Politik

"Palästina-Kongress" Wirre Posse um deutsches Verbot gegen Varoufakis

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Der griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis: Dürfte ihm ein Betätigungsverbot überhaupt erteilt werden?

Der griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis: Dürfte ihm ein Betätigungsverbot überhaupt erteilt werden?

(Foto: picture alliance / NurPhoto)

Die Berliner Polizei löst den "Palästina-Kongress" auf, weil für einen Teilnehmer ein politisches Betätigungsverbot gilt. Auch der Politiker Yanis Varoufakis behauptet, gegen ihn sei eines ergangen. Doch bekommt er die Bestätigung nicht von den Behörden. Eine Antwort- und Verbotssuche.

Als der "Palästina-Kongress" in Berlin kurz nach seiner Eröffnung relativ zügig von der Polizei und Sicherheitsbehörden abgewickelt wird, werden Hunderte Kongressteilnehmer aufgefordert, den Saal zu verlassen. Als Grund nennt die Versammlungsbehörde eine per Video übertragene Rede eines Mannes, für den in Deutschland wegen Hasstiraden gegen Israel und gegen Juden ein politisches Betätigungsverbot gilt. Als der Mann spricht, schreitet die Polizei mit etlichen Beamten ein, kappt die Übertragung und schaltet den Strom zeitweise ab.

Laut "Tagesspiegel" handelt es sich dabei um den über 80 Jahre alten Salman Abu Sitta, einen propalästinensischen Aktivisten, der Berichten zufolge nach dem Terrorangriff auf Israel im Oktober verlautbart hatte, einer von denen gewesen sein zu können, die am 7. Oktober den Zaun durchbrachen - wäre er jünger gewesen.

Ein weiterer geladener Redner, der Ex-Finanzminister Griechenlands Yanis Varoufakis, teilt ebenfalls mit, gegen ihn sei ein "Betätigungsverbot" ergangen - und zwar vom deutschen Bundesinnenministerium. Die von ihm mitgegründete Partei Diem25 erläutert etwas genauer, dass während einer laufenden Demonstration am Folgetag des Kongress-Abbruchs ein Polizist die Organisatoren im Beisein von betreuenden Anwälten in Kenntnis gesetzt habe, dass neben dem "Betätigungsverbot" gegen Sitta auch eines gegen einen weiteren Redner sowie gegen Varoufakis erlassen worden sei. Es beinhalte, so gibt die Diem25 das Gespräch wieder, neben dem Verbot der Einreise auch ein Verbot der Konferenzteilnahme per Videoschalte, auch was die noch laufenden Demonstrationen beträfe, und selbst ein Verbot der Teilnahme an aufgezeichneten Nachrichten. Dies sei, so Diem25, unter Androhung der Demonstrations-Auflösung erfolgt. Auf eine Nachfrage soll dann geantwortet worden sein, dass es sich um eine Entscheidung des Bundesinnenministeriums handele.

Das politische Betätigungsverbot im Gesetz

Das politische Betätigungsverbot ist ein sehr selten genutztes und schwerwiegendes Instrument. Es wird per Gesetz Ausländern auferlegt, wenn sie etwa die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Es kann auferlegt werden, wenn etwas den außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik zuwiderläuft. In der Praxis wird es aber sehr selten genutzt. 2022 stellten mehrere Politikerinnen und Politiker der Linken-Fraktion hierzu eine Anfrage an die Bundesregierung. Aus den Antworten geht hervor, dass Mitte Juni des Jahres deutschlandweit lediglich 13 solcher Verbote vorlagen - erteilt peu à peu seit 1979.

Ein politisches Betätigungsverbot für den ehemaligen Finanzminister Griechenland wäre demnach eine ziemlich scharfe Maßnahme.

"Chronik des Betätigungsverbots"

Das Problem für Varoufakis: Die öffentlichen Behörden scheinen im Nachgang von einem mutmaßlichen Betätigungsverbot nichts wissen oder zumindest nicht darüber kommunizieren zu wollen. Aus Sicherheitskreisen ist lediglich noch zu erfahren, dass mehrere Einreiseverbote verhängt worden seien, darunter auch eines gegen Varoufakis, um antisemitische und israelfeindliche Propaganda bei der Veranstaltung zu verhindern. Das ist auch, was am Sonntagabend aus zahlreichen Medien zu hören ist. Doch die eigentlich wichtige Frage bleibt: Wurde ein politisches Betätigungsverbot gegen Varoufakis erlassen? Denn das hat weitreichende Implikationen - und darf auf manche Menschen auch gar nicht angewendet werden.

Die mitgegründete Partei Diem25 teilt in einer "Chronik des Betätigungsverbots gegen Yanis Varoufakis" mit, dass Varoufakis Anwälten von der Pressestelle der Berliner Polizei schließlich mitgeteilt worden sei, "dass die Polizei keine Kenntnis von einem solchen Verbot gegen Varoufakis hat und dass sie vermutet, dass der Polizeibeamte auf der Demonstration eine 'Fehlkommunikation' begangen hat."

Diese Mitteilung kam laut Diem25 "einige Stunden später, nach zahllosen Nachrichten der Empörung über das Vorgehen des Innenministeriums und der deutschen Polizei aus Deutschland und der ganzen Welt."

Betätigungsverbot nach Aufenthaltsgesetz

Sollte das, was man unter einem "politischen Betätigungsverbot" für eine Person am ehesten versteht, gegen Varoufakis tatsächlich erteilt worden sein, wäre das aber nicht nur eine für Kritiker empörende Angelegenheit.

Schaut man genau hin, wäre es rechtlich gesehen auch eine ziemlich heikle Angelegenheit. Denn eigentlich darf das Betätigungsverbot, das seine Grundlage im Aufenthaltsgesetz hat, gegen EU-Staatsbürger gar nicht verhängt werden. Und so einer ist Varoufakis ja. In einem Bericht des hessischen Innenministeriums vom 15. März 2017 an die Innenministerkonferenz heißt es etwa: "Die Vorschrift findet keine Anwendung auf Unionsbürger und EWR-Staatsangehörige und Schweizer Staatsangehörige, ansonsten aber auf alle Drittstaatsangehörige und insbesondere auch Asylbewerber."

Auf eine Anfrage durch ntv.de bereits vom Samstag beim Bundesinnenministerium, ob ein politisches Betätigungsverbot gegen Varoufakis erteilt worden und wie es im Falle des EU-Staatsbürgers Varoufakis hergeleitet worden sei, gibt es in der erhaltenen Antwort in der Sache weder eine Bestätigung noch ein Dementi. Nach jetzigem Stand bleibt festzuhalten, dass nicht wirklich aufklärbar scheint, was nun verboten wurde und was nicht.

Quelle: ntv.de

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