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Im Schlusswort trumpft Bundeskanzlerin Merkel auf, sie ist die klare Siegerin des TV-Duells. SPD-Chef Schulz hat verloren. Die Alternative zu Merkel, die Schulz im Angebot hat, verkörpert sie schon selbst.
Im Rückblick wird man vermutlich sagen: Das TV-Duell war der Moment, als Martin Schulz die Bundestagswahl endgültig verloren hat. Der SPD-Kanzlerkandidat hätte beim Aufeinandertreffen mit Angela Merkel deutlich besser sein müssen als die Bundeskanzlerin. Das war er nicht. Im Gegenteil.
Schlechter noch als Schulz, das muss man leider sagen, war die Sendung insgesamt. Wenn ein Format nicht funktioniert, gibt es meist mehrere Schuldige: die Produzenten, die Moderatoren, die Gäste. Alles richtig. In diesem speziellen Fall ist es vor allem die Person, die verhindert hat, dass ein anderes Format ausprobiert wurde: Merkel. Ihre Unterhändler bestanden darauf, dass es nur ein TV-Duell gibt, in dem vier Moderatoren gemeinsam einen Themenblock nach dem anderen abarbeiten. Spontanität war so nicht möglich.
Allerdings gibt der Erfolg ihr Recht. Merkel behielt auch angesichts von Moderatoren, die zum Teil wie besessen durch die Themen hasteten, die Ruhe. Als es um Nordkorea ging, verwies sie dezent darauf, wer das Sagen hat. "Dazu habe ich heute mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron telefoniert, und wir sind der Meinung, wir brauchen ein stärkeres europäisches Engagement." Zur Erinnerung: Macron ist der Mann, den Schulz gern als seinen Freund bezeichnet. Wie soll er punkten, wenn Merkel genau das sagt, was er selbst denkt? Ihm blieb nur, der Kanzlerin zuzustimmen. "Absolut", sagte er daher an dieser Stelle, während Merkel weitersprach. Sie werde morgen noch mit EU-Ratspräsident Donald Tusk reden, "ich werd' mit dem russischen Präsidenten sprechen, mit dem chinesischen Präsidenten sprechen, natürlich mit Japan und Südkorea, aber auch mit dem amerikanischen Präsidenten, denn hier hängt sehr viel davon ab, dass wir wirklich zu einer friedlichen Lösung kommen".
Dann kam es noch schlimmer, zumindest aus Sicht der SPD: "Ich bin auch sehr dankbar, dass Herr Schulz mehrmals gesagt hat, hier geht's um Krieg und Frieden, und da gibt es, glaube ich, auch ein hohes Maß an Gemeinsamkeiten".
Genau das war Schulz' Problem: das hohe Maß an Gemeinsamkeiten. Ihm gelang es nicht, die existierenden Unterschiede deutlich zu machen. Er verhedderte sich in Details, machte mitunter ungewöhnlich lange Redepausen, die möglicherweise nachdenklich wirken sollten, ihn aber eher verunsichert aussehen ließen.
"Finde ich toll. Frau Merkel, à la bonne heure."
Lange, viel zu lange, sprachen Merkel, Schulz und die vier Moderatoren über Flüchtlingspolitik, Integration, Terrorismus und den Schutz der Außengrenzen. Das sind ganz zweifellos wichtige Themen, doch die Gewichtung war unverhältnismäßig. Nur gut zehn Minuten ging es um soziale Gerechtigkeit. Dass dieses Thema, das Schulz in den Mittelpunkt seines Wahlkampfes gestellt hat, so schnell abgehakt wurde, lag ausgerechnet am SPD-Chef selbst: Er sprach Merkels Garantie aus dem TV-Duell von 2013 an, es werde mit ihr als Kanzlerin keine Pkw-Maut geben. Fortan war die Maut das Thema, nicht die Gerechtigkeit.
Mit dem Verweis auf die Maut wollte Schulz belegen, dass Merkels Zusage, es werde keine Rente mit 70 geben, nichts wert sei. Es sei schon eine große Herausforderung, bis zum 67. Lebensjahr zu arbeiten, hatte Merkel gerade gesagt und dabei sogar auf den Dachdecker verwiesen, den SPD-Politiker bei diesem Thema immer so gerne anführen. Zur Rente mit 70 sage sie "ein ganz klares Nein". Schulz reagierte zunächst mit Lob: "Finde ich toll. Frau Merkel, à la bonne heure." Dann schwenkte er auf Kritik um: Es sei das erste Mal an diesem Abend, "wo wir sagen können: Frau Merkel hat jetzt eine ganz klare Position". Schließlich kam er mit der Maut und das Thema war beendet. Es war, wie häufig an diesem Abend: Die Alternative zu Merkel, die Schulz im Angebot hat, verkörpert Merkel schon selbst.
Besonders krass war dies, als es um die Türkei ging. Irgendwann schob Merkel nach, sie werde sich im Kreis der EU-Staats- und Regierungschefs für einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen einsetzen. Genau das hatte Schulz zuvor gefordert.
Die Liste der Themen, über die nicht geredet wurde, ist lang: die Frage, ob Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der Nato einhalten solle. Wirtschaftspolitik. Umweltpolitik. Gesundheitspolitik. Mieten. Die Frage, was die Gesellschaft zusammenhält. Die Zukunft der EU. Der Umgang mit Russland. Beim Thema Diesel erfuhren die mutmaßlich zunehmend entgeisterten Zuschauer, dass beide Musterfeststellungsklagen befürworten, die Kanzlerin den Gesetzentwurf der SPD dazu aber zu bürokratisch findet. Aha.
Das letzte Wort hatte Merkel: "Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, ich bin dankbar, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns hier zuzuhören." Dann kritisierte sie die Sendung: "Wir haben aus meiner Sicht nicht ausführlich darüber gesprochen, was eigentlich zur Entscheidung steht in den nächsten vier Jahren." Der digitale Fortschritt, an den offenbar weder Schulz noch die vier Moderatoren gedacht hatten, werde vieles verändern. Arbeitsplätze müssten "weiter sicher gemacht" werden, Bildung müsse "umgestellt" werden und die Bürger einen besseren digitalen Zugang "zu ihrem Staat" bekommen. Das ist schon stark. Ausgerechnet die Frau, die eigentlich dafür verantwortlich ist, dass dieses TV-Duell hastig, leblos und langweilig ablief, trumpfte im Schlusswort groß auf.
Vor ihr hatte Schulz sein eigenes Schlusswort mit einer Frage begonnen. "Wie viel Zeit hab' ich?" Eine Minute. Schulz verbrachte sie mit langen Sprechpausen und wurde am Schluss von den Moderatoren abgewürgt. Viel mehr dürften die meisten Zuschauer von diesem letzten Statement des SPD-Kanzlerkandidaten nicht in Erinnerung behalten. Vor dem TV-Duell hieß es häufig, dass dies möglicherweise Schulz' letzte Chance sei. Jetzt ist klar: Er hat sie nicht genutzt.
Quelle: ntv.de