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Zehn Jahre Neue Seidenstraße Chinas Mammutprojekt hat längst an Schwung verloren

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Am 7. September 2013 stellte Chinas Staatspräsident Xi Jinping bei einer Rede in Kasachstan sein Projekt einer "neuen Seidenstraße" vor.

Am 7. September 2013 stellte Chinas Staatspräsident Xi Jinping bei einer Rede in Kasachstan sein Projekt einer "neuen Seidenstraße" vor.

(Foto: imago stock&people)

Zehn Jahre alt ist die Idee einer Neuen Seidenstraße mittlerweile. Mit einem gewaltigen Handelsnetz wollte sich Chinas Staatschef Xi Jinping ein Denkmal setzen. Doch die Bilanz ist ernüchternd.

Auf den Routen der Seidenstraße durch Zentralasien wurden schon im Mittelalter Waren und Luxusgüter, Wissen und Kultur ausgetauscht. Aber auch Krankheiten: So fand im 14. Jahrhundert die Pest vom heutigen Kirgistan ihren Weg nach Europa, wo dem Schwarzen Tod ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer fiel. Als 1347 die Pest in einem mongolischen Heer ausbrach, das die genuesische Kolonie Caffa an der Südküste der Krim erfolglos belagerte, versuchten die Angreifer mit einer schmutzigen Taktik, den Widerstand der Eingeschlossenen zu brechen. Die Krieger der chinesischen Yuan-Dynastie katapultierten ihre Pesttoten über die Mauern in die Stadt hinein. Flüchtlingsschiffe aus Caffa und Handelssegler aus der Schwarzmeerregion verbreiteten die Krankheit über Konstantinopel am Bosporus bis nach Afrika, Kleinasien und Europa. Die Geschichte zeigt: Die Globalisierung war schon immer auch mit Risiken verbunden.

Doch in Erinnerung geblieben ist die Seidenstraße vor allem als Bindeglied zwischen Ost und West. An sie knüpfte der chinesische Staatspräsident Xi Jinping an, als er, noch kaum ein halbes Jahr im Amt, am 7. September 2013 bei einer Rede in Kasachstan sein ehrgeiziges Megaprojekt weltumspannender Infrastruktur bekannt gab, bekannt auch als One-Belt-One-Road-Initiative.

Das bislang 962 Milliarden US-Dollar schwere Projekt forciert in erster Linie ein sinozentrisches Handelsnetz, es dient dazu, chinesische Infrastruktur und Technologie ins Ausland zu exportieren, durch chinesische Firmen dort einzuführen und auszubauen. Über 150 Länder, dreiviertel aller Staaten der Welt, haben entsprechende Abkommen mit China bereits unterzeichnet.

Von gegenseitigem Nutzen?

Darauf angesprochen, welche Erwartungen China für die Zukunft der "One-Belt-One-Road-Initative" hege, sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin, kürzlich: "Wir schlagen ein Kapitel in der neuen Ära der Seidenstraße auf, das von gegenseitigem Nutzen und einer Win-win-Situation zwischen Ländern (…) geprägt ist."

Wang griff hier eine formelhafte Wendung auf, die den Aufbruch in eine neuere bessere Welt verspricht, den tatsächlichen Zustand der gegenwärtigen Zusammenarbeit aber nicht wiedergibt. Bislang gilt: Während einheimische Unternehmen bei der Vergabe von Bauaufträgen für die Neue Seidenstraße vielfach leer ausgehen, streben chinesische Firmen danach, in den Partnerländern kritische Infrastruktur zu erwerben: Kraftwerke, Eisenbahnlinien, Seehäfen.

Entsprechend kritisch war der öffentliche Diskurs in Deutschland, als Chinas Staatskonzern Cosco seinen Anspruch auf Teile des Hamburger Hafens anmeldete und Bundeskanzler Olaf Scholz auch noch Entgegenkommen signalisierte. Zumal die Reederei Cosco bereits als Mehrheitseignerin den Hafen von Piräus in Griechenland kontrolliert. Und auch, wenn es sich angesichts der Dauerkrise der Deutschen Bahn gut anhört, China wolle in Eisenbahnverbindungen quer durch Eurasien investieren, so hat sich spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine herumgesprochen, dass Abhängigkeiten eine unkontrollierbare Dynamik entwickeln können.

Die Neue Seidenstraße hat Konkurrenz bekommen

Der Westen hat verstanden, dass es China nicht um Infrastruktur geht, sondern um Geopolitik und Einflusssphären. Längst versuchen sich die führenden Industrienationen an Alternativen: Auf ihrem Gipfel in Cornwall im Juni 2021 beschlossen die G7-Staaten die Initiative "Build Back Better World" (in etwa: eine bessere Welt wiederaufbauen). Damit sollen Entwicklungsländer bei der Deckung ihrer Infrastrukturbedürfnisse unterstützt und gleichzeitig Chinas wachsendem Einfluss entgegengewirkt werden.

"Wir wissen, es gibt einen riesigen Infrastrukturbedarf, in Afrika zum Beispiel. Das ist in unserem Interesse, dass sich Afrika wirtschaftlich vernünftig entwickelt", betonte die damalige Kanzlerin Angela Merkel. Da könne man nicht einfach nur sagen: "Das wird China schon machen". Genau deswegen werden Schwellenländern "werteorientierte, hochwertige und transparente" Partnerschaften in Aussicht gestellt.

Ein halbes Jahr später, im Dezember 2021, gab auch die EU mit der Initiative "Global Gateway" eine Antwort auf Chinas Neue Seidenstraße. Bis 2027 sollen 300 Milliarden Euro fließen, um Infrastrukturprojekte in Schwellen- und Entwicklungsländern aufzubauen. In scharfer Abgrenzung zur chinesischen Strategie verspricht die EU-Kommission, dass Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung entstehen, Know-how transferiert und Umweltstandards eingehalten werden.

Win-win-Strategie wird zur Lose-lose-Situation

Italiens neue Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni erwägt momentan gar den Ausstieg aus dem One-Belt-One-Road-Programm, dem es sich 2019 als einziges G7-Land angeschlossen hatte. Denn die Erwartungen wurden nicht erfüllt, den Gewinn aus der Kooperation schöpfte China ab. Außerdem sucht die ultrarechte Meloni die Nähe zu den USA, was zu einer engen Kooperation mit China nur bedingt passt. Falls Italien tatsächlich das Abkommen aufkündigen sollte, würde es Peking nicht nur vor den Kopf stoßen. Die One-Belt-One-Road-Initiative wäre auch dem nicht unerheblichen Risiko ausgesetzt, dass sich noch mehr Abtrünnige und Unzufriedene Italiens Beispiel anschließen.

Auch die erkaufte Loyalität einiger Entwicklungs- und Schwellenländer endet dort, wo Kredite nicht bedient werden können. Laut einer Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft hat China 2021 an 22 Schuldnerländer Rettungsdarlehen im Gesamtwert von 240 Milliarden US-Dollar verteilt, um den Zahlungsausfall gerade noch abzuwenden. Stand 2022 ist, dass sogar 60 Prozent aller chinesischen Auslandskredite von einem Zahlungsausfall bedroht sind. Gleichzeitig hat China selbst mit einer schwachen Konjunktur, einem krisengeschüttelten Immobiliensektor und gesellschaftlichen Brandbeschleunigern wie hoher Jugendarbeitslosigkeit und rasanter Überalterung zu kämpfen.

Überdies bedeuten Investitionen in instabile Regionen, in denen es regelmäßig zu Sabotage und Anschlägen kommt, einen finanziellen Verlust: Erst im August wurde eine chinesische Delegation in Pakistan von lokalen Milizen angegriffen, die dem Ressourcenabbau im Land feindlich gegenüberstehen. Dabei gilt die Erschließung des chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridors aufgrund der unwegsamen Höhenlage als der ambitionierteste Teil des Projekts. Unter diesen Vorzeichen bringt die Kooperation häufig nicht Gewinner, sondern Verlierer auf beiden Seiten hervor.

Quelle: ntv.de

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