Wehrdienst im Bundestag Pistorius lobt den Zoff und zeigt sich offen für Kompromisse


Boris Pistorius verfolgte die Debatte um seinen Gesetzentwurf aufmerksam. Neben ihm Wirtschaftsministerin Katherina Reiche.
(Foto: IMAGO/Andreas Gora)
Im Ziel sei man sich beim Wehrdienst einig, betonen Redner von Union und SPD im Bundestag. Beim Weg gibt es allerdings noch einige Unstimmigkeiten. "Ich finde das okay", sagt Verteidigungsminister Pistorius.
Zwei Tage nach dem Eklat um den neuen Wehrdienst hat die Koalition den Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Die sogenannte erste Lesung des Wehrdienst-Modernisierungsgesetzes fand unter ungewöhnlichen Vorzeichen statt: Das so wichtige Thema erhielt nur 30 Minuten auf der Tagesordnung.
Diskutiert wurde nicht das Kompromissmodell, das Union und SPD am Dienstagnachmittag vorstellen wollten. Eingebracht wurde der unveränderte Gesetzentwurf aus dem Bundesverteidigungsministerium.
Am Dienstag hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius das Kompromissmodell fast in letzter Minute gestoppt und damit auch seine Parteikollegin Siemtje Möller düpiert, die den Kompromiss federführend mit ausgehandelt hatte. Möller ist stellvertretende Fraktionschefin der SPD; in der vergangenen Legislaturperiode war sie Staatssekretärin in Pistorius' Ministerium.
"Das Thema verdient eine offene Debatte"
Im Bundestag zeigte Pistorius sich offen für Änderungen an seinem Gesetz. Den letztlich von ihm ausgelösten Zoff stellte er als ganz normal, als positiv dar: "Alles weniger als eine leidenschaftliche, offene, auch hitzige Debatte über eine solche Frage wäre für mich eine Enttäuschung gewesen", so Pistorius. "Dieses Thema verdient eine offene und ehrliche Debatte, weil es das Leben vieler, vieler Menschen betrifft."
Wichtig sei ihm vor allem die Modernisierung der Wehrerfassung und der Wehrüberwachung, die es seit 14 Jahren nicht mehr gebe. Aus seiner Sicht sei es dazu notwendig, ganze Jahrgänge verpflichtend zu mustern. Die Diskussion der vergangenen Tage habe gezeigt, dass es dazu auch andere Ideen gebe. "Ich finde das okay, ich bin offen dafür, das parlamentarische Verfahren ist genau dafür da, das zu diskutieren", so Pistorius.
Sein Gesetzentwurf gehe "zunächst den Weg der Freiwilligkeit", wie das im Koalitionsvertrag auch vereinbart sei, so der Minister. Klar sei auch: "Reicht Freiwilligkeit nicht, wird es keinen Weg vorbei geben an einer verpflichtenden Heranziehung."
Der Union fehlen konkrete Ziele im Gesetz
Dem aktuellen Gesetzentwurf zufolge soll die Teilnahme an der Musterung zunächst freiwillig sein. Ab Juli 2027 soll sie für alle 18-jährigen Männer verpflichtend werden. Frauen sind von dem neuen Wehrdienst nicht betroffen - dafür bräuchte es eine Grundgesetzänderung, für die es im Bundestag keine Mehrheit gäbe.
Der Gesetzentwurf sieht vor, zu einem verpflichtenden Wehrdienst umzuschwenken, wenn sich nicht genügend Freiwillige melden. Konkrete Zielvorgaben nennt er aber nicht. Dies kritisierte in der Debatte der CDU-Politiker Norbert Röttgen, der die Arbeitsgruppe mit Siemtje Möller geleitet hatte.
Zu Beginn seiner Rede dankte Röttgen Möller und anderen aus der Arbeitsgruppe "für eine respektvolle Zusammenarbeit in den letzten Wochen". Das konnte man als Seitenhieb auf Pistorius verstehen, der in dieser Aufzählung fehlte.
Röttgen nennt Zufallsverfahren fair und rational
Vehement plädierte Röttgen dafür, bereits konkret ins Gesetz aufzunehmen, wie stark die Bundeswehr von 2026 bis 2035 wachsen solle, "damit wir wissen: Sind wir auf Kurs oder müssen wir nachsteuern?" Die Union plädiert für einen Automatismus, um zur Wehrpflicht zurückzukehren, wenn die konkreten Ziele nicht erreicht werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf beantworte die Frage der Wehrgerechtigkeit nicht, kritisierte Röttgen zudem. Das alte System sei willkürlich und nicht verfassungsfest gewesen, deshalb sei ein neues System nötig. Das Zufallsverfahren sei eine solche Möglichkeit: "Nach dem Zufallsverfahren trifft jeden Mann die gleiche Chance, das gleiche Risiko. In dieser Gleichheit liegt die Fairness und die Rationalität dieses Verfahrens, und darum haben wir uns für dieses Verfahren entschieden."
An die Adresse der Grünen sagte Röttgen, wenn sie eine bessere Lösung hätten, wäre "keiner glücklicher als wir". Die Grünen würden allerdings nur kritisieren und verunglimpfen, "Sie haben keine Lösung!" Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge hatte Bundeskanzler Friedrich Merz am Vormittag auch mit Blick auf den Streit um den Wehrdienst vorgeworfen, er habe "die Lage nicht im Griff". In seiner Regierungserklärung am Morgen hatte Merz zwar über die europäische Verteidigungsfähigkeit gesprochen, über den Gesetzentwurf jedoch kein Wort verloren. Er wiederholte lediglich, was er schon häufig gesagt hat: "Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen."
Veränderung des Gesetzentwurfs dürfte in den Ausschüssen erfolgen
Das von der Arbeitsgruppe vorgeschlagene Losverfahren geht vor allem auf eine Initiative aus der Union zurück. Pistorius hatte am Dienstag rechtliche Bedenken gegen das Konzept geäußert. Die Union geht davon aus, dass ein solches Zufallsverfahren verfassungsgemäß wäre, sie hat dazu ein entsprechendes Gutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Udo Di Fabio vorgelegt.
Der AfD-Verteidigungspolitiker Rüdiger Lucassen nannte den Gesetzentwurf schlecht. Er sprach vor allem über eine "linksgrüne Agenda" der Bundesregierung statt darüber, wie ein Wehrdienst aussehen könnte; fraktionsintern hat Lucassen gerade eine massive Niederlage erlitten: Er wollte, wie im Grundsatzprogramm der AfD vorgesehen, einen Gesetzentwurf für eine Wiedereinsetzung der alten Wehrpflicht vorlegen. Dieses Vorgehen wurde von AfD-Chefin Alice Weidel nach einer Intervention des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke gestoppt. Röttgen rief der AfD zu, anders als die Koalition wisse diese offensichtlich nicht, wofür sie Deutschland verteidigen würde.
Die Linken-Abgeordnete Desiree Becker warf der Bundesregierung vor, Angst und Unsicherheit bei jungen Leuten zu schüren. Die Jugend soll "nun auch in den Kriegsdienst gezwungen werden, per Los oder wie auch immer".
Siemtje Möller nannte den Gesetzentwurf von Pistorius "exzellent", den Kompromissvorschlag, an dem sie mitgearbeitet hatte, lobte sie ebenfalls. "Das Ziel eint uns, die Koalition und die Bundesregierung. Gemeinsam werden wir nun im Gesetzgebungsverfahren die offenen Fragen klären und ein gutes Modell gemeinsam ausarbeiten." Auf die erste Lesung folgt nun die Anhörung von Experten. Bis zur zweiten und dritten Lesung, bei der das fertige Gesetz verabschiedet wird, kann es noch in den Ausschüssen verändert werden.
Quelle: ntv.de