Verbrechen lohnt sich Trumps Massenbegnadigung setzt ein klares Zeichen


Auf seinem Telefon nimmt Trump am Montag Glückwünsche entgegen. Sein Hintergrundbild: ein Foto von sich selbst.
(Foto: AP)
Die von Donald Trump kurz nach Amtsantritt unterzeichnete Massenbegnadigung ist kein Gnadenakt, es ist ein frontaler Angriff auf den Rechtsstaat. In Trumps Welt zählt nicht das Recht, sondern nur sein eigener Wille.
Jede neue Regierung bringt einen Kurswechsel. Das war vor allem in den USA stets so, wo die Machtfülle des Präsidenten von jeher an die eines gewählten Monarchen auf Zeit erinnert. Aber was Donald Trump in den ersten Stunden seiner zweiten Amtszeit angekündigt und auf den Weg gebracht hat, ist mehr als ein Kurswechsel.
Trump will die USA umkrempeln. Er wolle das Land "befreien", sagte er in der Rede nach seiner Vereidigung und erklärte den 20. Januar ernsthaft zum "Tag der Befreiung". Freiheit ist genau das, was in den nächsten vier Jahren über Bord zu gehen droht. Nichts zeigt dies so deutlich wie seine beispiellose Massenbegnadigung.
Die Begnadigungen sind Teil einer Flut von Dekreten, die Trump am ersten Arbeitstag mit dicken Filzstiften unterzeichnete. Nutznießer sind die Teilnehmer des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar 2021 - noch so ein Tag, für den Trump einen Namen erfunden hat. "Tag der Liebe" nennt er den Putschversuch.
Alle Aufrührer kommen frei
Dass Trump die Wahrheit immer wieder ins Gegenteil verkehrt, ist seit Jahren bekannt. Diese Begnadigungen jedoch sind neu und so radikal, dass Trump darauf verzichtete, sie in seiner offiziellen Inaugurationsrede zu erwähnen.
Kein Wunder. Diese Begnadigungen zählen zum Übelsten, was Trump je gemacht hat.
Die Haftzeiten von vierzehn Personen, darunter hochrangige Anführer der rechtsradikalen "Proud Boys" und "Oath Keepers", die wegen ihrer Beteiligung an dem Angriff verurteilt wurden, wurden in "verbüßte Strafen" umgewandelt und damit beendet. Alle anderen, die "wegen Straftaten im Zusammenhang mit Ereignissen verurteilt wurden, die sich am 6. Januar 2021 im oder in der Nähe des Kapitols der Vereinigten Staaten ereigneten", erhielten per Proklamation "eine volle, vollständige und bedingungslose Begnadigung". Laufende Strafverfahren werden eingestellt.
An erster Stelle der Liste der vierzehn Aufrührer steht Stewart Rhodes, Gründer und Chef der Oath-Keepers-Miliz. Er hatte Waffen im Wert von 20.000 US-Dollar gehortet, die im Kapitol zum Einsatz kommen sollten. Wegen aufrührerischer Verschwörung wurde Rhodes zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt - der Vorwurf entspricht ungefähr dem deutschen Hochverrat. Der Richter, der das Urteil sprach, nannte Rhodes "eine anhaltende Bedrohung und eine Gefahr für dieses Land, für die Republik und das Gefüge unserer Demokratie".
Trump geht es nicht um Gnade vor Recht
Auf Platz zwei folgt Kelly Meggs, Chef der Oath Keepers in Florida. Er wurde zu zwölf Jahren Haft verurteilt. In der Wahlnacht im November 2020 hatte er seiner Frau geschrieben, er wolle "einen Amoklauf" machen und zuerst die Demokratin Nancy Pelosi töten. Auch Meggs wurde der aufrührerischen Verschwörung schuldig gesprochen. Nach Ansicht der Ankläger entwickelten Figuren wie Rhodes und Meggs nach den Präsidentschaftswahlen 2020 Pläne, um den Amtsantritt des gewählten Präsidenten Joe Biden gewaltsam zu verhindern. Ein Polizist wurde an diesem "Tag der Liebe" getötet.
Mit seinen Begnadigungen wollte Trump, der erste verurteilte Straftäter im Amt des US-Präsidenten, ausdrücklich nicht Gnade vor Recht ergehen lassen, sondern das Rechtssystem der USA als korrupt brandmarken. "Diese Proklamation beendet eine schwere nationale Ungerechtigkeit, die dem amerikanischen Volk in den letzten vier Jahren zugefügt wurde, und leitet einen Prozess der nationalen Versöhnung ein", heißt es in seinem Erlass.
Wer Trump hofiert, kann auf Sonderregeln hoffen
Damit können die Aufrührer sich bestätigt sehen. Aus ihrer Sicht planten sie ja keinen Umsturz, sondern versuchten, einen Betrug zu verhindern, denn in Trumps Paralleluniversum hatte ja er die Wahl von 2020 gewonnen. "Trump wird mich sowieso begnadigen", rief einer von ihnen dem Richter entgegen, als er vor wenigen Wochen zu einem Jahr Haft verurteilt wurde.
Insgesamt waren nach dem Sturm aufs Kapitol mehr als 1500 Personen angeklagt worden, 1100 wurden bereits verurteilt, mehr als 600 davon zu Gefängnisstrafen. Art und Umfang der Begnadigungen sind ein massiver Schlag gegen den Rechtsstaat. Das klare Zeichen: Rechtsbruch ist egal, Gewalt wird belohnt - falls der Straftäter ein treuer Trump-Fan ist. Denn nichts ist Trump so wichtig wie die Liebe seiner Anhänger. In Trumps Orbit zählt nicht das Recht, sondern nur sein eigener Wille.
Während der Inaugurationsfeier wurde bekannt, dass Biden auf den letzten Drücker noch Familienmitglieder im Voraus begnadigt hatte. Die Tradition der Begnadigungen von scheidenden US-Präsidenten war immer schon problematisch, weil sie den Rechtsstaat infrage stellt, missbraucht wurde sie schon häufig - Biden hat nicht damit angefangen. Allerdings muss man auch sehen: Der von Biden genannte Grund ist nicht von der Hand zu weisen. Er habe Angehörige vor einer parteipolitisch motivierten Verfolgung schützen wollen, teilte er mit. Ähnliche Erwägungen dürften einen anderen Demokraten geleitet haben: New Yorks Bürgermeister Eric Adams, dem unter anderem Bestechlichkeit und Betrug vorgeworfen werden, wanzt sich bereits seit einiger Zeit an Trump heran. Offenbar hofft er auf Begnadigung durch den Sonnenkönig.
Die Demokratie stirbt nicht im Dunkeln, wie die "Washington Post" seit 2017 verkündet. Sie stirbt, wenn der Rechtsstaat erfolgreich untergraben wurde. Trump will keinen Kurswechsel, er will das System insgesamt zerstören, es ersetzen durch einen Kult, in dessen Mittelpunkt er selbst steht. Die Massenbegnadigung der Kapitolstürmer ist ein erster Schritt in diese Richtung. Weitere werden folgen.
Quelle: ntv.de