Wehr-Lotterie und so weiter Wohin führt eine Politik gegen die eigene Jugend?


Lotto ist doch gerecht, oder?
(Foto: Frank Kleefeld/dpa)
Das Leben gleicht über weite Strecken einer Lotterie. Das gilt nicht nur für schwere Krankheiten oder unvermitteltes Ableben: Wo wir geboren wurden und wie viele Bücher unsere Eltern im Schrank stehen haben, ist für unseren Lebenserfolg durchaus wesentlich, das gilt vor allem in Deutschland.
Die Ungerechtigkeiten verteilen sich auch über Generationen: Eine ganze Kohorte hat, was Bildung angeht, den kürzeren Halm in der Hand, weil sie im entscheidenden Zeitpunkt leider Corona-frei hatte oder sich in einem unterdigitalisierten Land fernbeschulen lassen musste. Tja, Pech: Der aktuelle IQB-Bildungstrend weist einen drastischen Bildungsrückgang nach, insbesondere in den MINT-Fächern. Wiederum Pech, dass Bildungspolitik niemanden interessiert.
Dass das Leben nicht fair ist, dürfte sich herumgesprochen haben - dass nicht jede Lebensunbill durch die Gemeinschaft ausgeglichen wird, ist auch noch klar. Aber: Was die Bundespolitik gerade mit den Jüngeren anstellt, grenzt an Generationenverrat. Und Verrat hat Folgen.
Soldaten-Tombola
Die Schwarz-Rote Koalition schließt Kompromisse, so auch bei der Wehrpflicht. Dabei stellt die Regierung den internen Frieden über alles: Damit bloß kein Krach laut wird beim schwierigen Thema Landesverteidigung, wollten die Fraktionen sich bei der Wehrpflicht unbedingt einigen - noch bevor die Regierung überhaupt ein Gesetz eingebracht hat.
Das ging schief: Man fabulierte von doppelten Losverfahren, mit denen Rekruten, die keine Lust auf Bund haben, zur Musterung und notfalls auch Einberufung verpflichtet werden sollte. Das ist verfassungsrechtlich mindestens umstritten, auch wenn die Union sich mit einem professoralen Kurzgutachten wappnete.
Es ist aber auch eiskalt: "Zufall" klingt nach "Willkür", das erkennt man schon daran, dass der Volksmund die beiden Worte bisweilen durcheinanderbringt. Sogar der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stand vom Sofa auf und rügte eine "kommunikative Fehlleistung"! Also einfach nur mal wieder ein kleiner Fehltritt? Ein Misston, der untergehen wird in der täglichen Aufgeregtheit?
Symptom einer spezifischen Bürger-Nichtachtung
Nein: Dieser Fehltritt ist Symptom einer tieferen Nichtachtung - nicht nur allgemein gegenüber der Bevölkerung, die man auf eine dermaßen irre klingende Idee besser vorbereiten sollte, sondern vor allem gegenüber jenen, die das Gesetz unmittelbar trifft: Die jungen Jahrgänge ab 2008.
Auf Tiktok macht sich Wut breit: "Ihr seid gekocht", heißt es da. Da haben die Abgeordneten offenbar vergessen, dass die Jungen keine Wehrpflicht kennen - für die ist der Einberufungsbefehl ein taufrischer, gruseliger Gedanke.
Klar: Seit Russland uns Europäern via Kampfjet- und Drohnenüberflug den heißen Atem in den Nacken hechelt, wünsche ich mir erst recht eine starke Bundeswehr. Wenn die Wiedereinführung der Wehrpflicht scheitert, sehen wir für Putin aus wie eine Wildsau, die sich noch vor der Schlachtung bereitwillig einen Apfel zwischen die Kiefer klemmt. Doch ich habe gut reden, denn mich betrifft die Wehrpflicht nicht - und genauso gut reden hat das komplette Kabinett.
Als würden die das nicht merken!
Aber Politik für die Älteren ist Politik mit Wahlurnenerfolg, so lautet das Kalkül: Immerhin haben die Alten demografisch jeden Tag ein bisschen mehr zu sagen.
Strukturreformen können da im Ankündigungsstadium versauern. Stattdessen versündigt sich die Koalition auch in der Rentenpolitik an den nachfolgenden Generationen - und zwar derart, dass junge, eigentlich Merz wohlgesonnene Abgeordnete, den Aufstand gegen die eigene Regierung planen.
Tatsächlich ist es etwas absurd: Während die Koalition mit großem Aplomb das verhasste "Bürgergeld" in "Grundsicherung" umtauft, um mit ein wenig Strenge klägliche 86 Millionen Euro zu sparen, sollen die Rentenpläne der Bundesregierung 115 Milliarden Euro an Mehrkosten in den Jahren 2032 bis 2040 verursachen.
Stadtbilddebatten und AfD-Umgangszirkus
Demselben Muster folgt die elende "Stadtbild"-Debatte. Am Dienstag sagte der Bundeskanzler, die AfD sei deshalb so stark, weil man "natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem" habe, und der Bundesinnenminister deshalb Rückführungen "in sehr großem Umfang" durchführe.
Klar: Das bedeutet recht unverklausuliert dasselbe wie "da sind uns zu viele braune Menschen in der FuZo". Auch der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder forderte, das "Stadtbild" müsse sich wieder ändern.
Wen spricht das an? Junge Menschen wohl eher nicht, denn die vermissen das alte, weißdominante Stadtbild aus der guten alten Zeit ja eher nicht. Es sind Signale an die weiße, alte Mehrheit - und auch an die nicht so weiße, ausgrenzende nämlich. Wer sagt den Alten eigentlich, wer mit größter Wahrscheinlichkeit ihrem Pflegebett stehen wird? Ein Jochen? Oder ein Mohammed?
Liebe für Ressentiments, Bomben für die Jungen
Die Koalition kümmert sich also liebevoll um Ressentiments der Älteren und legt Bomben in die Zukunft der Jungen. Als würden die das nicht merken!
Der Anteil der Jungwähler, die sich den äußeren rechten und linken Rändern zuwenden, ist seit Jahren deutlich höher als im Schnitt aller Wahlberechtigten. Frust und Enttäuschung gehören zu den Motivationstreibern - sowie das Gefühl, von der Regierung nicht gesehen zu werden.
Sie sind aufgewachsen mit einem Pandemie-Staat, mit ständiger Institutionenkritik von Rechtsextremen, mit Rezession und einer Schuldbildung, bei der sich die Eltern die Haare raufen, allerdings ohne, dass daraus eine nennenswerte Debatte würde.
Die Mitte scheint zu kapitulieren
Dass mehrere Unionspolitiker nun die Brandmauer zur AfD abreißen wollen und von einer Minderheitsregierung träumen, ist da nur konsequent: Die Mitte scheint zu kapitulieren. Auch das werden sich die Jungen merken.
Quelle: ntv.de