Wieduwilts Woche

Hammer, Amboss, Höcke Die AfD, eine deutsche Volksprüfung

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Nicht "die da oben" entscheiden, ob die AfD gewinnt, sondern "die da unten", das sind in diesem Falle wir alle.

Nicht "die da oben" entscheiden, ob die AfD gewinnt, sondern "die da unten", das sind in diesem Falle wir alle.

(Foto: picture alliance/dpa)

Wahlen in Thüringen, Sachsen, Brandenburg und in Europa: 2024 könnte das Jubeljahr der Rechtsextremen werden. Es sei denn, wir Deutschen beweisen, dass wir 1945 unsere Lektion gelernt haben.

Die AfD hat gute Aussichten, die Landtagswahl in Thüringen zu gewinnen, womöglich mit absoluter Mehrheit. Ein Drittel der Stimmen bekäme die Partei zurzeit. Mehr als jeder Dritte sagt sich also, ja, die AfD, die verdient jetzt meine Stimme, die sind gut, wobei gut, naja, jedenfalls besser als CDU, SPD, Grüne, Linke und sogar besser als Daheimbleiben. In Brandenburg und Sachsen sieht es ähnlich aus.

Es scheint egal zu sein, wie sehr sich die Partei radikalisiert. Björn Höcke kann reden wie eine Goebbels-Parodie, irgendwie stört sich niemand daran. Wann haben Sie, verehrte Leserinnen und Leser, zuletzt von "Entartung" gesprochen? Haben Sie mal jemanden einen "Volksverderber" genannt? Haben Sie kürzlich einen Kollegen gefragt, ob er lieber "Hammer oder Amboss" sein wolle?

Höcke spricht der "Pseudoelite" ab, jemals "Tat-Elite" zu sein, er rekuriert auf "1000 Jahre Deutschland", sagt "Alles für Deutschland" und beschwört das "Volksempfinden". Wo dieses ganze schräge Vokabular herkommt, können Sie in der "Zeit" nachlesen - aber ich vermute, das müssen Sie gar nicht.

Hibbelig und hilflos

Jemand, der sich als Gegenentwurf einer abgehobenen Elite versteht, spricht also im Jahr 2023 in der Sprache der 1945 besiegten Nazis. Ein Drittel der Deutschen wirft sich dennoch im Second-Hand-Laden eine SS-Uniform über und murmelt, och, sitzt doch ganz gut. Wobei das leicht übertrieben ist: Von denen, die sich als AfD-Sympathisanten sehen, ist "nur" etwa ein Viertel rechtsextrem - aber gewählt wird dann ja doch eine Partei.

Die AfD-kritische Restöffentlichkeit zeigt sich hibbelig und hilflos. Diese hibbelige Hilflosigkeit verkörperte kürzlich Markus Lanz in seiner Sendung: Mit gezückten Waffen empfing der Moderator unter anderem AfD-Co-Chef Tino Chrupalla. Lanz war von Beginn an in der Klemme, wie jeder, der die AfD aufs Podium lädt. Nun aber hurtig entlarven, sonst gibt man ja den Rechtsextremen eine Bühne! Lanz hatte offenbar eine Eröffnung im Kopf, er wollte Chrupalla unbedingt gleich zu Beginn dazu bringen, sich negativ über Alice Weidel zu äußern. Teile und herrsche! Es ging nicht gut.

Ob er, Chrupalla, nicht eifersüchtig sei auf Weidel. Wegen des "Stern"-Titels neulich. Wer denn Spitzenkandidat würde, er oder Weidel. Wie man das zu entscheiden gedenke. Und, noch einmal, zu Weidel: Er, Lanz, habe ja aus der Partei gehört, Chrupalla und Weidel würden sich hassen. Ob das denn stimme, fragt Lanz dann aber nicht, sondern bucht den Weidel-Hass gleich um als Tatsache: Ob der Hass nicht störe bei der Zusammenarbeit. Und, nochmal kurz das "Stern"-Cover, der Chrupalla arbeite doch so viel, aber die Weidel kriegt dann das Cover, ob das nicht doch unfair sei. Und so weiter.

Chrupalla dominiert Lanz

Chrupalla kichert mehrfach im Schalensessel, bestreitet und weist süffisant auf die fehlenden Studien- und Berufsabschlüsse der Grünenvorsitzenden. Nun kichert und murmelt Lanz, weil er erkennbar keine Lust auf den Gleiswechsel hat. Chrupalla hat an jenem 7. Dezember Markus Lanz abtropfen lassen, den gewieftesten Talkshow-Weichkocher der Republik. Hm.

Und so läuft das leider oft. Die AfD glänzt durch nichts, aber verkörpert erfolgreich das, was sie sein will: Alternative zu allem, dem ganzen großen Mist. Dem ganzen unerträglichen Heute. Dem globalen Durcheinander, dem Krieg, dem deutschen Abstieg, dem Kontrollverlust, den offenen Grenzen, dem Gendern, den Transsexuellen, dem Klimawahn kurz, allem, was die da oben sich in ihren Eierköpfen ausgedacht haben.

Dieser Antiintellektualismus war schon bei den Originalnazis wichtige Triebkraft der Bewegung. Er bekommt viel Nahrung dieser Tage: Durch einen ideologisch motivierten Ausstieg aus der Kernkraft, durch eine Migrationsdebatte, deren ganze Verdruckstheit zuletzt nach dem 7. Oktober ins Licht trat. Durch einen Klimawandel, den man gar nicht glauben kann, wenn man mit Wissenschaft einfach nichts am Hut hat.

Ist die Merz-CDU "brandgefährlich"?

Der Antiintellektualismus bekommt auch Nahrung durch eine SPD, die sich, wie derzeit Saskia Esken, an der CDU abarbeitet. Die CDU sei "brandgefährlich", sagte Esken gerade, weil Merz von "Kleinen Paschas" und "Sozialtourismus" spricht. An Merz gibt es viel zu kritisieren - aber wenn die CDU "brandgefährlich" ist, welches Adjektiv bleibt Esken noch für die AfD? Und wie viele Arbeiter und Geringverdiener werden sich angesichts der sprachpolizeilich wirkenden Kritik denken: Man darf ja nichts mehr sagen in Deutschland?

Wer die AfD bei ihrer Ausdrucksweise stellen will, spielt auf dem falschen Feld. Lanz hat es vergeblich probiert, mit Vorhalten irgendwie missglückter Zitate anderer AfD-Politiker. Der Historiker Michael Wolffsohn wiederum wollte, wie viele andere, die fachliche Inkompetenz Chrupallas herausstreichen, indem er dessen Nahost-Tweet sezierte. Der Professor wirkte dabei - wie er selbst einräumte - "oberlehrerhaft".

Doch wenn Journalisten und Professoren Arbeiter nicht erreichen, gelingt es vielleicht den Chefs: Für sie ist die AfD ein Fachkräfteschreck und damit Standortrisiko. Wer möchte einen schwarzen oder asiatisch aussehenden Menschen nach Thüringen locken, wenn dort mit Höcke bald ein Ministerpräsident regieren könnte, der öffentlich dies sagte: "Schaut euch ins Gesicht, sprecht miteinander, hört euch zu, nehmt euch wahr, begegnet euch. Glaubt mir: Wenn es hart auf hart kommt, dann werden wir uns erkennen." Am … Gesicht?

Chefs gegen die AfD

Jenoptik-Chef Stefan Traeger hat es dennoch gewagt, er hat in Sachsen und Thüringen eine Kampagne für Toleranz und Diversität gestartet ("Bleib offen"). Gewagt ist das richtige Wort, schaut man sich die öffentlichen Reaktionen in den Kommentarspalten an. Auch Evonik-Chef Christian Kullmann schießt gegen die Partei: Die AfD gefährde "Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, Menschenrechte". Sie schade "unserer Volkswirtschaft, unserer Gesellschaft, unserer Zukunft".

Es ist überfällig, dass sich Unternehmen positionieren und ich hoffe, dass noch andere dem Beispiel folgen. Das Grundproblem bleibt allerdings: Auch dieser Widerstand gegen die Rechtsextremen kommt von oben. Das gilt auch für ein mögliches Verbotsverfahren, für das neben dem "Ärzte"-Musiker Bela B auch andere Prominente werben. Es ist nicht nur heikel, schwierig und hat miese Aussichten auf Erfolg - es ist auch ein elitärer, nämlich vor allem juristischer Prozess.

Die Verlockungen der Rechtsextremen lassen sich nicht wegverbieten. Es gibt kein Vertun: Nicht "die da oben" entscheiden, ob die AfD gewinnt, sondern "die da unten", das sind in diesem Falle wir alle. Wir Deutschen müssen beweisen, ob wir 1945 unsere Lektion gelernt haben. Wie wir uns in den kommenden Monaten verhalten, ob, wie und wann wir streiten, im Job oder am Küchentisch, das wird wieder die deutsche Zukunft entscheiden.

Ein Rechtsextremer würde es vielleicht so formulieren: Die AfD ist eine Volksprüfung.

Quelle: ntv.de

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