Politik

Habeck-Staatssekretärin Brantner "Wir werden den ökonomischen Krieg nicht verlieren"

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Durch die Nord-Stream-Pipeline fließt derzeit kein Gas.

(Foto: REUTERS)

Hohe Energiepreise bereiten Unternehmen und privaten Verbrauchern gewaltige Probleme. Russlands Präsident Putin setze die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas als Waffe ein, sagt Wirtschaftsstaatssekretärin Franziska Brantner im Gespräch mit ntv.de. Dieser Fehler dürfe sich im Umgang mit China nicht wiederholen.

"Wir haben die Chance, eine wirkliche Globalisierung voranzutreiben", so die Grünen-Politikerin. Die Bundesrepublik müsse sich aber vom Modell "Billig, billig – egal, wie produziert wird und in welche Abhängigkeiten wir uns begeben" verabschieden.

ntv.de: Ihr Minister, Robert Habeck, hat sich bei der kanadischen Regierung für die Lieferung einer gewarteten Siemens-Energy-Gasturbine eingesetzt, damit Russland deren Fehlen nicht als Vorwand für einen dauerhaften Gas-Lieferstopp nutzt. Die Turbine wird nun über Deutschland nach Russland gebracht. Unterläuft Deutschland damit das Sanktionsregime?

Franziska Brantner: Gas ist in der EU nicht sanktioniert, wie Sie wissen. Unser Hauptanliegen ist, Putin jeden Vorwand zu nehmen, den er sonst nutzen würde, um zu sagen: "Deswegen liefere ich euch kein Gas mehr." Wir müssen aufzeigen, dass auch die aktuellen Kürzungen eine rein politische Grundlage haben und keine technische. Putin führt über das Gas einen ökonomischen Krieg gegen Deutschland. Dem müssen wir standhalten, das ist das Ziel. Und in diesem Sinne hat die Bundesregierung mit Kanada - die EU-Kommission war auch an den Gesprächen beteiligt - gesprochen und verhandelt.

Wenn das ein ökonomischer Krieg ist, stellt sich die Frage, für wen es gerade besser läuft. Wir zahlen mehr Geld für Gas, bekommen davon weniger, dafür aber wirtschaftliche und soziale Probleme. Russlands Einnahmen sprudeln derweil. Sollten die Sanktionen nicht dazu führen, dass Russland mehr leidet als der Westen?

Das ist nun einmal einer der schädlichen Effekte von Deutschlands Gas-Abhängigkeit, über die wir seit Monaten reden: Putin schickt weniger Gas, und die Preise für die verbleibenden Mengen steigen. Das war ja schon vor Kriegsbeginn so: In den Monaten zuvor wurden die Lieferungen gedrosselt, nach dem 24. Februar flossen plötzlich große Mengen, aber zu extrem hohen Preisen. Das ist furchtbar, deswegen tun wir jeden Tag alles dafür, dass Deutschland von diesen Abhängigkeiten wegkommt. Deswegen bauen wir LNG-Terminals, deswegen müssen wir Gas einsparen, deswegen sind wir bereit, die Kohlekraftwerke wieder hochzufahren und deswegen beschleunigen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien jetzt nochmal drastisch.

Besteht die Gefahr, dass der Westen diesen ökonomischen Krieg mit Russland verliert?

Die vereinbarten Sanktionspakete treffen Putin und die russische Wirtschaft hart. Wir erwarten einen starken Einbruch des russischen Bruttoinlandsprodukts und einen massiven Anstieg der Inflation. Wir sehen bereits, dass Investitionen um 34 Prozent eingebrochen sind. Das Land hat einen Mangel an zahlreichen Hightech-Produkten und Vorleistungsgütern, die Industrieproduktion geht zurück. Aber natürlich ist die Situation schwierig. Wir bereiten uns seit Monaten darauf vor, die Folgen dieses Konflikts abzumildern, gerade für die Verbraucher. Wir haben zwei Entlastungpakete mit einem Volumen von 30 Milliarden auf den Weg gebracht, die die Bürgerinnen und Bürger spürbar entlasten und noch entlasten werden. Aber es ist nicht so, dass wir die Folgen gar nicht zu spüren bekommen. Wir werden diesen ökonomischen Krieg dennoch nicht verlieren.

Ein anderer Aspekt dieses Kräftemessens sind die Importsanktionen gegen russische Rohstoffe wie Erze und Seltene Erden, worum unter anderem Sie sich im Ministerium kümmern. Wie ist die deutsche Wirtschaft bei der Umstellung auf neue Lieferländer vorangekommen?

Bei einzelnen Rohstoffen wie Kupfer sind die Preise wieder gesunken, und wir sehen Entspannungssignale am Markt. Dabei fallen nicht nur russische Rohstoffe weg, sondern gerade auch Produkte aus dem Osten der Ukraine, wo es Jahre dauern wird, Produktionsstätten wieder aufzubauen. Hinzu kommt das Problem der gestörten Lieferketten aus China wegen der Corona-Politik des Landes, die unserer Wirtschaft Schwierigkeiten bereiten. Mein Eindruck ist, dass viele Unternehmen sehr bewusst die Frage angehen, wo sie künftig Rohstoffe und verarbeitete Rohstoffe beziehen können.

Wie kann das Bundeswirtschaftsministerium in dieser Situation helfen?

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Franziska Brantner ist Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz - und eine von 16 direkt gewählten Grünen-Abgeordneten.

(Foto: picture alliance / Flashpic)

Wir unterstützen, indem wir Brücken bauen und Wege ebnen in Länder, die Rohstoffe besitzen. Das ist Teil meiner Arbeit, deshalb war ich Mitte Juni in Lateinamerika und habe Gespräche in verschiedenen Ländern geführt, damit Deutschland einen Fuß in die Tür bekommt. Dort musste ich aber feststellen, dass deutsche Unternehmen in der Vergangenheit durchaus gute Angebote nicht angenommen haben, was unsere Verhandlungsposition in der jetzigen Phase nicht stärker macht. Wir versuchen diesen Malus auszugleichen, indem wir höhere Standards anbieten beim Wasser- und Energieverbrauch, bei der Umweltverschmutzung, aber auch bei der Einbeziehung der lokalen und indigenen Bevölkerung. So können wir einen Unterschied machen zu chinesischen Käufern, was in einigen Ländern durchaus erwünscht ist. Neben der Diversifizierung der Herkunftsländer dürfen wir die Stoffe, die schon hier sind, nicht mehr so unachtsam wegwerfen, sondern müssen sie wiederverwenden.

Wie das?

Recycling und Kreislaufwirtschaft sind das Gebot der Stunde. Hinzu kommt Substitution, also Forschung, wie andere, leichter verfügbare Materialien eingesetzt werden können. Sie können beispielsweise keine Solarzelle ohne Silber bauen. Da liegt in dem weiterverarbeitenden Schritt die Abhängigkeit von China bei 100 Prozent - und Silber ist endlich. Das BMWK unterstützt im Rahmen des Existenzgründerprogramms eine Ausgründung, die ich vor ein paar Tagen in Freiburg besucht habe, die Solarzellen auch mit wesentlich breiter verfügbarem Kupfer herstellt. Beim Recycling besteht unser Beitrag auch in rechtliche Grundlagen wie die Verordnung zu Batterien, inklusive-Recycling. Wir brauchen Standards eben auch für Importprodukte, sonst gibt es Dumping und die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Hersteller sinkt unfairerweise. Das sind alles Dinge, die ändert man nicht von heute auf morgen, aber wir fangen damit an.

Die deutsche Wirtschaft hat von günstigen Rohstoffen aus Russland jahrelang profitiert und satte Gewinne gemacht. Jetzt wankt der Energiekonzern Uniper und braucht wegen der hohen Gaspreise Staatshilfe. Ärgert Sie das?

Wir müssen anerkennen, dass in den letzten Jahren auch viel Wohlstand generiert wurde, nicht nur bei BASF und Uniper, sondern für ganze Regionen. Aber das Modell war eben: "Billig, billig, billig - egal, wie produziert wird und in welche Abhängigkeiten wir uns begeben." Mich ärgert das in dem Sinne, als dass ich immer vor einer Abhängigkeit von Russland gewarnt habe, weil Wladimir Putin ökonomische Verflechtungen als Waffe einsetzt. Aber es hilft ja nichts. Wir müssen jetzt klug ausgestalten und die richtigen Anreize setzen, damit nicht in einem Jahr wieder alle von China kaufen, wenn die Preise sinken, sondern dass die Diversifizierung langfristig ist.

Das ist ja die Frage: Ist das deutsche Geschäftsmodell der deutschen Exportnation, die sich auf günstige Rohstoffe stützt, am Ende? Oder sehen sich die Unternehmen nach einem Ende von Krieg und Corona-Krise nicht verpflichtet, wieder möglichst billig einzukaufen?

Die Frage ist, wie wird billig definiert? Häufig ist der niedrigste Preis kurzfristig billig, mittelfristig aber schon nicht mehr, wie wir jetzt sehen. Der Staat wird immer retten und unterstützen, aber da sind dann im Gegenzug auch Erwartungen mit verbunden, dass die Unternehmen ihre Abhängigkeiten bei Rohstoffen und Lieferketten abbauen. Einzelne Rohstoffe sind häufig über die Welt verteilt, aber der erste Verarbeitungsprozess findet dann ausschließlich in China statt. Da muss man überlegen, was kann künftig bei uns oder anderen Ländern stattfinden? Dieses Umdenken erleben wir auch in den USA, in Frankreich und anderen EU-Ländern. Japan und Südkorea sind uns meilenweit voraus. Studien belegen auch, dass die Preise im Durchschnitt sinken in Ländern, wo es eine aktive Rohstoffpolitik gibt, und die Unternehmen besser durch Krisen kommen. Wir überarbeiten deshalb unsere Rohstoffstrategie, wollen neue Projekte mit Investitionsgarantien unterstützen. Ich werde weiter reisen auf der Suche nach Partnern und versuchen, Akteure zusammenzubringen. Das schlägt eher in 10, 15, 20 Jahren durch, aber wir müssen jetzt die Weichen stellen.

Es geht ja nicht nur um Resilienz und Erfolg der Wirtschaft. Die Ampel hat sich auch auf die Fahne geschrieben, die Wirtschaftsbeziehungen nachhaltiger und fairer zu gestalten. Gehen die Unternehmen da mit, erst recht in so schwierigen Zeiten?

Mein Eindruck ist, dass viele Unternehmen froh sind, dass Deutschland jetzt wieder eine aktive Handelspolitik hat, wir uns der Welt zuwenden und endlich für eine faire und freie Handelspolitik einsetzen, Handelsverträge wie das Abkommen mit Neuseeland auf den Weg bringen und unsere Stimme in Brüssel hörbar ist. De facto gibt es ja keine deutsche Handelspolitik, sondern eine EU-Handelspolitik. Ich freue mich darüber, wenn deutsche Unternehmen wieder mit mehr Ländern in den Handel treten, als den bisherigen engen Kreis, und wir das durch Handelsabkommen erleichtern. Aber das muss dann eben auch nachhaltiger sein. Hier In Deutschland noch die letzte Tonne CO2 einzusparen, das aber durch ein Handelsabkommen mit Regenwaldabholzung hinten wieder einzureißen, das darf eben auch nicht passieren. Ein selbst eingeführtes Klimadumping zulasten unserer Unternehmen darf es nicht geben, also Ländern Handelserleichterungen zu geben, die sich nicht an Klimaschutzstandards halten. Nachhaltigkeit ist die Essenz von Handel, er muss zum Klimaschutz beitragen.

Ihre Partei, die Grünen, hat sich in der Vergangenheit aber mit Handelsabkommen schwergetan. Insbesondere mit dem europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen CETA, das die Ampel nun doch vorantreibt.

Wir wollen im gemeinsamen Ausschuss eine der berechtigten Hauptsorgen noch ausräumen: die Schiedsgerichtsverfahren. Da wollen wir die Interpretationsspielräume bei den Themen indirekte Enteignungen und dem so genannten "fair und equitable treatment" eingrenzen, damit nicht gegen unsere Klimaschutzpolitik geklagt wird und wir Milliarden Euro Steuergeld draufzahlen. Das zeigt die Erfahrung der Vergangenheit, dass sonst ausländische Unternehmen bessergestellt werden als die heimischen. Zudem wollen wir neue Nachhaltigkeitsstandards im Rahmen der Review-Klausel implementieren. Auch die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts zur Bundestagsbeteiligung wollen wir umsetzen und tragen so einigen Bedenken aus der Zivilgesellschaft Rechnung. Dabei wollen wir nicht nur den Bundestag stärken, sondern auch das europäische Parlament, da müssen aber noch andere Länder für mitmachen.

Die Vorwürfe von Umweltverbänden und Gewerkschaften sind ja dennoch heftig. Da ist die Rede von einem handstreichartigen Verfahren und einer Paralleljustiz durch die Schiedsgerichte. Haben Sie Verständnis für diese Anwürfe?

Das ist ja einmal eine verfahrenstechnische und eine inhaltliche Kritik. Nach der ersten Lesung im Bundestag sollen die zweite und dritte Lesung im Herbst stattfinden. Da ist also noch viel Zeit für Anhörungen. Das ist also kein Eilverfahren. Der Text des CETA-Abkommens ist auch schon seit Jahren bekannt. Dass die zivilgesellschaftlichen Akteure erst einmal die gemeinsame Erklärung abwarten wollen, die wir mit Kanada verhandeln, kann ich nachvollziehen. Ich bin erst einmal stolz darauf, dass es gemeinsame Position der Bundesregierung ist, dass wir das wollen. Jetzt müssen wir es auch mit der EU und den Kanadiern hinbekommen.

Bei aller Zustimmung zu den übrigen Inhalten bleibt die Kritik an den Schiedsgerichten. Warum braucht es die überhaupt? Gerade kanadische und europäische Gerichte sollten doch für ausreichend Investorenschutz sorgen können, oder nicht?

Man sollte anerkennen, dass die CETA-Schiedsgerichte schon ganz andere sind als die in den älteren bilateralen Handelsverträgen Deutschlands. Es sind keine ad hoc bezahlten Richter, damit nicht immer nur diejenigen Richter bestellt werden, die schon in der Vergangenheit Unternehmen hohe Summen zugesprochen haben. Gebannt werden muss noch, wie gesagt, dass ausländische Unternehmen bessergestellt sind als einheimische. Die Schwierigkeit ist, dass mehr als die Hälfte der beteiligen Staaten den Vertrag schon ratifiziert haben. Würde man nachträglich die Schiedsgerichte rausnehmen, müsste man wieder ganz von vorne anfangen, wodurch es in einigen Ländern schwierig werden könnte.

Wie sieht es bei den Standards im Umgang mit China aus? Zum Beispiel Volkswagen, die im chinesischen Xinjiang produzieren, wo die einheimischen Uiguren in Umerziehungslager gesteckt werden, Zwangsarbeit verrichten müssen und anderweitig unterdrückt werden. Zeigt das Beispiel, dass wir weiter Kompromisse auch bei den Menschenrechten eingehen müssen?

Aus diesem Grund hat das Bundeswirtschaftsministerium Volkswagen die Verlängerung von Investitionsgarantien für diese Region verweigert. Das ist ein guter und wichtiger Schritt.

Erwarten Sie Konflikte mit China, wenn die Bundesregierung nicht mehr voll und ganz diese Handelsbeziehungen fördert?

Keiner von uns sagt: "Kein Handel mit China!" Aber: "Achtet bitte darauf, wo die Gefahren sind und wo und wie ihr produziert." Und: "Wir müssen runter von den Überabhängigkeiten." Das ist auch weit weg von einer Entkopplung, aber Zeichen einer weitsichtigeren Politik, die der geopolitischen Lage angemessen ist. Darum geht es. Wir sehen jetzt schon, dass China regelmäßig gegen kleinere EU-Staaten, gegen Australien und Neuseeland ökonomische Beziehungen missbraucht hat. Es wäre fahrlässig, wenn wir uns darauf nicht einstellen würden.

EZB-Chefin Lagarde und US-Notenbankchef Powell haben aber jüngst vor einer ökonomischen Blockbildung im Welthandel gewarnt. Kommt da die Globalisierung an ihr Ende?

Wir haben erstmals die Chance, eine neue, faire und nachhaltige Globalisierung voranzutreiben unter Einbeziehung vieler Länder in Lateinamerika, Afrika und Asien, statt hauptsächlich China. Das ist eigentlich ein Plus an Handel und Austausch. Außerdem: Das Argument "Wenn wir jetzt nicht nett genug sind, wird es schwierig", kenne ich aus den letzten Jahrzehnten gegenüber Putin. Da hat man darauf vertraut, dass Putin im Zweifel Deutschland anders behandeln würde als Litauen. Jetzt soll man darauf vertrauen, dass Xi Jinping Deutschland anders behandelt als Litauen? Unsere europäischen Freunde werden es uns vielleicht noch einmal verzeihen, dass wir aufgrund von Deutschlands Abhängigkeiten im Umgang mit Russland nicht so agieren könnten, wie wir es sollten. Aber ich glaube unsere transatlantischen Freunde würden es uns nicht verzeihen, wenn wir noch einmal alle Warnungen in den Wind schlagen, nur um kurzfristig zu profitieren. Deutschland hat Glück mit seinen großzügigen Freunden, aber zweimal den gleichen Fehler zu machen, das sollten wir nicht riskieren.

Mit Franziska Brantner sprachen Sebastian Huld und Jan Gänger

Quelle: ntv.de

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