Mutformel für die Politik Die Ampel muss verstehen, wie groß der Verdruss ist und entsprechend handeln
06.01.2024, 11:37 Uhr Artikel anhören
Die Ampelkoalition steht nach ihrer Halbzeit vor einem entscheidenden Jahr.
(Foto: dpa)
Die Stimmung im Land ist schlecht, normale Bürger wittern überall Dilettantismus und Murks. Will die Ampel das Vertrauen der Bevölkerung nicht komplett verspielen, muss sie mit dem Streit aufhören und Klartext reden.
Zum Jahreswechsel und nach zwei Jahren Ampelregierung ist die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung auf einem Höchststand, die Zufriedenheit mit der Regierung dagegen auf einem Tiefstand. Dabei zeigt eine Studie des Progressiven Zentrums und der Bertelsmann Stiftung, dass die Ampel zur Halbzeit bereits zwei Drittel ihrer Versprechen umgesetzt oder angegangen hat, beispielsweise die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wurde die Ampel-Regierung darüber hinaus vor neue Aufgaben gestellt, die Energieversorgung musste neu organisiert werden, finanzielle Härten für die Bevölkerung mussten abgefedert werden. Auch hier hat die Regierung kein allzu schlechtes Bild abgegeben: Die im vergangenen Winter vielfach herbeigeredeten Blackouts in der Energieversorgung blieben aus, auch ohne russisches Gas. Dazu wurden großzügige Entlastungspakete aufgesetzt.
Wie passen die große Unzufriedenheit und der Verdruss mit diesen durchaus vorzeigbaren Leistungen zusammen? Fragen Sozialforscher in dafür zusammengestellten Diskussionsrunden mit Wahlberechtigten, sogenannten Fokusgruppen, was in Deutschland gut läuft, erntet man langes Schweigen. In Bezug auf Verfehlungen und Versäumnisse ist das Gegenteil der Fall: Normale Bürgerinnen und Bürger überbieten sich in Anekdoten, was alles schlecht läuft, sie wittern überall Dilettantismus und Murks.
Warum ist das so? Die goldene Regel lautet: Menschen sind dann mit der Politik zufrieden, wenn sie nichts von ihr hören, sie das Gefühl haben, dass das Land in guten Händen ist und es alles in allem in die richtige Richtung geht. Zeiten der Polykrise fordern dagegen aktives Handeln der Politik und muten der Bevölkerung einiges zu. Dabei ist die Bevölkerung krisenmüde und nur noch bedingt veränderungsbereit.
Dauerkonflikte vergraulen die Bevölkerung
Von den Koalitionspartnern ist die goldene Regel zu häufig ignoriert worden. Ihr Verhältnis untereinander ist angespannt und das ist für alle spürbar. Politische Maßnahmen wie das Heizungsgesetz werden miserabel kommuniziert. Der Streit der Koalitionspartner, wie etwa rund um die Kindergrundsicherung, wird auf offener Bühne ausgetragen. Dieser Streit wird von Bürgerinnen und Bürgern aber nicht als Wettstreit um die besten Ideen verstanden (was er ja auch nicht ist), sondern wirkt elektoral toxisch: Wie Umfragen zeigen, hat die Ampel seit der Bundestagswahl ein Drittel ihrer Wähler verloren. Stänkern ist Aufgabe der Opposition, in Bezug auf die Regierung erwarten die Menschen, dass sie sich einig ist und sich kümmert, dass der Laden läuft. Dauerkonflikte wollen sie nicht sehen, sonst wird die Regierung zur sprichwörtlichen Gurkentruppe, und zuallererst fällt das auf die Kanzlerpartei zurück.
Die Gesellschaft ist durch die Polykrise krisenmüde und orientierungslos. Zukunft ist keine positive Verheißung mehr, kaum noch jemand glaubt, dass es 'unseren Kindern' mal besser geht. Doch die Orientierung, auch durch Führung durch den Kanzler, bleibt aus. Dieser findet sich in der Rolle des Streitschlichters zwischen den Koalitionspartnern wieder. Daraus resultieren Vertrauensverlust und Unzufriedenheit mit politischen Akteuren. Dies übersetzt sich bei dem Teil der Bevölkerung mit eher rechten oder rechtsextremen Einstellungen zunehmend in die Wahlabsicht oder die Wahl rechtsextremer Parteien. Und das alles vor dem wichtigen Wahljahr 2024, vor dem es den Kampagnenplanern aller etablierten Parteien graut: Europawahl, Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen, Brandenburg, dazu Kommunalwahlen in einigen Bundesländern.
Was also ist zu tun?
Wirtschaftliche Transformation und Klimaschutz warten nicht, bis die Deutschen wieder Lust auf Veränderung haben, aber: Bürgerinnen und Bürger sind durchaus bereit, Veränderung mitzutragen, und dass diese im Bereich wirtschaftliche Transformation, Klimaschutz und Energiewende nötig sind, ist in der Bevölkerung bereits akzeptiert. Die Mehrheit der Menschen sieht dabei eher Chancen für Deutschland als Risiken - gerade auch für Wirtschaft und Arbeitsplätze der Zukunft. Um hieran anknüpfen zu können, muss das den Menschen aber immer wieder erneut nähergebracht werden. Dafür benötigt es eine Mutformel für die Politik: Orientierung und Führung aus der Politik, eine Vision wohin es gehen soll. Da reichen keine programmatischen Papiere, gebraucht wird ein größerer Plan, in den sich die Inhalte einfügen.
Gegen die öffentliche Stimmung Politik durchzusetzen, funktioniert dauerhaft nicht, daher gilt es, Vertrauen zurückgewinnen. Das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Politik ist aber deutlich unter das Level während der Corona-Pandemie gesunken. Menschen glauben aktuell, dass die Politik nicht die (wichtigen) Themen richtig anpackt. Und - schlimmer - dass das, was sie anpackt, gründlich schiefgeht. Dieser Eindruck ist nicht auf Politikferne und -verdrossene beschränkt, sondern zieht sich bis in die Mitte und progressive Kreise. Heißt: Politikmaßnahmen wird erstmal Misstrauen entgegengebracht. Verhaut man zu einer Maßnahme den ersten kommunikativen Aufschlag, gibt's keine zweite Chance. Die Regierung muss also besser kommunizieren, Kommunikation muss mitgedacht werden, bevor Maßnahmen das Licht der Öffentlichkeit erblicken, und sie muss an die Stimmung der Bevölkerung andocken. Allen voran der Kanzler ist hier gefragt.
Klar wird es weiterhin Zumutungen geben, vor allem da der CO2-Preis steigen wird und die aktuelle Diskussion über den Bundeshaushalt klare Grenzen politischen Handelns aufzeigt. Diese Zumutungen müssen abgemildert werden, denn wenn Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen die Zeche zahlen, entsteht sozialer Sprengstoff. Und diese Abmilderung ist in der Regel, welche Lösung auch immer gewählt wird, nicht selbsterklärend, sondern muss - man ahnt es - erklärt werden.
Zeit für Ehrlichkeit
Politische Akteure müssen sich auch damit befassen, was die Menschen wirklich fühlen, wie sie über Probleme reden und wo sie sich informieren. In Diskussionen mit Fokusgruppen finden sich oftmals Erklärpunkte für das, was wir dann alle in den repräsentativen Umfragen sehen. Desinformation und Verschwörungsmythen sind in der Bevölkerung viel stärker verbreitet, als es früher denkbar war. Ein erheblicher Anteil der Bevölkerung vermeidet Nachrichten, ein weiterer Teil informiert sich hauptsächlich über alternative Medien und Telegram-Kanäle. Die postfaktische Gesellschaft hat Gestalt angenommen. Die etablierten Kräfte haben darauf keine Antwort, wie auch, sie sind immer noch in der alten deutschen Gesellschaft unterwegs. Hier braucht es Zugänge, um Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, die das Vertrauen in politische Institutionen verloren haben.
Dabei ist entscheidend zu verstehen: Streit in der Regierung ist das Wiederwahlhindernis Nummer eins und ein Konjunkturprogramm für populistische Parteien. Die Ampel muss Modi finden, Meinungsverschiedenheiten intern auszutragen, alles andere ist Gift an der Wahlurne und das wird sich auch bei den Wahlen dieses Jahr zeigen, denn auch Landtags- und Europawahlen sind selbstverständlich durch den Bundestrend kontaminiert. Die Ampel-Partner müssen verstehen, dass sie sich durch Streit weiter in Abwärtsstrudel bewegen, es gibt keine Gewinnersituation, durch Streit verlieren alle, es entsteht eine Triple-Lose-Situation.
Last but not least: Zeit für Ehrlichkeit, sagen was ist und auch sagen, was nicht einfach wird. Vertrauen in Politik und Vertrauen in Zukunft braucht eine schonungslose Analyse, wo der Schuh drückt und was passieren muss. Politik muss ein Ohr am Puls der Zeit haben, eine Vision präsentieren und wieder plan- und wirkungsvoll erscheinen. Mit dieser richtigen Mutformel können auch im medial schon entschiedenen Wahljahr 2024 Menschen für Zukunft und Demokratie gewonnen werden.
Die Autoren: Rainer Faus ist geschäftsführender Gesellschafter der pollytix strategic research gmbh. Fedor Ruhose (SPD) ist Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung des Landes Rheinland-Pfalz und Policy Fellow des Think Tanks "Das Progressive Zentrum".
Quelle: ntv.de