Nur Socken zu Weihnachten Wirtschaftskanzler ohne Wirtschaftsherz


Für Glanz und Gloria hatte Merz sich Macron eingeladen. Im Hintergrund Julia Klöckner und Jörg Pilawa.
(Foto: REUTERS)
Deutschland erlebt das dritte Jahr der Rezession, steckt im Reformstau und deshalb ist die Laune mies. Den Bundeskanzler scheint das nicht wirklich zu rühren - er rührt allerdings auch niemanden, schon gar nicht mit seiner "Ruck-Rede".
Ein Geschenk zu erhalten ist sozial immer eine heikle Angelegenheit. Der Moment, wenn der Schenkende das Päckchen rüberreicht, der Moment des Auspackens, in dem man sich auf angemessenes Freudestrahlen vorbereitet. Besonders schlimm ist die Situation, wenn dem Geschenk große Ankündigungen vorausgingen: "Du wirst begeistert sein!"
Merz’ Ruck-Rede zum Tag der Deutschen Einheit war so ein Moment. Im Vorwege munkelten diverse Medien über diese Rede, Merz selbst befeuerte die Erwartungen durch Bildchen auf Instagram, auf denen er noch einmal sein Manuskript durchging. "Letzten Schliff" anlegen und so weiter.
Das Land dürstet nach einer begeisterten Rede, zu dem Schluss war man offenbar in der Bundesregierung gelangt. Der Vize-Kanzler Lars Klingbeil hatte beim Seelenstreicheln des Kabinetts im Borsig-Haus sogar die schlechte Laune als "unseren Hauptgegner" ausgemacht, was man bei Bosch, Lufthansa oder ZF vermutlich mit großer Begeisterung hörte. Aber gut, gehen wir die Laune an, dann würde nun ja wohl eine Knallerrede kommen! Oder?
Typischer Merz: Viel versprechen, nichts liefern
Merz liefert nach dieser Ankündigung dasselbe wie nach seinen Versprechen zu Schuldenbremse, Gutfühl-Sommer und dem "Herbst der Reformen", nämlich nichts. Die Rede des Kanzlers hätte nicht einmal eine dösende Katze aus den Träumen geruckt, geschweige denn die Depressionen unseres Landes gelindert.
Das festliche Setting im Saarland war schon problematisch für das Vorhaben einer Ruck-Rede: Eine eindringliche und begeisternde Rede passt nicht recht zwischen zarte Musikeinlagen und die gemütlichen Moderationen von Jan Hofer. Pastoral und salbungsvoll schleppte sich Merz denn auch durch den Text, erst auf Seite 9 bekam er den ersten Szenenapplaus. Alles solle zur Sprache kommen können in Deutschland, sagte er da, der Kanzler nannte es "Gesellschaft im Gespräch mit sich selbst". Naja.
Versöhnung, das hätte allerdings durchaus ein Leitthema sein können. Das Land ist zerstritten, linke und rechte Ränder steigern ihre Unerbittlichkeiten täglich, das Misstrauen der Menschen untereinander und gegenüber dem Staat erklimmt immer wieder neue Rekorde. Ich bin mir sicher: Die meisten Menschen in Deutschland wünschen sich Versöhnung. Und was ließe sich kraftvoller als Versöhnungsgeschichte erzählen als die deutsche Wiedervereinigung?
Wandel, Transformation, Deutschland?
Merz hätte auch eine Geschichte des Wandels erzählen können. Wenn ich mit Firmenchefs spreche, kennen die kaum ein anderes Thema. Sie nennen es oft "Transformation" und meinen die Anpassung an die Welt in Unruhe. Die Fundamente der deutschen Wirtschaft bekommen Risse, ob in der Chemie, der Pharmazie, dem Maschinenbau, bei den Zulieferern, der Metallindustrie.
Unternehmen müssen eingewachsene Strukturen umbauen, ihren Laden agiler machen, auf sich ständig wandelnde Umstände vorbereiten - Zölle, Kriege, Lieferkettendisruptionen müssen sie bändigen und viele wollen sich trotz Energie-, Arbeits- und Bürokratiekosten am deutschen Standort behaupten.
Steht die Geschichte der deutschen Einheit nicht geradezu ideal für die Kosten, den Schmerz und den Lohn des Wandels? Könnte man sich nicht sogar dazu versteigen, dass die Deutschen das Wagnis des Wandels besser kennen als sonst wer auf der Welt?
Genervt von Wirtschaft
Aber das hat nicht Merz gesagt, sondern Emmanuel Macron nach ihm und in einem kleinen Video des Saarlands wurde das Thema auch schön ausgespielt, da wurde Gemeinsamkeit beschworen, man könne den Wandel schaffen, "ob mit Blaulicht oder im Blaumann". In diesem Filmchen steckte mehr Herzblut als in der ganzen Kanzlerrede. Merz, der über die gesamte Zeit hin Sprachtempo und Emotion überhaupt nicht variierte, versuchte seine Landsleute eher steril zu ermuntern: "Wir können Qualität." Ah so, gut.
Das ist nicht gerade Enthusiasmus, das ist ein eher kühles Verhältnis. Es passt zu dem Sinneswandel, den die "Bild"-Zeitung kürzlich bei Merz festzustellen meinte: "Plötzlich ist Merz von der Wirtschaft schwer genervt", schrieb das Blatt. Der Kanzler reagiere unwirsch auf Kritik aus den Unternehmensverbänden.
Zur guten Stimmung führen bekanntlich viele Wege, Alkohol und Cannabis etwa, fröhliche Musik oder ein Redner, der Begeisterung versprüht. Verordnen lässt sie sich nicht. Der frühere Kanzlerkandidat Martin Schulz rief seinen Anhängern einmal zu, sie könnten doch mal "Martin! Martin!" rufen und wir wissen, wo der Schulzzug endete.
Glanz und Gloria und Macron
Doch dem Außenkanzler scheint die Bodenhaftung abhandenzukommen. Für Glanz und Gloria hat er sich Macron eingeladen. Deutschland wolle ein europäisches Land sein, diktierte er. Mit Europa einen Ruck auslösen, das ist schon eine sehr kühne Idee - zumal von Merz, der in derselben Woche wütete, man müsse "dieser Maschine in Brüssel jetzt mal das Stöckchen in die Räder halten". Was denn nun?
Überhaupt, Europa: Hätte man angesichts von Ukraine-Krieg und Drohnen-Bedrohung aus dem Osten nicht einen osteuropäischen Vertreter einladen müssen? So ähnlich kommentierte die Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel Merz’ Gästeauswahl maliziös. Gute Idee, eigentlich. Immerhin hat Macron selbst in seiner Rede Milan Kunderas gerade neu aufgelegten Essay "Der entführte Westen" zitiert, in dem der tschechisch-französische Schriftsteller sich um das Schicksal Mitteleuropas im Angesicht russischen Despotismus’ sorgt.
Ehrlich: Ich hatte mich auf die Kanzlerrede gefreut, fast wie an Weihnachten. Merz’ Ruck-Rede war ein großartig verpacktes Geschenk - aber leider gab es wieder nur Socken.
Quelle: ntv.de