Merz zum 70.Hat der Kanzler auch ein bisschen Liebe verdient?
Nikolaus Blome
Friedrich Merz ist an den meisten Problemen seiner Regierung nicht allein schuld. Wenn seine Kritiker trotzdem jedes Maß verlieren, geht es am Ende nach hinten los.
Der Bundeskanzler feiert seinen 70. Geburtstag, aber ansonsten ist es ein Tag wie jeder andere im neuen Leben des Friedrich Merz: schlechte Nachrichten ohne Ende. Die Umfragewerte, die persönlichen und die der CDU, sind im Keller. Die AfD-Werte schrumpfen nicht, obwohl die Zahl der neu Asylsuchenden drastisch gesunken ist und das Thema nicht mehr die deutschen Debatten beherrscht. Bei Rente und Bürgergeld machen Gruppen von Bundestagsabgeordneten bei SPD und Union mobil. Sie sind groß genug, die Mandatsmehrheit der Koalition zu gefährden. Die AfD nimmt an diesen Debatten in der Sache mit nichts Nennenswertem teil, sie hat de facto nichts zu sagen. Ihre Kompetenzwerte steigen trotzdem. Das verstehe, wer will.
Der Kanzler könnte einem also irgendwie leidtun. Hat er nicht vielleicht sogar ein bisschen (Nächsten-)Liebe verdient, oder wenigstens ein bisschen Nachsicht? Was wie eine emotionale Frage von Mitgefühl klingt, ist in Wahrheit doch eine eminent politische.
Natürlich ist Friedrich Merz an den meisten Problemen mindestens in Teilen selber schuld. Natürlich trägt er die Letztverantwortung für Missgriffe und Erscheinungsbild seiner Regierung. Er hat vor und unmittelbar nach der Wahl stetig Ungeduld gesät, Durchgreifen versprochen und ganz viel angekündigt. Heute bittet er um Geduld, und in dem großen Graben dazwischen versinkt er gerade. Mitleid ist also fehl am Platze, nach den gängigen Regeln der Kunst hat er verdient, was er an schlechten Umfragen und Gegenwind bekommt.
Oder ist das inzwischen kurz gedacht? Sollte der politische Hauptstadt-Betrieb (die AfD einmal ausgenommen) wirklich nach den Regeln der alten Republik einfach weiterspielen, als hätte sich nicht die Lage (wegen der AfD) qualitativ verändert? Und als gäbe es kein Morgen? Natürlich sollen Regierung und Regierungschef bei Sachentscheidungen keinen "AfD-Bonus" und schon gar nicht einen Freibrief bekommen. Niemand sollte die Freiheit der Kritik einschränken, auch nicht mit dem Hinweis auf mögliche Folgen.
Maximals Moral-Tremolo der Linken
Andererseits sind jene Reflexe auf der linken Hälfte des politischen Spektrums dringend zu überprüfen, die alles, was nicht zu ihnen gehört, in einen Sack stecken - und "rechts" nennen, um draufhauen zu können. Liberale, Konservative und Christdemokraten sollen gleichermaßen unmöglich gemacht werden, weil sie angeblich nicht anders und schon gar nicht besser seien als die Rechtsextremen in der AfD. Im selben Atemzug und mit maximalem Moral-Tremolo wird denselben Liberalen, Konservativen und Christdemokraten zugleich aufgegeben, niemals und nirgendwo mit den Rechtsaußen zu kooperieren. Herauskommt ein übler Widerspruch: die bürgerlichen Parteien und die AfD als eine Soße zu beschimpfen, aber die "Brandmauer" als Bringschuld derselben Bürgerlichen zu fordern - und den eigenen, großen Anteil am Aufstieg der AfD zu leugnen.
Als Friedrich Merz sich zum "Stadtbild" äußerte, konnte man ihn missverstehen, weil die Worte nicht perfekt präzise gewählt waren. Interessanterweise hat die große Mehrheit der Bevölkerung den Kanzler trotzdem verstanden und pflichtet ihm im Großen und Ganzen bei. Auf einer Demo vor der CDU-Zentrale traten die "Omas gegen Rechts" dennoch auf, und Friedrich Merz wurde "Rassist" und "Faschist" genannt. Darum geht es, um diese Maßlosigkeit. In früheren Zeiten konnte man mit so etwas leben. Am Ende fiel es ja meist auf die Urheber zurück.
Das ist nun anders. Wer alles rechts der Mitte aus dumpfer Einfallslosigkeit verteufeln will, wird am Ende genau damit die "Brandmauer" selber einreißen. Die mittleren Funktionärskader der SPD sollten sich heute besser dreimal überlegen, ob sie dem Kanzler den Charakter absprechen. Wenn diese Regierung an so etwas zerbricht, ist ziemlich klar, was danach kommt: vielleicht nicht gleich eine AfD-geführte Regierung, gewiss aber Verhältnisse nahe der Unregierbarkeit und der langsame Kollaps der Kompromiss- und Konsens-Verfahren, wie wir sie seit 75 Jahren im Westen und seit 35 Jahren im Osten des Landes kennen.
Man müsse die Dinge vom Ende her denken, hieß einer der Sprüche der Alt-Kanzlerin, der eine zusehends rosafarbene Nostalgie zu Teil wird. Vermutlich ließ sich die Art, wie Angela Merkel Kanzlerin war, leichter schätzen und mögen, auch auf der linken Seite der politischen Landschaft. Vermutlich ist es mit Friedrich Merz viel sperriger und schwerer. Aber auch für SPD, Grüne und die Linke könnte sein Geburtstag ein Moment sein, zu überlegen, ob sie ihn nicht doch ein bisschen mehr respektieren oder gar liebhaben - als alles, was danach kommen könnte, wenn dieser Kanzler einfach so scheitert.