Absurde Bildershow pro Rubiales Der spanische Verband blamiert sich, wo er nur kann
26.08.2023, 09:57 Uhr
Immer noch ohne Problembewusstsein: Luis Rubiales.
(Foto: picture alliance / Eibner-Pressefoto)
Luis Rubiales klebt an seinem Amt als Boss des spanischen Fußballverbands. Ein Problembewusstsein nach dem übergriffigen Kuss gegen Weltmeisterin Jenni Hermoso hat er nicht. Er wittert eine Hetzjagd und bemüht sich um eine Entlastung. Das mündet in einem peinlichen Versuch.
Dass die Fußballerinnen aus Spanien Geschichte geschrieben haben, dass sie zum ersten Mal überhaupt den WM-Titel gewonnen haben, das interessiert niemanden mehr. Dabei ist nicht mal eine Woche her, dass sie die Trophäe in Sydney in den Himmel stemmen konnten. Und in diesem Moment nahm eine Geschichte ihren Lauf, die womöglich einmalig in der Historie ist. Und die immer absurder wird.

Eines der Bilder, mit dem der Verband versucht, den Präsidenten reinzuwaschen.
(Foto: Spanischer Fußball-Verband RFEF)
Luis Rubiales, der Boss des spanischen Fußball-Verbands, hatte Weltmeisterin Jenni Hermoso auf den Mund geküsst. Sie wollte das nicht. Der Verband stellte das anders dar, veröffentlichte Zitate, die so wohl nie gesagt wurden. Die Spielerin wurde Opfer eines sexuellen Übergriffs und beklagt das in aller Deutlichkeit, was der Boss ganz anders sieht. Ein Problem, das erkennt er nicht. Im Gegenteil, er sieht sich längst als Opfer und versucht nun, sich auf peinliche Weise reinwaschen zu lassen.
Der Verband RFEF stellte am Freitagabend, nachdem es in dieser Geschichte die nächsten Eskalationen gegeben hatte, nachdem Rubiales sich vehement gegen einen Rücktritt gewehrt hatte, nachdem alle Weltmeisterinnen und 58 weitere Spielerinnen in einer auf X veröffentlichten Erklärung der Spielerinnengewerkschaft Futpro erklärt hatten, unter der aktuellen Führung nicht mehr für ihr Land antreten zu wollen, vier Fotos online und beschrieb detailliert die Körperhaltung von Rubiales und Hermoso. Die Bilder seien ein Beweis, so schreibt der Verband doch tatsächlich, dass Rubiales nicht gelogen habe. Auf den Bildern ist zu sehen, wie Rubiales von Hermoso gehalten wird, auf zwei davon sind seine Beine in der Luft. Ob die Stürmerin ihn hochgehoben hat oder er von sich aus hochgesprungen ist, lässt sich anhand der kurzen Serie nicht eindeutig belegen.
Nicht den kleinsten Hauch von Problembewusstsein
Es ist der hochnotpeinliche Versuch, einen Mann zu schützen, der nach wie vor nicht den kleinsten Hauch von Problembewusstsein dafür entwickelt, dass er mit seinem Kuss eine unverhandelbare Grenze überschritten hat. Mit seiner selbstgefälligen Ignoranz und Ich-tue-was-ich-will-Mentalität hatte er eine Debatte wieder in Flammen gesetzt, die der Frauenfußball eigentlich längst hinter sich gelassen haben wollte. Und sollte. Doch offensichtlich bleiben die Themen Machismus und Sexismus noch ein langer Begleiter des Sports. Auch mitten in Europa, wo es doch eine hohe Sensibilität für "Me too"-Themen gibt oder geben sollte. Wo schon Kindern beigebracht wird, dass der eigene Körper nur einem selbst gehört. Was Rubiales gemacht hat, ist eine gefährliche Entkräftung dessen.
Dass sich die Spielerin in ihrer Überforderung erst machtlos fühlte, ist ein schlimmes Alarmzeichen. Aber noch viel schlimmer ist der Umgang von Rubiales mit der Debatte. Seine erste Entschuldigung war im besten Fall nur halbherzig, seine Wut-Rede am Freitag dann komplett bizarr. Er attackierte seine Kritiker frontal für "falschen Feminismus". Der Druck, den Spielerinnen, Verbände und selbst die höchsten spanischen Regierungskreise in dieser Woche auf ihn ausgeübt hatten, sei nur der Versuch einer "öffentlichen Hinrichtung" gewesen. Rubiales liefert bei seiner Abrechnung erschreckende Einblicke in sein Weltbild. So frage er am Freitag provokant: "Um Himmels willen, was werden die Frauen denken, die wirklich sexuell missbraucht wurden?" Auch erschreckend: In den vergangenen Tagen hatte er für den Kuss auch Verständnis bekommen.
Rummenigge findet es "absolut okay"
"Ich glaube, man soll da nicht übertreiben", hatte etwa Karl-Heinz Rummenigge gesagt. Er kenne Rubiales gut, sagte das Aufsichtsratsmitglied des FC Bayern: "Wenn man Weltmeister wird, ist man emotional. Und was er da gemacht hat, ist - sorry, mit Verlaub - absolut okay." Rubiales sei wahrscheinlich emotionalisiert gewesen, führte der 67-Jährige aus. "Ich kann mich erinnern: Als wir letztes Mal die Champions League gewonnen haben, habe ich Männer geküsst - nicht auf den Mund zwar, aber aus Freude." Im Fußball sei Emotionalität wichtig, man solle die "Kirche im Dorf lassen", meinte Rummenigge.
Diese Weltbilder müssen für Hermoso wie Hohn klingen. Bei Instagram schilderte sie noch einmal, wie sie den entwürdigenden Moment in der WM-Nacht von Sydney empfand. Sie habe sich "verletzlich und als Opfer eines Übergriffs gefühlt, eines impulsiven, machohaften Aktes, der unangebracht war und dem ich nicht zugestimmt habe. Die Worte von Luis Rubiales, mit denen er den unglücklichen Vorfall erklärt, sind kategorisch falsch und Teil der manipulativen Kultur, die er selbst geschaffen hat. Ich stelle klar, dass das von ihm erwähnte Gespräch zu keinem Zeitpunkt stattgefunden hat, und noch viel weniger war der Kuss einvernehmlich. Ich möchte wiederholen, wie ich es damals getan habe, dass dieser Akt nicht nach meinem Geschmack war."
Regierung treibt Amtsenthebung von Rubiales voran
Diese Art von Vorfall reihe sich in eine "lange Liste von Situationen ein, über die wir Spielerinnen in den vergangenen Jahren berichtet haben. Dies ist nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, und die ganze Welt konnte es sehen. Einstellungen wie diese gehören seit Jahren zum Alltag in unserer Nationalmannschaft", erklärte Spaniens Rekordtorschützin weiter. Ebenso wie Rubiales und sein ignoranter Machismus. Die Krönung seines Tuns: Die ebenfalls am Freitag erhobene, peinliche Klageandrohung des Verbands gegen Hermoso und die Spielerinnengewerkschaft Futpro. Kernpunkt ist Hermosos Aussage, sie habe dem Kuss nicht zugestimmt und Rubiales auch nicht - wie von diesem behauptet - hochgehoben. Der Verband bezeichnete in einer Erklärung aus der Nacht zum Samstag die Darstellung von Hermoso als Lüge.
Die spanische Regierung treibt unterdessen die Amtsenthebung von Rubiales voran. "Soweit es von uns abhängt, sind es die letzten Stunden von Rubiales", sagte Sportminister Miquel Iceta der Zeitung "El País". Die oberste spanische Sportbehörde CSD beantragte beim nationalen Sportgerichtshof Tad die Suspendierung von Rubiales. "Herr Rubiales hat in seiner Reaktion enttäuscht, er hat nicht getan, was er hätte tun sollen", sagte CSD-Chef Víctor Francos im Hinblick auf die bizarre Wut-Rede des höchsten Funktionärs des spanischen Fußballs. Längst geht es nicht mehr um Fußball, um Titel, sondern um Machtstrukturen. Wenn sie nun zerfallen, hat sich der Kampf der Spanierinnen gegen das selbstgefällige, ignorante und übergriffige System wenigstens gelohnt.
Quelle: ntv.de