Wirtschaft

VW-Klägeranwalt im Interview "Auch das Update ist wieder Beschiss"

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In Braunschweig startet die Musterfeststellungsklage gegen VW. Es geht um die Ansprüche von Besitzern manipulierter Diesel des Konzerns auf Schadenersatz.

(Foto: picture alliance/dpa)

Am Montag beginnt der bisher größte Zivilprozess in der Geschichte der Bundesrepublik: Die Musterfeststellungsklage gegen VW. Das Oberlandesgericht Braunschweig soll feststellen, ob vom Abgasskandal betroffene Autobesitzer Anspruch auf Schadensersatz haben. Über 430.000 Menschen haben sich der Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbandes und des ADAC angeschlossen. Ralph Sauer vertritt als Anwalt die Interessen dieser Kläger. Im Interview mit n-tv.de erklärt er, warum er einen Vergleich für die beste Option hält.

n-tv.de: Die Musterfeststellungsklage gegen VW hat völlig neue Dimensionen: 430.000 Kläger gegen den größten Autohersteller Europas. So ein Gerichtsverfahren hat Deutschland bislang nicht gesehen. Das Verfahren wird in der Stadthalle Braunschweig, die Platz für bis zu 2000 Zuschauer bietet, stattfinden. Wie ist es, da als "Chef-Ankläger" mittendrin zu sitzen?

Ralph Sauer (2.v.R.) mit seinen Anwaltskollegen und Vertretern der Verbraucherzentrale und des ADAC.

Ralph Sauer (2.v.r.) mit seinen Anwaltskollegen und Vertretern der Verbraucherzentrale und des ADAC.

(Foto: imago images / photothek)

Ralph Sauer: Das ist natürlich eine ganz außergewöhnliche Situation. Es ist wahrscheinlich das größte Zivilverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik. Hier einer der maßgeblichen Mitspieler zu sein, ist einfach fantastisch.

Spüren Sie denn auch mehr Druck als sonst?

Einerseits ja, andererseits nein. Letzten Endes konzentriert man sich auf das, was man kann, nämlich ein guter Anwalt zu sein, die Schriftsätze vorzubereiten, die entsprechenden Argumente zu suchen und zu finden. Man blendet das Drumherum dann tatsächlich aus. Zumindest kann ich das bisher sagen. Wie es dann später sein wird, wenn ich in der Halle sitze, das kann ich jetzt noch nicht prognostizieren. In der Dimension kennen wir das alle noch nicht.

Alle Parteien betreten mit diesem Verfahren unbekanntes Terrain. Es ist die erste Musterklage in Deutschland. Wie sähe für Sie ein optimaler Verlauf des Prozesses aus?

Wenn uns das Gericht am Montag mitteilt, dass im Rahmen der derzeitigen Rechtsprechung VW ganz schlechte Karten hat. Dass für das Gericht und auch für den Bundesgerichtshof keine Zweifel bestehen, dass VW verurteilt wird und das Gericht empfiehlt, eine Einigung zu finden.

Sie hoffen also auf einen Vergleich?

Für die Verbraucher wäre ein Vergleich wahrscheinlich die bessere Variante als ein Urteil. Denn bei einem Urteil könnte VW a) noch in Revision gehen zum Bundesgerichtshof. Und b) könnte VW selbst nach einer Verurteilung vor dem Bundesgerichtshof weiter auf Zeit spielen und die einzelnen Gerichtsverfahren im Anschluss abwarten. Ich denke, dass die Verbraucher eher an einem schnellen Abschluss des Verfahrens interessiert sind.

Und warum sollte VW da mitspielen?

Weil es auch für den Konzern wirtschaftlich Sinn ergeben könnte. Sollten sie vor dem Bundesgerichtshof verurteilt werden, müssten sie nicht nur die gesamten Entschädigungen zahlen, sondern auch die Prozesskosten der 430.000 Einzelklagen übernehmen. Zudem entscheidet der Europäische Gerichtshof gerade darüber, ob VW eine Nutzungsentschädigung abziehen darf, wenn sie ein Auto zurücknehmen müssen. Sollten sie auch diesen Prozess verlieren, müssten sie allen Kunden den Kaufpreis ihres Wagens zahlen - egal, wie viele Kilometer der gefahren ist. Im Worst Case für VW sprechen wir hier über 20 bis 30 Milliarden Euro.

VW gibt sich bisher wenig nachgiebig. Die Argumentation des Konzerns lautet: Einen echten Schaden am Auto hat es nie gegeben, und seit den Software-Updates funktionieren die Autos angeblich so, wie bestellt. Wo sehen Sie den Schaden für die Autobesitzer?

Welche Taktik wird VW-Vorstandsvorsitzender Herbert Diess wohl anwenden lassen?

Welche Taktik wird VW-Vorstandsvorsitzender Herbert Diess wohl anwenden lassen?

(Foto: imago images / Jan Huebner)

Der Schaden besteht alleine schon darin, dass man ein Fahrzeug hat, das man nicht wollte. Jeder wollte ein Fahrzeug, welches dem Stand der Technik entspricht und das regelkonform gebaut wurde. Bekommen hat man eine Mogelpackung. Und dazu kommt noch, dass auch dieses Update, auf das VW sich bezieht, wieder eine Abschaltvorrichtung enthält. Die nennt sich Thermo-Fenster und sorgt dafür, dass nur bei Außentemperaturen von etwa 15-32 Grad ordnungsgemäß gereinigt wird. Außerhalb wird die Abgasreinigung entweder zurückgefahren oder ganz abgeschaltet. Ein EU-Recht erlaubt das zwar, allerdings nur, wenn es dem Motorschutz dient und technisch nicht anders gelöst werden kann, ohne die Emissionsgrenzen zu überschreiten. Und eingeführt wurde diese Regelung für Extremfälle zum Beispiel in Finnland bei minus 40 Grad Celsius. Daher ist die vorherrschende Meinung, dass diese Thermo-Fenster wieder illegal sein dürften. Unsere Meinung ist: Auch das Update ist wieder Beschiss.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht Braunschweig gehören zu den wenigen Gerichten, die in den bisherigen Individualverfahren immer zu Gunsten von VW entschieden haben. Zudem gilt das OLG Braunschweig auf Grund seiner Nähe zu Wolfsburg als das Heimgericht von VW. Ein Nachteil für Sie?

Das ist ein weiteres Problem der Musterklage, man klagt immer am Sitz des Unternehmens. Und in der Regel führt man eine Musterklage ja gegen große Unternehmen, nicht gegen die Schreinerei im Ort. Große Unternehmen sind in einer Region wichtige Arbeitgeber und für das soziale Miteinander nicht ganz unwichtig. VW finanziert in der Umgebung über die Gewerbesteuer zum Beispiel Kindergärten, so dass nie Kindergartenbeiträge erhoben werden mussten. Natürlich hat man dann auch als Richter eine Affinität zu solch einem Unternehmen, das sind ja auch nur Menschen.

Der Vorsitzende des Verbraucherzentrale Bundesverbandes beim Einreichen der Klage am OLG Braunschweig.

Klaus Müller, der Vorsitzende des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, beim Einreichen der Klage am OLG Braunschweig.

(Foto: picture alliance/dpa)

Haben sie dennoch Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz dort?

Ich sage es mal so: Was das Landgericht Braunschweig bisher abgeliefert hat, hat mit Jura wenig zu tun. In die Urteile hätte man auch reinschreiben können: 'Die Klage wird abgewiesen, so jung kommen wir nicht mehr zusammen!' Auch das OLG war sehr einseitig bisher. Aber: Wir haben hier jetzt einen neu gebildeten Senat, der den Prozess bis hierher vorbildlich geführt hat. Alle wissen, dass man sich in diesem Prozess nichts zu Schulden kommen lassen darf, da wird überall gründlich nachgeschaut. Deshalb habe ich bisher den Eindruck, dass dieses Gericht im Rahmen des menschlich Möglichen objektiv ist. Dennoch sitzen dort Menschen.

Das deutsche Rechtssystem wurde extra reformiert, um diese Musterfeststellungsklage gegen VW zu ermöglichen. Empfinden Sie die Reform als gelungen?

Ralph Sauer streitet bei der ersten Musterfeststellungsklage in Deutschland mit VW um die Rechte der Verbraucher.

Ralph Sauer vertritt in der ersten Musterfeststellungsklage in Deutschland die Interessen der Opfer der Dieselaffäre.

Ich bin überhaupt nicht zufrieden mit der Reform. Aber wie die Verbraucherzentrale sagt: Es ist besser als nichts. Denn ohne dieses Gesetz hätten viele Verbraucher ohne die entsprechenden finanziellen Mittel überhaupt keine Möglichkeit, ihr Recht geltend zu machen. Und es ist auf jeden Fall ein Meilenstein auf dem Weg hin zu einer richtigen Sammelklage. Die wurde ja jetzt viele Jahre von der CDU/CSU verhindert. Aber viele Dinge sind in diesem Gesetz schlecht gelaufen, die deutlich besser hätten laufen können und sollen, wenn man es mit dem Verbraucherschutz ernst meint. Dieses Gesetz bringt mal wieder zum Ausdruck: In Deutschland heißt Verbraucherschutz nicht, den Verbraucher zu schützen, sondern die Industrie vor dem Verbraucher.

Was ist denn so schlecht gelaufen?

Man kann zum Beispiel nicht während des Verfahrens aussteigen. Als normaler Kläger kann man jederzeit raus, wenn man sich nicht gut vertreten fühlt. Das geht hier nicht, wer am 30. September angemeldet ist, dessen Anspruch ist ein für alle Mal in den Händen der Anwälte und des Verbandes. In diesem Fall natürlich in guten Händen, nämlich in unseren.

Aber es herrscht auch keine Waffengleichheit. Auf Konzernseite haben sie Heerscharen von Anwälten, die kosten dürfen, was sie wollen. Und auf der anderen Seite steht ein Verband, der sich am Markt einen Anwalt beschaffen muss. Bei unserem Verfahren ist das kein Problem, weil auf Grund der besonderen Stellung des Verfahrens auf beiden Seiten Vollprofis sitzen. Aber bei künftigen Musterklagen wird das vermutlich anders aussehen. Wir arbeiten jetzt für ein symbolisches Honorar von zusammen 8000 Euro. In den USA hingegen bekommen die Anwälte einer erfolgreichen Sammelklage eine Beteiligung entsprechend der Gewinnsumme, oft mehrere Millionen Euro.

Katharina Barley setzte das Gesetz zur Musterfeststellungsklage 2018 durch. Damals war sie noch Bundesjustizministerin.

Katharina Barley setzte das Gesetz zur Musterfeststellungsklage 2018 durch. Damals war sie noch Bundesjustizministerin.

(Foto: imago images / Rüdiger Wölk)

Genau das wollte die Bundesregierung mit ihrem Gesetz ja verhindern, Stichwort Klageindustrie.

Natürlich ist das eine Art Industrie, die da entsteht. Aber ich wüsste nicht, warum das schlecht für die Verbraucher sein sollte. Das wirtschaftliche Interesse der Anwälte ist ein Stück weit das natürliche Regulativ des wirtschaftlichen Interesses der Industrie. In den USA verdienen die Anwälte nur etwas, wenn der Fall gewonnen wird - da überlegt man es sich zweimal, ob man so ein Ding anpackt. Natürlich hat das amerikanische System auch seine Schwächen. Aber zumindest sorgt es für Waffengleichheit. Und was man nicht vergessen darf: Auch wir in Deutschland haben eine Art Klageindustrie. Es gab zum Beispiel Prozesskostenfinanzierer, die Verbrauchern 100 Euro angeboten haben, wenn sie sich von der Musterklage abmelden und stattdessen mit ihnen individuell klagen.

Viele Experten raten aber gerade zu einer Individualklage, ob mit Rechtsschutzversicherung oder Prozesskostenfinanzierung. Sehen Sie das anders?

Das machen wir ja auch, aber halt nur, wenn es Sinn macht. Wer die Möglichkeiten hat, zum Beispiel in Form einer Rechtsschutzversicherung, der sollte sich unbedingt anwaltlich beraten lassen und nach Möglichkeit selbst klagen. Wessen Rechtsschutzversicherung einen solchen Prozess deckt, ist schlecht beraten, in der Musterklage zu bleiben. Was wir machen, ist eine Ergänzung des Rechtssystems für diejenigen, die sonst keine Chance haben. Wer sich in die Hände eines Prozesskostenfinanziers begibt, muss schon vorsichtiger sein. Nicht alle sind seriös. Und für wen keine dieser Optionen in Frage kommt, der kann sich bis zu diesem Sonntag, also einen Tag vor Prozessbeginn, noch im Klageregister beim Bundesamt für Justiz registrieren.

Mit Ralph Sauer sprach Jonah Wermter

Quelle: ntv.de

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