Justizminister erst sehr lange und lenkt die Frage schließlich in umständlichstem Behördendeutsch um: "Es gibt keine Versäumnisse, weil verhältnismäßig gehandelt worden ist." Es sei stattdessen vielmehr so gewesen, dass die Justizvollzugsbeamten bei allen Aktionen des Gefangenen auch an ihr eigenes Wohl hätten denken müssen: "Die Bediensteten mussten abwägen, was für eine Gefahr von dem Gefangenen ausgeht."

"Wenn ich einen Gefangenen habe, der sich an Steckdosen und der Lampe zu schaffen macht, dann verstehe ich nicht, wie man daraus die falschen Schlüsse ziehen kann", entgegnet Georg Mascolo kopfschüttelnd. Und auch Katja Kipping platzt bei den Ausführungen des Justizministers die Hutschnur: "Der ganze Vorfall liest sich wie eine Folge aus 'Pleiten, Pech und Pannen'. In so einer Situation gehört es für mich dazu, dass jemand aus der Regierung die Verantwortung übernimmt", sagt die Linken-Politikerin mit herausforderndem Blick Richtung Gemkow.

"Terroristen sind Fallensteller"

Der Justizminister selbst spielt allerdings nicht mal mit dem Gedanken an einen Rücktritt, stattdessen lenkt die Moderatorin das Thema auf die möglichen Konsequenzen des Falls al-Bakr. Dem bayerischen Innenminister ist vor allem die Installation eines europäischen Einreiseregisters mit besonderem Blick auf Flüchtlinge wichtig: "Wenn jemand, der als Flüchtling anerkannt ist, weil er vom Assad-Regime verfolgt wird, freiwillig wieder zurückgeht, müssen wir als Staat das besser untersuchen und registrieren", sagt Herrmann. Der Innenminister ist damit grundsätzlich mit dem vor vier Jahren aus Syrien geflohenen Abbasi auf einer Linie, der Videoblogger fordert aber gleiches Recht für alle: "Wir wollen nicht nur Kontrollen für uns Syrer, sondern dann auch für alle. Wenn es jetzt auch noch schärfere Ausreisekontrollen gibt, verschärfen wir die strukturelle Diskriminierung, die eine erfolgreiche Integration jetzt schon so ungemein schwierig macht."

Dem angehenden Mediziner, dessen arabische Übersetzung des Fahndungsaufrufs es zu verdanken ist, dass die drei Syrer in Leipzig al-Bakr stellten, ist es besonders wichtig, auf das Ungleichgewicht aufmerksam zu machen, mit der in Deutschland das Thema Terror behandelt wird: "Von den 159 Übergriffen auf Flüchtlinge in Sachsen alleine im laufenden Jahr wird nie geredet, aber Terror ist Terror. Oder anders gesagt: "Nicht alle Sachsen sind rechts und genausowenig sind alle Flüchtlinge Terroristen."

Laut Georg Mascolo ist eine Fixierung auf islamistischen Terrorismus indes genau das, was Terrororganisation wie der IS wollen: "Der IS zielt auf eine Spaltung der Gesellschaft  - er wünscht sich einen Generalverdacht gegen alle Muslime. Terroristen sind immer Fallensteller. Sie leben davon, dass Gesellschaften überreagieren und dieses Ziel muss man ihnen verweigern", sagt der Journalist. Ein Fazit, mit dem auch Anne Will konform geht und Mascolos Statement als Schlusswort des Abends stehen lässt.

Quelle: ntv.de

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