Jumbo-Visma setzt auf Niermann Deutscher Ex-Doper ist Mastermind des Superteams
19.07.2023, 07:30 Uhr
Grischa Niermann (rechts) beim Frühjahrsklassiker Mailand-Sanremo.
(Foto: IMAGO/Panoramic International)
Seine aktive Karriere verbringt Grischa Niermann beim Team Rabobank, probiert dort auch Doping aus. Beim Rabobank-Nachfolger Jumbo-Visma ist der Deutsche jetzt Sportdirektor von Tour-de-France-Titelverteidiger Jonas Vingegaard und Treiber des Erfolgs.
Sobald Grischa Niermann in sein Mikrofon spricht, hören auch Stars wie Jonas Vingegaard und Wout van Aert aufmerksam zu. "Wenn ich im Rennen eine Ansage mache, dann wird das auch gemacht", sagt der Mann, in dem nicht wenige das Mastermind des Superteams Jumbo-Visma sehen: "Im Vor- und im Nachhinein aber diskutieren wir das gemeinsam."
Kommunikation, Offenheit und Bescheidenheit sind dem Deutschen, der seit 2017 als Sportdirektor der niederländischen Erfolgsequipe fungiert, wichtig. "Wir haben hier in den letzten Jahren eine sehr schöne Entwicklung durchgemacht", sagt er.
Das ehemalige Rabobank-Team (1996 bis 2012) hat die dunklen Zeiten offenbar hinter sich gelassen, auf deren Höhepunkt bei der Tour der France 2007 der später geständige Doper Michael Rasmussen als Träger des Gelben Trikots aus dem Rennen genommen worden war. Zahlreiche ehemalige Rabobank-Fahrer haben den Einsatz von Dopingmitteln gestanden. Thomas Dekker etwa sagte 2005, Doping sei "Teil des Berufs" gewesen, manche sprachen sogar von systematischem Doping im Team Rabobank. Auch Niermann sagte 2013, als Rabobank-Fahrer mehrfach gedopt zu haben.
Bei Jumbo-Visma haben sie auf solche Diskussionen - wenig überraschend - keine Lust: "Das ist so eine Scheiß-Frage - sie kommt jedes Jahr. Nur weil wir auf diesem hohen Niveau fahren, müssen wir uns verteidigen. Ich versteh's einfach nicht", sagte Vingegaards belgischer Teamkollege Wout van Aert bei der Tour im Vorjahr dazu. Vingegaard selbst erklärte: "Wir sind wegen unserer Vorbereitung so gut."
Niemann steigt noch immer gern aufs Rad
Außerdem gibt es für die Dominanz durchaus andere Erklärungsansätze als den Einsatz unerlaubter Mittel zur Leistungsoptimierung: Die Niederländer sind mit einem der höchsten Etats der UCI World Tour ausgestattet. Zudem ist das Team in Sachen Innovation und Technologie seit Jahren führend.
An dieser Entwicklung Niermann großen Anteil. Er ist verantwortlich für Vorbereitung, Renntaktik, Coaching und nicht zuletzt für die gute Stimmung im Star-Ensemble. Auch dank einer ausgeklügelten Teamstrategie krönte sich Kapitän Vingegaard 2022 zum Sieger der Tour de France - seine Chancen auf eine erfolgreiche Titelverteidigung in diesem Jahr stehen gut.
"Dass es so weit kommt, dass wir mit dem Team die Tour gewinnen können, das kann man natürlich nicht planen", sagt Niermann über seinen persönlichen Karriereweg. Der heutige Erfolg ist für den 47-Jährigen alles andere als selbstverständlich. Denn: Der Radprofi Grischa Niermann war beim besten Willen kein klassischer Siegertyp. Von 1999 bis 2012 fuhr er zumeist als Helfer für das Team Rabobank, viel mehr als ein Gewinn der Niedersachsen-Rundfahrt und Platz 24 bei einer seiner neun Tour-Teilnahmen sprang nicht heraus. Im Sattel sitzt Niermann trotzdem noch gerne. "Ich gehe auch immer mal am Ruhetag oder vor dem Rennen mit den Jungs Radfahren", sagt der Hannoveraner. Sein "sehr freundschaftlicher" Führungsstil scheint durchaus ein Erfolgsrezept zu sein.
Es gibt keinerlei stichhaltige Verdachtsmomente gegen Fahrer des Teams. Auch im einstmals chronisch dopingverseuchten Radsport, der im Übrigen in den vergangenen Jahren große Fortschritte im Anti-Doping-Kampf gemacht hat, gilt die Unschuldsvermutung. "Der Radsport hat sich verändert", sagte van Aert: "Wir werden zu jeder Zeit kontrolliert, nicht nur bei der Tour - auch zu Hause."
Quelle: ntv.de, tsi/sid