Politik

Besonderheiten des EU-Asylsystems Wieso nimmt Berlin so viele Dublin-Fälle auf?

Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl, Thüringen.

Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl, Thüringen.

(Foto: picture alliance / arifoto UG/Mi)

Deutschland nimmt 12.000 Flüchtlinge im Rahmen sogenannter Dublin-Überstellungen auf und schiebt kaum 4000 ab. Das soll sich ändern.

Wie kann das sein? Deutschland liegt im Zentrum Europas. Nimmt man die Dublin-Regeln, den Kern des europäischen Asylsystems, wörtlich, müsste die Bundesrepublik eigentlich nur Flüchtlinge aufnehmen, die mit dem Flugzeug einreisen. Alle anderen könnte sie in andere EU-Länder überstellen. Denn zuständig für das Asylverfahren eines Flüchtlings ist das Land, das ein Flüchtling zuerst betreten hat. Bei den Menschen, die über das Mittelmeer gekommen sind, ist das nie die Bundesrepublik.

Die Zahlen, die das Bundesinnenministerium vorgelegt hat, wirken vor diesem Hintergrund paradox. Deutschland führte 2016 nur 3968 sogenannte Dublin-Überstellungen durch. Zurückgeschickt wurden Flüchtlinge nach Italien (916), Polen (884), Spanien (351), Ungarn (294) und Schweden (280). Zugleich nahm die Bundesrepublik aber 12.091 Personen aus anderen EU-Staaten im Rahmen der Dublin-Regeln auf.

"Merkel setzt Dublin-Verordnung außer Kraft. Aber nur für Deutschland", schreibt ein Nutzer bei Twitter. Davon kann allerdings kaum die Rede sein. Gründe für das Missverhältnis von angenommenen und abgeschobenen Dublin-Fällen gibt es viele – und es gibt längst Ansätze, sie zu lösen.

Nach Griechenland soll wieder abgeschoben werden

Zunächst einmal ist in den vergangenen Jahren ein Großteil der Flüchtlinge über Griechenland in die EU eingereist. Das Land war lange derart überlastet, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Dublin-Überstellungen für Griechenland ausgesetzt haben. Berlin konnte deswegen keine Überstellungen mit Athen vereinbaren.

Die EU-Kommission gab allerdings Ende des vergangenen Jahres bekannt, dass sie nun zu Überstellungen an Griechenland zurückkehren möchte, weil sich die Situation im Land verbessert habe. Vom 15. März an sollen Flüchtlinge wieder dorthin geschickt werden.

Nach Angaben des Innenministeriums gibt es noch weitere Gründe dafür, dass die Bundesrepublik mehr Dublin-Fälle annimmt als abgibt. Wie eine Sprecherin n-tv.de sagte, würden viele Asylbewerber gegen die Überstellung an ein anderes EU-Land klagen. Dadurch könnten sich Überstellungen um Monate verzögern oder vom Verwaltungsgericht gänzlich untersagt werden. "Ein zusätzliches Problem ist, dass die Asylbewerber, die überstellt werden sollen, nicht angetroffen werden beziehungsweise untertauchen", so die Sprecherin. "Nach der aktuellen Rechtslage kann das dazu führen, dass nach Ablauf einer 6-monatigen beziehungsweise im Fall des Untertauchens 18-monatigen Frist die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens auf Deutschland übergeht." Soll heißen: Wer sich ein paar Monate versteckt, kann nicht mehr abgeschoben werden. Neben dem Untertauchen kämen Hindernisse wie die Erkrankungen der Personen, die überstellt werden sollen, hinzu oder der Schutz der Flüchtlinge durch das Kirchenasyl.

Insbesondere an der Verjährungsfrist von Dublin-Fällen wird auf europäischer Ebene aber längst gearbeitet. Die EU-Kommission hat im vergangenen Jahr eine Reform des Dublin-Verfahrens vorgeschlagen, das diese Fristen nicht mehr vorsieht. "Deutschland unterstützt diesen Vorschlag und setzt sich für zügige Verhandlungen des Gesamtpakets für ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem ein", heißt es vom Innenministerium.

Gegen die Reformen gibt es Widerstand

Menschenrechtsgruppen wie Pro Asyl kritisieren, dass die Bundesregierung derartige Schritte unterstützt. Abschiebungen nach Griechenland hält die Organisation noch immer für "unmenschlich", weil dort trotz Verbesserung noch immer vor allem Chaos herrscht.

Auch die Novelle der Dublin-Verordnung lehnt Pro Asyl ab. In einer umfangreichen Stellungnahme heißt es etwa zu den Verjährungsfristen für Dublin-Fälle: "Hinsichtlich der Situation des Asylsuchenden haben die verbindlichen Fristen die Funktion, dass eine Verletzung der Grundrechte durch unangemessen lange Verfahren verhindert werden soll. In diesem Sinne sind die Mitgliedstaaten, laut EuGH, dazu aufgefordert, erforderlichenfalls die Asylanträge selbst zu prüfen."

Ob sich die geplanten Reformen am Ende durchsetzen lassen, ist unklar. Gegen Abschiebungen nach Griechenland könnten Betroffene erneut vor dem EGMR oder dem EuGH klagen. Ob die Erneuerung der Dublin-Verordnung gelingt, hängt auch an den Mitgliedstaaten. Einige davon sperren sich, weil mit der Reform auch ein sogenannter "Fairnessmechanismus" einhergeht. Schon frühere Versuche, Flüchtlinge gerecht auf alle Mitgliedstaaten zu verteilen, waren gescheitert.

Quelle: ntv.de

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