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Ein Tempolimit in Deutschland findet immer mehr Befürworter. Verkehrsminister Scheuer will die Diskussion um ein solches aber gar nicht erst führen. Ein möglicher Grund: Gegner einer Begrenzung wären praktisch chancenlos.
Die Vernunft hat gesiegt: Nach 21 Stunden Dauerdebatte hat die Kohlekommission ein Ergebnis vorgelegt, das in der Politik nicht alltäglich ist. Mit den Vorschlägen über einen Ausstieg aus der Kohleverstromung ist ein Kompromiss gelungen, mit dem alle Seiten leben können. Es wurde ein klares Ziel formuliert, das auf rationalen Annahmen beruht. Ein Hochtechnologieland wie Deutschland muss nicht den Großteil seines Stroms erzeugen, indem es eine erdartige Substanz verbrennt, die einen schlechteren Brennwert hat als die allermeisten Holzsorten.
Im krassen Gegensatz zu diesem vernunftorientierten Prozess steht die Art und Weise, wie sich Teile der Politik und Automobilverbände dagegen wehren, auch ein mögliches Tempolimit als Teil einer gesamtgesellschaftlichen Überlegung über den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen anzuerkennen. Es gibt viele gute Argumente für eine Geschwindigkeitsbegrenzung in Deutschland. Und es gibt kaum eines gegen sie. Langsamere Autos sind sicherer, schonen die Umwelt, sind nachhaltiger - das sagen inzwischen weite Teile der Politik, Umweltverbände, Unfallforscher, die Gewerkschaft der Polizei. Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung steht Umfragen zufolge hinter einem Tempolimit.
Und dennoch soll eine sachliche Debatte darüber gar nicht erst geführt werden. Statt auf die berechtigten Überlegungen einzugehen, wischt Verkehrsminister Andreas Scheuer sie wiederholt vom Tisch. "Was soll die ständige Gängelung?", fragt er aktuell und spricht von einer "masochistischen" Debatte. Schon letzte Woche wollte er das Thema verschwinden lassen und argumentierte, ein Tempolimit sei "gegen den gesunden Menschenverstand". Wer mit dem Menschenverstand argumentiert, aber keine Argumente hat, die auf dem Menschenverstand beruhen, hat sich längst eingestanden, im Unrecht zu sein.
Argumentativ ist die kleine PS-Elite chancenlos
Es ist aber auch eine verzwickte Lage: Als Verkehrsminister und CSUler wird von Scheuer natürlich erwartet, die Belange der kleinen, emotionsgeleiteten PS-Elite zu vertreten, die es sich materiell erlauben kann, schnelle Autos zu besitzen und ein Tempolimit von 130 als ernsthaftes Problem wahrnimmt. Und das einzige Argument, das diese Menschen haben, ist eigentlich auch keines. Es lautet: das ist ein Stück Freiheit. Um Silvester wurde auch schon über "Freiheit" in Deutschland debattiert. Da ging es um Silvesterböller. Unvernünftige Dinge, die vorzugsweise Männer gerne tun, werden oft mit "Freiheit" begründet. Mit "Freiheit" kann man dem Austausch von Argumenten ausweichen. Auch jetzt heißt es von Scheuer, auf deutschen Autobahnen habe sich "das Prinzip der Freiheit bewährt".
Aber der gesellschaftliche Druck, über ein Tempolimit zu sprechen, wird immer größer. CSU-Chef Söder behauptet zwar, das Tempolimit sei eine Debatte aus der "grünen Mottenkiste". Aber er irrt: Die Diskussion hält sich hartnäckig und will von einem immer größer werdenden Teil der Gesellschaft geführt werden. Die Frage ist, ob Scheuer den vielen guten Argumenten der Befürworter eines Tempolimits etwas Angemessenes entgegensetzen kann und will. Immerhin: Versucht hat er es schon in einem Interview mit der "Bild am Sonntag". Da sagte er, deutsche Autobahnen seien die "sichersten Straßen der Welt", deswegen müsse sich nichts ändern. Es bleibt beim Versuch. Allein in Europa sterben auf den Autobahnen in der Schweiz, in Dänemark, den Niederlanden, Schweden, Frankreich, Irland und Großbritannien weniger Menschen pro Fahrkilometer - und in all diesen Staaten gilt ein Tempolimit.
Auf diejenigen, die an dem antiquierten ADAC-Motto aus Zeiten der Ölkrise 1973 "Freie Fahrt für freie Bürger" festhalten, kommen schwierige Zeiten zu. Denn wenn sie sich auf rationaler Ebene auf die Diskussion einlassen, sind sie ohne Argumente gnadenlos unterlegen und dem Wandel schutzlos ausgesetzt. Dann wird sich ein Tempolimit durchsetzen. So eine Debatte würde nämlich auch offenbaren, dass es eigentlich nur eine einzige logische Erklärung dafür gibt, warum Menschen gerne den Gasfuß durchdrücken: Weil sie es einfach geil finden, zu rasen.
Quelle: ntv.de